Republikaner Glenn Youngking umwarb gezielt auch Gruppen, die Donald Trump verschreckt hatte – mit Erfolg.

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Es kann immer auch schlimmer kommen. Die Maxime der US-amerikanischen Politik hat sich am Dienstag wieder einmal für die US-Demokraten bewahrheitet. Damit, dass die Gouverneurswahl in Virginia, dem zuletzt verlässlich "blauen" Ostküstensüdstaat knapp ausgehen könnte, hatten sich viele schon abgefunden. Und wohl auch damit, dass man das Votum womöglich verlieren würde.

Nun ist es nicht einmal besonders knapp geworden – und das trifft viele hart: Mehr als zwei Prozentpunkte liegt der politisch unerfahrene republikanische Quereinsteiger Glenn Youngkin vor dem Ex-Gouverneur Terry McAuliffe, einem Schwergewicht der Demokraten. Vielleicht schmilzt der Abstand im Zuge der Auszählung noch ein wenig. Doch die Niederlage in einem Staat, den Joe Biden vor einem Jahr noch mit zehn Prozentpunkten Vorsprung gewann – sie bleibt. Neben dem Gouverneurssitz ging auch jener des eigens gewählten Vizegouverneurs verloren und die Mehrheit im Repräsentantenhaus Virginias.

Doch damit nicht genug: Auch in New Jersey, wo Biden 16 Punkte Vorsprung hatte, stand es Stunden nach Beginn der Auszählung noch Spitz auf Knopf. Gouverneur Phil Murphy, der Demokrat, hatte dort mit einem klaren Sieg gerechnet. Auch Umfragen hatten diesen vorausgesagt. Am Ende musste er hoffen, dass die noch wenigen nicht ausgezählten Stimmen aus demokratischen Hochburgen ihn zumindest vor der Niederlage bewahren würden.

Die Regierungspartei stellt sich selbst ein Bein

Das alles mag man regionalen Faktoren zuschreiben, in New Jersey auch dem sichergeglaubten Sieg, der die Mobilisierung für die Demokraten erschwerte. Allerdings: Auch anderswo, wo nur punktuell gewählt wurde, ging der Trend in die gleiche Richtung. Bei Rennen zur Nachbesetzung vakanter Sitze in den Parlamenten anderer Bundesstaaten bestätigte sich eine Wählerverschiebung von bis zu zehn Prozentpunkten zugunsten der Republikaner. Immerhin in New York City siegte noch der Demokrat Eric Adams im Rennen um den Bürgermeistersessel, in Minneapolis der Amtsinhaber Jacob Frey. Letzterer allerdings gegen zwei andere Demokraten. Die Volksabstimmung zur Auflösung der Polizeibehörde und zu ihrem Ersatz durch ein Amt für öffentliche Sicherheit ging dort mit 56 zu 44 Prozent unter. Sie war eine der Kernforderungen der Black-Lives-Matter-Bewegung.

Die Midterm-Elections im kommenden Jahr werden die zweite Hälfte der Biden-Präsidentschaft bestimmen. Die Vorzeichen dafür sehen nun denkbar schlecht aus. Was aber haben sich die Demokraten zuschulden kommen lassen, um so viel Vertrauen zu verspielen? Wenig Konkretes. Und doch ist da viel Enttäuschung: Die Partei hatte mit Kompetenz geworben und diese mit dem Chaos kontrastiert, das im Weißen Haus unter Bidens Vorgänger Donald Trump geherrscht hatte. Nun liefert sie seit Monaten ein Schauspiel, das das Gegenteil nahelegt: Vertreter des rechten und der linken Parteiflügels bekriegen sich im Kongress, riesige Finanzierungspakete für die Infrastruktur, für das Sozialsystem, gegen den Klimawandel kommen nicht weiter. Genau sie aber sollten den Kern der Biden'schen Regierung ausmachen, das politische Vermächtnis des 78-Jährigen.

Eindruck der Machtlosigkeit

Dass das schwierig werden würde, mag Beobachtern der politischen Szene in den USA schon im Vorhinein klar gewesen sein. Wählerinnen und Wähler aber, die sich nur gelegentlich mit der amerikanischen Politik beschäftigen, mussten die Versprechen aus dem Wahlkampf glauben. Biden und viele Demokraten hatten damals sogar noch viel mehr in Aussicht gestellt, als das, was die derzeit brachliegenden Gesetzespakete bringen würden.

Das Volk sieht einstweilen, dass die Corona-Pandemie in den USA weiter wütet, obwohl Biden ihr Ende versprochen hatte. Verantwortlich dafür mag weniger der Präsident sein als die Delta-Variante und jene vielen Menschen, vor allem in republikanischen Staaten, die sich nicht impfen lassen. Am Resultat aber ändert dies nichts.

Die Inflation mag eine Folge der schnellen wirtschaftlichen Erholung sein, aber sie galoppiert der Regierung davon – und mit ihr vielen Wählerinnen und Wähler ihre Ersparnisse. Biden wirkt machtlos und unfähig, Dinge umzusetzen, ebenso seine Partei. Der Abzug aus Afghanistan hat diesen Eindruck verschärft, auch wenn er nur wenige Wählerinnen und Wähler direkt betrifft.

Die Demokraten haben dem in ihren Wahlkämpfen wenig entgegengesetzt. Sie konnten kaum inhaltliche Akzente setzen und argumentierten vor allem mit der Warnung vor einer Rückkehr Donald Trumps, der freilich nirgendwo am Stimmzettel stand. Seine häufige Erwähnung dürfte Demokraten deshalb nicht motiviert haben, zu den Urnen zu gehen, wohl aber die Anhänger des Ex-Präsidenten.

Zugleich gelang es den Republikanern, sie mit Themen aus dem Fundus des Kulturkampfes anzugreifen. Glenn Youngkin kündigte an, im Falle seiner Wahl die "critical race theory" aus dem Schulen zu verbannen. Diese Form der Aufarbeitung der US-Geschichte steht ohnehin in Virginia nirgendwo auf dem Schullehrplan. Sie eignet sich als Schreckgespenst aber gut zur Mobilisierung harter Rechter – aber auch von Wählerinnen und Wählern aus der Mitte. Dass viele Republikaner zugleich Schulen untersagen wollen, überhaupt die Zeit der Sklaverei im Unterricht zu behandeln, geriet dabei in den Hintergrund.

Trumpismus geht auch ohne Trump

Nun ist es natürlich so, dass sich die Demokraten zurecht dafür einsetzen, dass Schulen die Lehrpläne festlegen, darüber hinaus Expertinnen und Experten, aber jedenfalls nicht Eltern allein. Wenn diese Forderung aber als einziges Wahlthema hängenbleibt, weil man bei der Umsetzung populärer Sozialprogramme nicht weiterkommt – dann motiviert das auch die eigenen Anhängerinnen und Anhänger nicht dazu, an die Urnen zu schreiten.

Es bleibt allerdings auch eine Lehre für die Republikaner. Youngkin und mehrere weitere Kandidaten distanzierten sich im Wahlkampf zwar nicht von Trump – sie luden ihn aber aus gutem Grund auch nicht zu Wahlveranstaltungen ein. Kurzum: Sie versuchten ihn aus dem Wahlkampf herauszuhalten. Die Folge sind teils drastische Verschiebungen bei bestimmten Wählergruppen: 50 Prozent aller weißen Frauen in Virginia wählten 2020 Trump, 57 Prozent wählten diesmal Youngkin (der sich auch in der Frage der Abtreibung kompromissbereit präsentierte). Auch mehr Schwarze und Latinos machten diesmal ihr Kreuz bei den Republikanern.

Das legt den Schluss nahe, dass der Trumpismus ohne seinen polarisierenden Namensgeber besser funktionieren könnte. Wenn auch das Auswirkungen auf die Taktik der Partei 2022 und bei der Präsidentenwahl 2024 hat, wäre das womöglich eine schlechte Nachricht für die Demokraten – aber eine zumindest nicht ganz schlechte für die US-Demokratie. (Manuel Escher, 3.11.2021)