Atomstrom kann keinen Beitrag zur Eindämmung des Klimawandels erbringen, sagt der Biologe Peter Weish im Gastkommentar.

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Die Kühltürme des Atomkraftwerks Golfech in Frankreich.
Foto: Reuters / Stephane Mahe

Im Oktober 2019 veranstaltete die Internationale Atomenergie-Organisation in Wien eine Konferenz zu Klimawandel und der Rolle der Kernkraft. In der Ankündigung hieß es: "Kernenergie kann einen signifikanten Beitrag zur weltweiten Reduktion der Emission von Treibhausgasen leisten, gleichzeitig den steigenden Energiebedarf einer wachsenden Weltbevölkerung erbringen und eine nachhaltige Entwicklung unterstützen. Kernenergie hat ein beträchtliches Potenzial, den Herausforderungen des Klimawandels zu begegnen indem sie Elektrizität, Heizenergie und Hochtemperaturwärme für industrielle Prozesse bereitstellt, und das mit beinahe Nullemissionen an Treibhausgasen."

Ist dieses – auch zuletzt immer wieder propagierte – Versprechen realistisch? Was sind die wesentlichen Erfordernisse angesichts des Klimawandels, die weitgehend deckungsgleich mit den jahrzehntealten Forderungen nach einer notwendigen Energiewende sind?

Es geht um eine dramatische Reduktion der Verbrennungsprozesse und damit eine Verringerung der CO2-Emissionen und das möglichst rasch. Parallel dazu ist möglichst viel Kohlenstoff zu binden – in sogenannten CO2-Senken. Soll mit Atomkraft das Klima "gerettet" werden, so ist zu fragen: Welche Kraftwerkskapazitäten sind dafür erforderlich?

Bescheidener Ertrag

Elektrizität macht derzeit circa 20 Prozent des Weltenergieumsatzes aus, davon stammen circa zehn Prozent aus Atomkraftwerken, wobei diese Angabe insofern täuscht, als dabei die beachtlichen energetischen und materiellen Vorleistungen nicht eingerechnet sind, ebenso wenig die Nachleistungen des langfristigen Abfallmanagements. Um wesentliche Anteile an fossilen Brennstoffen mittels Kernenergie zu substituieren, ist eine vielfache Kernenergiekapazität erforderlich.

Wie rasch kann diese Kapazität errichtet werden? Wie sieht der Netto-Energie-Ertrag eines expandierenden Atomenergiesystems aus?

Dazu gibt es schon seit langer Zeit Kalkulationen, die ergeben, dass in ein Atomenergiesystem mit fünf Jahren Verdopplungszeit (mehrere solcher Verdopplungsschritte wären zur "Klimarettung" erforderlich) jahrzehntelang mehr Energie investiert werden muss als herauskommt. Die energetischen Vorleistungen sind für den Uranabbau, Anreicherung, Kraftwerksbau (Stahl, Zement und viele andere wertvolle Materialien) erforderlich, und wegen der langen Errichtungszeit von Atomkraftwerken (rund zehn Jahre) beginnt erst mit dieser Verzögerung Strom zu fließen. Doch muss bereits nach fünf Jahren Energie (und Material) in die weitere Verdoppelung der Infrastruktur der Atomindustrie investiert werden.

Selbst unter optimistischen Annahmen ist ein solches expandierendes Atomenergiesystem jahrzehntelang kein Energielieferant, sondern ein Energieverbraucher. Eine derart große Atomkraftkapazität verbraucht in wenigen Jahren die Uranerze mit hohem Urangehalt und ist auf ärmere Erze angewiesen, was den Energieaufwand zur Erzeugung des Kernbrennstoffs so stark erhöhen würde, dass eine direkte Verbrennung der fossilen Energieträger weniger CO2-Emissionen ergeben würde als über den Umweg Atomkraft.

Exorbitante Kosten

Allein diese Überlegungen zeigen auf, dass selbst unter Vernachlässigung aller Gefahren, aber auch der exorbitanten Kosten und technischer Hindernisse Atomstrom keinen Beitrag gegen den Klimawandel erbringen kann. Uran ist zudem ein erschöpflicher Rohstoff, der als Basis einer zukunftsfähigen Energieproduktion daher überhaupt nicht infrage kommt. Da wird dann von Kernenergie als Übergangslösung gesprochen. Das würde bedeuten, dass nach einer langen Wachstumsphase die gewaltige, teure Infrastruktur der Atomindustrie nicht nur nutzlos wäre, sondern exorbitantes Kapital gebunden hätte und wertvolle Materialien als radioaktiver Schrott jeder Wiederverwertung entzogen wären.

Wesentlich für die Frage nach Atomstrom als Klimaretter sind die Kosten der CO2-Vermeidung und ihre zeitliche Wirksamkeit. Während ein Atomkraftwerk erst nach zehnjähriger Bauzeit beginnt, die aufgewandte Energie zurückzuzahlen, wirken Maßnahmen zur Effizienzsteigerung kurzfristig und verringern die CO2-Emissionen wesentlich billiger, und das verbunden mit Nebennutzen.

Voraussetzung einer zukunftsfähigen Entwicklung ist jedenfalls die möglichst rasche Transformation der technisch-zivilisatorischen Infrastruktur in Richtung eines sparsamen Umgangs mit Energie und Rohstoffen. Geld in einen jahrzehntelangen Ausbau der Atomwirtschaft zu stecken statt in den direkten Umbau im Sinne einer Energiewende ist daher hochgradig kontraproduktiv und gerade das Gegenteil eines Beitrags zur "Klimarettung". (Peter Weish, 3.11.2021)