Lichtsignalanlagen sind gelegentlich der Auslöser für Unstimmigkeiten im Verkehr – zwei solche Fälle endeten in Wien aktuell sogar vor dem Strafgericht.

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Wien – Dass die motorisierte Fortbewegung in einer Großstadt wie Wien zuweilen für zwischenmenschlichen Unmut sorgt, ist der Preis der individuellen Mobilität. Am Dienstag werden derartige Auseinandersetzung aber gleich in zwei nebeneinanderliegenden Sälen des Straflandesgerichts Wien ein Fall für die Justiz: Es geht um Nötigung und Sachbeschädigung.

Den Auftakt bilden zwei Männer, die sich vor Richterin Katharina Bogner verantworten müssen. Genauer, ein Mann macht den Auftakt, da der 78-jährige Erstangeklagte nach einem Sturz am Vortag immobil ist, sein Verfahren wird daher ausgeschieden.

"Also, was war am 15. Juni?", wendet sich die Richterin daher an Zweitangeklagten Bojan N., einen 43-jährigen unbescholtenen Angestellten. "Ich bin mit dem Motorrad gefahren, meine Frau saß auf dem Rücksitz", lässt der Österreicher seine Schilderung übersetzen. "Bei einer Ampel bin ich bei Grün nicht gleich losgefahren, dann starb mir auch der Motor ab. Ich habe langsam, mit vielleicht 30 km/h, gewendet, um in die Gegenrichtung zu fahren", erzählt er weiter über sein Erlebnis auf der Praterstraße.

Dreimal geschnitten und abgebremst

"Richtung Praterstern hat der andere Herr mich dreimal geschnitten und bremste. Ich konnte jedes Mal ausweichen, aber fühlte mich bedroht. Ich dachte, er muss unter Drogen oder Alkohol stehen. Meine Frau hat die Polizei gerufen, bei einer roten Ampel am Praterstern bin ich dann abgestiegen. Ich bin vor dem Auto des Herrn gestanden, um ihn am Wegfahren zu hindern. Da fuhr er plötzlich an und traf mich am rechten Knie. Ich habe im Reflex dann einmal auf die Motorhaube geschlagen", sagt N., der sich der angeklagten Sachbeschädigung für schuldig bekennt – denn auf der Motorhaube entstand eine Delle.

"Haben Sie mit der Faust oder mit der flachen Hand auf das Auto geschlagen? Einmal oder mehrmals?", fragt Richterin Bogner. "Mit der flachen Hand. Einmal", versichert der Zweitangeklagte. Die von der Gattin alarmierte Polizei nahm den Zwischenfall auf, mit der Rettung wollte N. sich zunächst nicht abtransportieren lassen. "Im ersten Moment hat es nicht wehgetan. Erst um 17.30 Uhr bin ich ins Spital gefahren" – wo eine Knieprellung diagnostiziert wurde.

Fausttrommelwirbel auf dem Auto

Die 80 Jahre alte Lebensgefährtin des krankheitsbedingt verhinderten Erstangeklagten erzählt als Zeugin dagegen einen anderen Ablauf. "Wir sind auf der Praterstraße gefahren und wollten bei der Ampel wenden. Der Herr ist absichtlich so langsam gefahren, dass wir die Grünphase nicht mehr schaffen", ist sie überzeugt. Ihr Gatte habe überholen wollen, der Motorradfahrer habe aber ständig die Fahrstreifen gewechselt, ehe er bei einer Ampel stoppte. "Dann ist er heruntergestiegen und hat sich auf die Motorhaube gelegt und mit den Fäusten draufgetrommelt!", schildert die Pensionistin bildhaft.

Was sie offenbar nicht weiß: Die Ehefrau des Zweitangeklagten hat die Szenerie mit ihrer Handykamera gefilmt, nachdem sie die Exekutive gerufen hatte. Die Richterin hat sich – offenbar im Gegensatz zur Anklagebehörde – die Aufnahme besorgt und projiziert das kurze Werk im Saal an die Wand. Zu sehen ist: Der Erstangeklagte fährt an, berührt Zweitangeklagten N., und dieser schlägt daraufhin einmal mit der flachen Hand auf die Motorhaube.

Kein Drauflegen, kein Trommeln. "Ich glaube Ihnen, dass Sie aus Reflex und Angst so gehandelt haben", begründet Bogner ihren nicht rechtskräftigen Freispruch für N., die Richterin kann auch keinerlei Vorsatz für eine Sachbeschädigung entdecken.

Schwere Sachbeschädigung durch Retourfahrt an Ampel

Gleich anschließend an diese Entscheidung verhandelt Georg Olschak im Saal 301 gegen Franz K., es geht ebenfalls um ein Ampelereignis. Der 54-jährige Selbstständige soll am 18. April in der ebenfalls sehr stark befahrenen Prinz-Eugen-Straße an einer Lichtsignalanlage mit voller Absicht rückwärts gefahren sein und so den Klein-Lkw des hinter ihm haltenden Christian T. schwer beschädigt haben. Denn die Reparatur kostete 5.054,08 Euro – der Unterschied zwischen den Delikten "Sachbeschädigung" und "schwere Sachbeschädigung" beginnt bei 5.000 Euro.

K. versteht den Anklagevorwurf überhaupt nicht und bekennt sich mit Nachdruck nicht schuldig. Im Gegenteil, er sei das Opfer, da T. ihn damals von hinten gerammt habe. Aus seiner Sicht habe die Sache bereits einige Hundert Meter weiter vorne, auf dem Schwarzenbergplatz, begonnen. Auch dort war eine rote Ampel, Angeklagter K. stand auf der rechten Spur und musste nach links umspuren. "Ich habe geblinkt, das Auto neben mir ist losgefahren, dann habe ich die Spur gewechselt. Es war genug Platz, aber das hat dem Herrn scheinbar überhaupt nicht gepasst."

"Hat Tür aufgerissen und mich bespuckt"

T. sei über Sperrlinie und Straßenbahngeleise gefahren, habe ihn aber nicht überholt, sagt der Angeklagte. Die nächste Ampel habe freie Fahrt gezeigt, als er bei der dritten das Haltegebot befolgte, sie T. ihm aufgefahren. "Nicht schnell, aber so, dass man es gemerkt hat." – "Was haben Sie dann gemacht?", will Olschak von K. wissen. "Den Motor abgestellt und die Handbremse angezogen." – "Sind Sie ausgestiegen?" – "Nein, der andere Herr ist gleich zu mir gelaufen, hat meine Tür aufgerissen, mich bespuckt und beschimpft. Ich dachte, ich warte auf die Polizei."

"Warum sagt dann ein unbeteiligter Zeuge, der Fahrer des dritten Wagens in der Schlange, dass das Auto vor ihm einen Sprung nach hinten gemacht habe, obwohl der Lenker ausgestiegen war?", wirft der Richter ein. "Das muss ja dann der Heilige Geist gewesen sein oder ein selbstfahrendes Auto", demonstriert er theologische und technische Grundkenntnisse. K. sieht eine dritte Möglichkeit: "Die Straße geht dort bergauf, vielleicht hat er die Handbremse nicht angezogen?"

Zeuge T., ebenfalls Unternehmer und 67 Jahre alt, bestreitet das bei seiner Einvernahme entschieden. K. habe ihn am Schwarzenbergplatz rechts überholt und so geschnitten, dass er auf die Gegenfahrbahn ausweichen musste. Bei der nächsten roten Ampel habe K. ihn beschimpft, den Retourgang eingelegt und sei aus eineinhalb bis zwei Metern frontal gegen den Firmenbus des Zeugen gedonnert, der dadurch nach hinten geschoben worden sei. Trotz eingelegten Ganges und angezogener Feststellbremse. K.s Verteidigerin Sabine Mantler hält das angesichts der Gewichtsverhältnisse der beiden Fahrzeuge physikalisch für unmöglich.

Klein-Lkw bewegte sich 30 Zentimeter

Der unbeteiligte Dritte ist bei der Wahrheitsfindung leider keine große Hilfe, da er sich nicht mehr an allzu viel erinnern kann. Der Klein-Lkw sei zunächst 40 Zentimeter vor seinem Auto gestanden, danach nur noch 15 Zentimeter. Er habe auch einen Knall gehört, weiß aber nicht mehr, ob zu diesem Zeitpunkt keiner, einer oder beide Lenker bereits ausgestiegen waren.

Staatsanwältin und Verteidigerin stimmen überein, dass ein Sachverständiger für Verkehrsunfälle nötig ist, um in einem Gutachten zu klären, wer nun in wen gedonnert ist. Olschak gibt den Anträgen statt und vertagt auf unbestimmte Zeit. (Michael Möseneder, 3.11.2021)