Um das Bild "Fallstudie Schwerkraft" auf Instagram posten zu können, muss die Künstlerin Sophia Süßmilch Vulva und Brustwarzen "blurren", also unkenntlich machen.

Foto: Sophia Süßmilch

Sein nacktes Gesäß schmiegt sich an ihre Hüfte, ihre Augen sind genussvoll geschlossen, er drückt ihren linken Arm von ihrem Körper weg, der Blick fällt auf ihre rosafarbene Brustwarze. So malte Kolo Moser sein Liebespaar 1914, Öl auf Leinwand. 2021 fertigte das Wiener Leopold-Museum zur Bewerbung seines 20-Jahr-Jubiläums ein Video an, in denen Highlights aus der Sammlung – unter anderem das Liebespaar – zu sehen waren. War es aber nicht, zumindest nicht auf Facebook. Denn der Inhalt wurde von der Plattform gesperrt.

Koloman Mosers "Liebespaar" von 1924 löste beim Facebook-Algorithmus Alarm aus.
Foto: Leopold Museum

2019 wollte die Albertina ein paar freizügige Rubens-Damen auf Instagram zu Bewerbungszwecken für eine Ausstellung einsetzen, aber das klappte erst nach mehreren Anläufen. Immerhin. Die Venus von Willendorf hatte es 2018 nämlich noch schwerer. Beziehungsweise eine Userin, die ein Foto der steinzeitlichen Statuette, die sich im Naturhistorischen Museum befindet, auf Facebook teilte. Ihr Account wurde gesperrt. Zu porno.

Einzelfälle?

Die Kunstzensur ging durch die Medien, das Unternehmen entschuldigte sich später und hob die Sperrung wieder auf. 2018 gab es in den Richtlinien des Unternehmens betreffend "Nacktheit und sexuelle Handlungen von Erwachsenen" noch keinen Passus, der behandelte, wie das Unternehmen mit künstlerischen Nacktdarstellungen umgeht. Heute gibt es einen, nicht zuletzt wegen vieler viral gegangener Geschichten zur Zensur von Kunst durch soziale Medien: "Außerdem sind Fotos von Gemälden, Skulpturen und anderen Kunstformen gestattet, die nackte Personen oder Figuren zeigen", heißt es dort.

"Venus von Willendorf": 2018 wurde eine Userin gesperrt, die ein Foto der steinzeitlichen Statuette auf Facebook teilte.
Foto: APA/HELMUT FOHRINGER

Wie konnte es dann vor wenigen Monaten das harmlose Liebespaar Kolo Mosers treffen, wenn doch Fotos von Gemälden gestattet sind? Facebook kommentiert auf Nachfrage keine Einzelfälle, besteht aber darauf, dass es sich genau darum handelt: Einzelfälle.

Wann der Algorithmus Kunst, die Nacktheit zeigt, löscht und wann nicht, hat längst nicht nur mit dem Bildinhalt selbst zu tun, sondern auch damit, wie dieser – zum Beispiel sprachlich oder mit der Verwendung von Hashtags – kontextualisiert wird oder ob der Account, der den Inhalt postet, zuvor schon "unangenehm aufgefallen" ist, sogenannte "strikes" erhalten hat.

"Es mag sein, dass es sich bei Löschungen um Fehler handelt", sagt Klaus Pokorny vom Leopold-Museum, das dasselbe Problem schon einmal mit einem Schiele-Akt hatte. "Wenn man aber mit der Plattform zu kommunizieren beginnen möchte, um sich zu erklären, ist das äußerst mühsam. Es gibt wenig Support, kaum Ansprechpartner."

Um sich medienwirksam Luft zu machen, schlossen sich unter anderem das Leopold-Museum, das Naturhistorische Museum und die Albertina einer Aktion von Wien Tourismus an. Um darauf hinzuweisen, dass Kunst von sozialen Medien immer wieder zensiert wird, wurde ein Onlyfans-Account angelegt. Onlyfans ist eine Plattform, auf der man nebst anderem erotische bis pornografische Inhalte gegen Bezahlung konsumieren kann. Dabei sollte erwähnt werden, dass die allermeisten Bilder, die nun auf diesem Onlyfans-Account zu sehen sind, niemals von Zensur in sozialen Medien betroffen waren. Auch bei den an der Aktion teilnehmenden Museen handelt es sich um solche, die verhältnismäßig selten mit algorithmischer Zensur sozialer Medien zu kämpfen haben.

Denn was bei der Albertina in den letzten drei Jahren zweimal vorkam (der Rubens-Fall und die kürzliche Löschung des Tiktok-Accounts wegen eines eher harmlosen Araki-Motivs), ist bei anderen wie der auf die feministische Avantgarde spezialisierten Sammlung Verbund an der Tagesordnung.

Zensur im Vorhinein mitdenken

"Die Zensur erfolgt bereits im Vorfeld, weil man gewisse Bilder schon gar nicht mehr in sozialen Medien teilt. Der Algorithmus unterscheidet ja nicht zwischen einem pornografischen und einem künstlerischen Impetus", beobachtet Leiterin Gabriele Schor. Und sie hat recht. Denn sobald es sich um "Bilder von realen nackten Erwachsenen" handelt, wie es andernorts in den Facebook-Richtlinien heißt, wird schnell einmal gelöscht, auch wenn es sich um "andere Kunstformen" handelt.

Annegret Soltau ("Vagina I", 1978) – dieses Bild entstand innerhalb der künstlerischen Bewegung der Feministischen Avantgarde. Beim Versuch, es auf dem Instagram-Account der Sammlung Verbund zu teilen, wurde es gelöscht.
Foto: Annegret Soltau, Bildrecht, Wien, 2021 / Courtesy of Institut Mathildenho¨he, Darmstadt / SAMMLUNG VERBUND, Wien

Für Künstler und Künstlerinnen, zu deren Arbeit Nacktheit gehört, bedeutet das, die mögliche Zensur bereits im Schaffensprozess mitzudenken, wenn sie in sozialen Medien überhaupt präsent sein wollen. Das geht zum Beispiel durch digitales Unkenntlichmachen der Geschlechtsmerkmale mittels Blurren oder Verpixeln – auch wenn selbst das kein Garant dafür ist, dass Bilder nicht doch gelöscht, Accounts gesperrt werden.

Gerade für aufstrebende Künstlerinnen und Künstler wie Sophia Süßmilch, die öfters nackte Körper abbildet, ist es kaum eine Option, im Bildmedium Instagram nicht präsent zu sein. "Seit ich das Medium verwende, werden meine Arbeiten gekauft, Galerien und Kuratoren sind wegen Instagram auf mich aufmerksam geworden. Es hat sich einfach als Sichtbarkeitsraum etabliert", sagt sie.

Gerade für aufstrebende Künstlerinnen und Künstler wie Sophia Süßmilch, die öfters nackte Körper abbildet, ist es kaum eine Option, im Bildmedium Instagram nicht präsent zu sein.
Foto: Sophia Süßmilch

Nicht zuletzt durch die Pandemie ist dieser Sichtbarkeitsraum noch einmal wichtiger geworden, auch davor war er für das Verdienen des Lebensunterhalts für junge Künstlerinnen und Künstler wichtig. Die Stimmen jener, die Instagram und Co tatsächlich zum Überleben brauchen, sollten stärker im Fokus des Zensurdiskurses durch soziale Medien stehen, den Wien Tourismus mit seiner Aktion anstoßen wollte. Und soziale Medien sollten sich die "Einzelfälle" genauer anschauen. (Amira Ben Saoud, 3.11.2021)