Die Ökosysteme im Mittelmeer verändern sich durch das wärmer werdende Wasser und die Einwanderung tropischer Arten.
Foto: Alexandre Rotenberg / imago / robertharding

Umweltschutz wird im Mittelmeer wieder besonders wichtig. Einerseits bewirken Fischerei und Überdüngung einen Artenrückgang, andererseits machen sich hier immer mehr tropische Arten breit, denen die steigende Wassertemperatur im Zuge der globalen Erwärmung zugutekommt. Das verändert die Ökosysteme im östlichen Mittelmeer dramatisch, wie auch eine aktuelle Studie zeigt.

Dabei wurde die Lage an der israelischen Mittelmeerküste unter die Lupe genommen. Durch den Suezkanal eingeschleppte Exoten aus dem Roten Meer gedeihen dort aufgrund immer wärmerer Wassertemperaturen prächtig. Sie verdrängen dabei nicht durch direkte Konkurrenz einheimische Arten, sondern besetzen vielmehr freie Nischen, berichtet ein internationales Forschungsteam um Jan Steger vom Institut für Paläontologie der Universität Wien im Fachjournal "Global Ecology and Biogeography".

Seit Eröffnung des Suezkanals im Jahr 1869 kommt es zu einem Austausch von Lebewesen zwischen dem Mittelmeer und dem Roten Meer. Vor allem tropische Arten aus dem Roten Meer wandern ins Mittelmeer. Das bezeichnen Fachleute als "Lessepssche Migration", benannt nach dem Erbauer des Kanals, dem französischen Diplomaten Ferdinand de Lesseps.

Der Suezkanal, der Mittelmeer und Rotes Meer verbindet, sorgt seit 1869 auch für einen Artenaustausch.

Kollaps mediterraner Arten

Dadurch – und durch den fortschreitenden Kollaps mediterraner Arten – verändern sich die Flachwasser-Ökosysteme in der Region der Forschungsgruppe zufolge besonders tiefgreifend. Die Auswirkungen der Invasoren auf die ansässige Fauna und die Funktion der Ökosysteme lassen sich aber nur verstehen, wenn man ihre Eigenschaften wie Lebensweise oder Ernährung mit jenen der heimischen Fauna vergleicht. Das Problem dabei ist der lange Zeitraum des Prozesses.

"Wir sehen heute das Ergebnis einer jahrzehntelangen massiven ökologischen Transformation, wussten aber nicht, wie dieses zustande gekommen ist", erklärt der Paläontologe Paolo Albano, der ein vom Wissenschaftsfonds FWF gefördertes Projekt zu dem Thema geleitet hat, in einer Aussendung der Universität Wien. Um die Auswirkungen der Lessepsschen Migration zu verstehen, hat sich die Forschungsgruppe auf die Untersuchung von Weichtieren (Mollusken) wie Muscheln und Schnecken konzentriert.

Ihre artspezifischen Kalkschalen bleiben nach dem Tod der Tiere oft für Jahrzehnte bis Jahrtausende am Meeresboden erhalten. Sie bilden dort natürliche Archive, "die altersdatiert werden können und eine Rekonstruktion der Artenzusammensetzung vor Öffnung des Suezkanals bzw. aus frühen Phasen der Invasion erlauben", sagt Steger. Der geografische Fokus der Studie lag dabei auf der Mittelmeerküste Israels, einer der Regionen mit den meisten eingeschleppten Arten.

Klimaschutz kann Ausbreitung verhindern

Die Fachleute entnahmen in dieser Region Proben und analysierten sowohl die dort lebenden Weichtiergemeinschaften als auch am Meeresboden abgelagerte Schalenreste. Sie konnten dabei funktionelle Unterschiede zwischen den einheimischen und tropischen Arten seit Beginn der Invasion nachweisen. "Das legt nahe, dass das fortschreitende Verschwinden einheimischer Arten wohl nicht primär auf direkte biologische Konkurrenz zurückzuführen ist", sagt Steger. Es bedeute aber auch, dass die heutigen, von tropischen Arten dominierten Lebensgemeinschaften sich funktionell stark von jenen der Vergangenheit unterscheiden.

Vor der israelischen Küste findet sich unter anderem die tropische Flügelschnecke (Conomurex persicus), eine indopazifische Art.
Foto: Jan Steger

Die Forschungsgruppe geht davon aus, dass die Veränderungen der Fauna durch die zunehmende Erwärmung des Wassers und den weiteren Ausbau des Suezkanals regional immer weitreichender werden und in Zukunft auch andere Sektoren des Mittelmeers erfassen könnten. Dies sei nur durch konsequenten Klimaschutz zu verhindern, "denn es ist vor allem die fortschreitende Erwärmung, die den einheimischen Arten zum Verhängnis wird, während sie gleichzeitig die Ausbreitung tropischer Arten begünstigt", sagt Albano.

Dabei droht die Gefahr, das Ökosystem aus der Balance zu bringen. Genaue Vorhersagen lassen sich schwer treffen. Es gibt allerdings Hinweise darauf, dass eine Veränderung der dominanten Algenarten auch die Kohlenstoffbilanz beeinflussen dürfte. Eine Studie aus dem vergangenen Jahr zeigt etwa, dass im gleichen Mittelmeerbereich die einheimischen Braunalgen zunehmend von Rotalgen verdrängt werden. Während die Braunalgenwälder Kohlenstoff binden, haben die tropischen Rotalgengemeinschaften eine geringere Biomasse und stellen netto sogar eine CO2-Quelle dar. (red, APA, 3.11.2021)