Im Bierführer gibt es neben hochklassiger flüssiger Nahrung auch Essen, nach dem sich Wirtshaussitzer verzehren.

Foto: Majken Corti

Wenn ein Wirt über mehrere Jahre lang zuhatte, ist es eigentlich zu spät. Ganz abgesehen davon, dass die Technik sich nach solch einem Stillstand meist im Kollektiv verabschiedet, haben auch die Gäste verlernt, den Ort dann noch als gastlich präsent zu haben.

Umso mehr darf sich wundern, wer dieser Tage ins Gasthaus zum Bierführer in Goldegg im Pongau einfällt: alle Tische dicht besetzt, Bierfluss hier, Korkenploppen da, Wirtshausseligkeit allerorten. Gut, am Sonntag lässt es die Trachtenmusikkapelle am Gangtisch, gleich beim Eingang, nach dem morgendlichen Tschingderassassa gern ein bisserl später werden, da geht dann überhaupt die Post ab.

Es brummt in den Gaststuben

Der Bierführer straft die Pessimisten Lügen. Vier Jahre stand er leer, bevor Sepp Schellhorn, der ein paar Häuser weiter den noblen Seehof (mit blutjunger Doppelspitze in der Küche, bis 1. Dezember geschlossen, Besprechung folgt!) betreibt, sich sein Dorf ohne Wirt nicht mehr schönreden wollte – und das Haus übernahm. Seit Juni ist wieder offen, seitdem brummt es in den prachtvollen Gaststuben, als ob es kein Gestern gegeben hätte.

Das Bier fließt in bester salzburgischer Tradition von Stiegl wie von Trumer durch die Zapfhähne, sogar Schwarzacher gibt es (wenn auch aus bayerischer Lizenzfüllung). Auf der Weinkarte wird auch keine Zeit verloren: Lauter Ausnahmewinzer, die mit Finesse Charakter beweisen, von Roland Velich und Christian Tschida im Burgenland über Jutta Ambrositsch in Wien bis zu Schellhorn-Hauswinzer Martin Nigl und Willi Bründlmayer in Krems- und Kamptal oder Armin Tement im Süden.

Cremige Polenta als Vorspeisenportion
Foto: Majken Corti

Das verlangt nach ordentlicher Unterlage, schon gar, wenn man den einen oder anderen stolzen Gipfel, der beim Fenster hereinschaut, gerade bestiegen hat – und sei es in der Möglichkeitsform. Weil Schellhorn nicht nur Wirt und Wirtspolitiker ist, sondern auch ein guter Gast seiner selbst sein will (zumindest wenn er nicht selbst am Herd steht), legt die Karte sehr ordentlich was vor: Alle paar Wochen wird das Programm bis auf ein paar Fixpunkte – Schnitzel, Saibling im Ganzen, Spinatknödel … – komplett neu geschrieben. Zuletzt war Wild das Thema, als Nächstes kommen Gans und anderes Federvieh dran. Und es ist mehr als beeindruckend, was sich die Küche da immer antun darf.

Eiskalt ist dies Kälbchen

Klare Gamssuppe, Carpaccio vom Hirschkalb (riesige Portion, tolle Fleischqualität, leider kühlschrankkalt), Erdäpfel-Hirschfleisch-Knödel, Hirschrücken für zwei und Rehrücken, Rehragout, Hirschroulade und Hasenrücken (toller Schmorsaft, köstliches Rübengemüse, cremige Pilzpolenta!) sind nur einige der derart saisonal bestimmten Posten auf der Karte. Blattsalat mit – leider ebenfalls extrakühlen– eingelegten Steinpilzen und gehobelten roten Rüben ist eine animierende Vorspeise, wie alles hier in mehr als mächtiger Portionsgröße.

Cremige Polenta (im Bild die Vorspeisenportion) wird mit richtig viel Käse zur herrlich ziehigen Angelegenheit, der Schotten, ein lokaler Rauchkas, schiebt ordentlich mit an, dazu gibt’s viele Schwammerln, auch samtige Steinpilze und letzte Eierschwammerl der juwelenmäßig kleinen, knackigen Art. Obendrauf richtig frischer Spinatsalat und geriebener Bergkäse – so stellt man sich bäuerliche Küche der zeitgemäßen Art vor, und vegetarisch noch dazu.

Hinterher will man Topfenknödel mit Zimtbröseln und Zwetschkenröster – aber nur, wenn man sich die zur Krone gebackenen, winzigen Buchteln mit Marille-Rum-Füllung und Vanillesauce mit Hollerröster (so und nicht anders geht Overkill!) schon für die Nachmittagsjause reserviert hat. (Severin Corti, RONDO, 5.11.2021)

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