Vor 126 Jahren, am 8. November 1895, entdeckte Wilhelm Conrad Röntgen die nach ihm benannten Röntgenstrahlen. Er war nicht der Erste, der diese neue Art der Strahlung beobachtete, jedoch war er der Erste, dem die Nützlichkeit dieser Strahlen bewusst wurde. Heute werden Röntgenstrahlen nicht nur in der Medizin als Diagnoseinstrument eingesetzt, sondern auch in den unterschiedlichen Gebieten der Physik wie zum Beispiel in der Kristallstrukturanalyse oder bei Röntgenteleskopen.

Wie entsteht Röntgenstrahlung?

Röntgenstrahlen können, so wie Licht, entweder als eine elektromagnetische Welle oder als Teilchen  – Photonen  – beschrieben werden. Die Wellenlänge von Röntgenstrahlen ist ungefähr zehn bis 1.000 Mal kleiner als die von sichtbarem Licht (rot: 800 Nanometer bis violett: 400 Nanometer). Das sind ein paar Pikometer, was einem Millionstel der Breite eines Kopfhaares entspricht. Da Wellenlänge und Energie indirekt proportional zueinander sind, ist die Energie von Röntgenstrahlen zehn bis 1.000 Mal größer als die von sichtbarem Licht.

Um Röntgenstrahlen zu erzeugen, wird normalerweise eine Röntgenröhre verwendet. Diese Röhre besteht aus einem Glasbehälter mit einem Filament oder einer Glühwendel darin – ähnlich wie in einer Glühbirne – durch die Elektronen fließen (also Strom). Durch eine angelegte hohe Spannung werden die Elektronen aus dem Filament in Richtung einer dicken Metallplatte beschleunigt. Anders gesagt, die Spannung gibt den Elektronen die notwendige Energie, um aus dem Filament herauszukommen, und werden durch die Metallplatte stark angezogen.

Dabei gibt es zwei Mechanismen für die Entstehung der Strahlung, die im Bild unten schematisch dargestellt sind. Beim ersten werden die Elektronen durch die Nähe der Atomkerne im Metall abgebremst und abgelenkt, dabei verlieren sie Energie, die in Form von Röntgenstrahlung (Bremsstrahlung) an die Umgebung abgegeben wird. Diese Strahlung wird in der Medizin eingesetzt. Beim zweiten Mechanismus können die beschleunigten Elektronen auch andere Elektronen aus den inneren Atomschalen des Metalls herausschlagen¹. Das führt dazu, dass Plätze in den Schalen mit niedriger Energie frei werden und Elektronen aus äußeren Schalen in diese leer gewordenen Stellen runterfallen. Die zusätzliche Energie, die diese Elektronen aus höheren Schalen besitzen, wird beim Runterfallen in Form der charakteristischen Röntgenstrahlung abgegeben. Diese wird in der Materialforschung benutzt, da diese sehr spezifische (diskrete) Energiewerte hat..

Enstehung und Anwendungen von Röntgenstrahlung.
Foto: Navarro-Quezada/Spindlberger

Röntgen am Körper

Wenn wir in die Zahnarztpraxis oder zum Radiologie-Institut gehen und eine Röntgenaufnahme gemacht wird, absorbiert unser Körper Röntgenstrahlen, die in unserem Körper eindringen. Die Intensität der Strahlen nimmt dann exponentiell mit der im Material zurückgelegten Länge ab. Das bedeutet: je tiefer, desto weniger dringen die Röntgenstrahlen ein.

Eine wichtige Rolle spielen dabei auch die Materialien, aus denen der Körper besteht: Knochen, Gewebe, Blut, und so weiter. Denn diese Materialien haben unterschiedliche Absorptionskoeffizienten, die bestimmen, wie gut die Strahlung absorbiert wird und wie tief diese dann eindringt. Dieser Koeffizient ist umso größer, je größer der Atomkern ist. Zum Beispiel: Sauerstoff (aus dem unser Gewebe größtenteils besteht) hat einen Kern mit acht Protonen und acht Neutronen, während Kalzium (ein wichtiger Bestandteil unserer Knochen) einen Kern mit zwanzig Protonen und zwanzig Neutronen hat. Somit absorbiert das Kalzium in unseren Knochen die Röntgenstrahlung besser als das Gewebe rundherum. Dieser Effekt wird beim Erstellen eines Röntgenbildes ausgenutzt, denn dieses bildet die Intensität der absorbierten Röntgenstrahlung im Körper ab. Stellen, an denen viel Strahlung ankommt, sind dunkel, wohingegen Stellen, an denen kaum Strahlung ankommt, hell sind. Das Ergebnis: die Knochen werden in einem Intensitätsbild mit einem hohen Kontrast zu dem umliegenden Gewebe abgebildet.  

Der Kontrast zwischen verschiedenen Gewebearten ist jedoch nicht so hoch, daher können zum Beispiel Sehnenrisse oder Bänderverletzungen durch ein Röntgenbild nicht diagnostiziert werden. Mit der modernen Computertomografie, dessen mathematische Grundlagen vom österreichischen Physiker Johannes Radon erstellt wurden, können nicht nur einzelne zweidimensionale Bilder erzeugt werden, sondern eine ganze Sammlung zweidimensionaler Bilder, die Scheibenweise eine räumliche Rekonstruktion eines Körperteiles erlauben, was die Diagnostik erleichtert. Beeindruckende Computertomografie-Bilder in 3D können im neuen Anatomiesaal MED Space der Johannes-Kepler-Universität in Linz betrachtet werden.

Thorax-Röntgenaufnahme.
Navarro-Quezada

Röntgen bei Festkörpern

Bei der Kristallstrukturanalyse von Festkörpern kommen Röntgenanalysen ebenfalls standardmäßig vor. Die gängigste Methode ist dabei die Röntgenbeugung. Hierzu wird ausgenutzt, dass die Wellenlänge in der gleichen Größenordnung wie die Atomabstände im Kristall ist, was eine Bedingung für die Beugung² ist. Wie im Bild unten schematisch gezeigt wird, fallen die Strahlen in einem zuvor gewählten Winkel auf die Probe und werden an den einzelnen Atomen des zu untersuchenden Materials – oder besser gesagt von den Elektronenwolken rund um den Atomkern – gebeugt beziehungsweise abgelenkt. Das beim Detektor aufgenommene Bild zeigt ein Interferenzmuster: Wenn sich die gebeugten Strahlen überlagern, verstärken sie sich (Maxima) oder sie löschen sich gegenseitig aus (Minima).

Durch die Änderung des Einfallswinkels und Detektionswinkel bei der Messung entsteht ein für den jeweiligen Kristall charakteristisches Muster. Mithilfe des Beugungsmusters können Kristallatomabstände, Dichten von Defekten, Materialkonzentrationen und Verspannungen im Kristall bestimmt werden. Ein Beispiel für so ein Beugungsmuster ist im Bild dargestellt, wo die Verschiebung des Maximums durch das Hinzufügen von Aluminium in einem Galliumnitrid Kristall gezeigt wird: Je höher die Aluminium-Konzentration im Kristall ist, desto größer der Beugungswinkel.

Röntgenbeugung und Bestimmung der Aluminium-Konzentration in Galliumnitrid.
Grafik: Spindlberger/Navarro-Quezada

Für die Röntgenbeugung reicht meist eine Wellenlänge aus, wohingegen für andere Methoden, wie zum Beispiel die Röntgenabsorptionsspektroskopie, die Wellenlängen variiert werden muss. Da eine normale Röntgenröhre nur eine charakteristische Wellenlänge erzeugt, ist für dieses Experiment ein Besuch am Synchrotron notwendig. Aufgrund des Variierens der Wellenlängen kann bei dieser Methode anstelle der Beugung die Absorption von unterschiedlichen Atomen im Kristall betrachtet werden und es wird ein für den jeweiligen Festkörper charakteristisches Bild aufgenommen. Durch diese Analyse können zum Beispiel die genauen Positionen von Fremdatomen im Kristall gefunden werden.

Also, egal ob in der Medizin oder in der Physik, Röntgenstrahlen sind eine der bemerkenswerten Entdeckungen der Menschheit, deren Nutzen und Vielfältigkeit unser tägliches Leben, nicht nur in der Wissenschaft, noch weitere Jahre unterstützen werden. (Andrea Navarro-Quezada, Anna Spindlberger, 8.11.2021)

Fußnoten

¹ Jedes Atom besteht aus einem Kern und mehreren Elektronenschalen, wobei die Elektronenschalen ganz nahe am Atomkern die geringste Energie besitzen und daher häufiger mit Elektronen gefüllt sind als Schalen, die weiter vom Kern entfernt sind.

² Als Beugung bezeichnet man in der Physik die Ablenkung einer Welle an einem Hindernis, was mitunter der Grund ist, warum wir Schall um die Ecke hören können. Hier gibt es eine anschauliche Erklärung. Reflexion hingegen ist das Zurückwerfen der Welle von einem Hindernis (zum Beispiel Spiegel).

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