Die Statistik Austria wird in Zukunft mächtiger: Sie wird um das Austrian Micro Data Center (AMDC) erweitert und soll Forschungsinstitutionen Zugriff auf Daten gewähren.

Foto: APA/HERBERT NEUBAUER

Der schlechte Datenzugriff in Österreich soll ein Ende finden, verspricht ein neues Gesetz, das die Regierung im Juli erstmals vorstellte. Doch damit verknüpft sei – auch nach Ende der Begutachtung – ein Angriff auf den Datenschutz. So sehen es zumindest mehrere bekannte Datenschützer, darunter etwa Max Schrems oder die NGO Epicenter Works, aber etwa auch Gabriele Zgubic-Engleder von der Konsumentenschutzabteilung der Arbeiterkammer Wien. In einem offenen Brief rufen sie Abgeordnete des Nationalrats und des Bundesrats auf, es nicht zu beschließen. Gleichzeitig fordern zahlreiche Forschende in einem anderen Brief auf, es wohl zu tun. Aber von Anfang an: Worum geht es eigentlich?

Die Datenlage im Land wird schon seit Jahren als mangelhaft kritisiert. Nicht weil keine Informationen erhoben würden – eher fehlt ein Mechanismus, um sie zur Verfügung zu stellen. Forschende mussten sich deswegen etwa in puncto Pandemie auf Informationen aus anderen Ländern verlassen.

Das soll ein neues Gesetz ändern: Über das sogenannte Austrian Micro Data Center (AMDC), eine neue Anlaufstelle in der Statistik Austria, sollen Forschungsinstitutionen Zugriff auf Daten erhalten.

Daten verknüpfen

So sollen sie künftig Infos aus diversen öffentlichen Stellen verknüpfen können. Berechtigt sind Einrichtungen mit dem Schwerpunkt in der Forschung. Das schließe aber nicht aus, dass privatwirtschaftliche Interessen erforscht werden könnten, merkt Thomas Lohninger von der Grundrechts-NGO Epicenter Works im STANDARD-Gespräch an. "Die Statistik Austria prüft nicht, ob die Forschung im öffentlichen Interesse stattfindet", sagt er – etwa mit entgeltlichem Auftrag. "Berechtigt sind theoretisch auch Banken, Thinktanks, Ministerien und so weiter – hier gibt es keine ordentliche Trennung", so Lohninger.

Dazu käme, dass künftig keine Anonymisierung mehr gewährleistet sei, sofern einzelne Datensätze über Personen bekannt seien. "Weiß man zum Beispiel, dass eine Oppositionspolitikerin bei einem Untersuchungsausschuss an Corona erkrankt ist, von Beruf Abgeordnete, kann man sie leicht aus dem bestehenden Datenschatz herauspicken", erläutert er. Plötzlich könne man dann in zahlreichen Registern Informationen über sie sammeln. Diese fehlende Anonymisierung verstoße nach Ansicht von Lohninger und dem Datenschützer Christof Tschohl gegen die Datenschutzgrundverordnung (DSGVO).

28 Wissenschafter

Ein Argument, dem Harald Oberhofer, Ökonomieprofessor an der WU Wien, nicht zustimmt. Nicht nur enthalte die DSGVO eine Öffnungsklausel, wonach Individualdaten für Forschungszwecke zugänglich gemacht werden können. Die Kontrolle durch die Statistikbehörde garantiere darüber hinaus, dass nur Daten publiziert würden, die auch wirklich anonym seien.

Im Wesentlichen orientiere sich der Entwurf an der Praxis in Ländern wie Dänemark, Frankreich oder den Niederlanden, so Oberhofer. Er ist einer von 28 Unterzeichnern eines offenen Briefes, in dem sich Forscher für die vorgelegte Gesetzesnovelle aussprechen. Der Zugang zu Daten sei "prozedural, technisch und rechtlich so umgesetzt, dass alle maßgeblichen Datenschutzvorgaben gewahrt bleiben", betont man. Neben Oberhofer gehören etwa Wifo-Chef Gabriel Felbermayr, Peter Klimek vom Complexity Science Hub und die Arbeitsmarktökomin Andrea Weber zu den Unterzeichnern.

Protokollierung verwässert

Lohninger fehlt im Bezug auf die Veröffentlichung von Daten eine unabhängige Kontrollinstanz abseits der Statistik Austria. Es brauche einen "wissenschaftlichen Beirat aus Wissenschaftern und Datenschützern", fordert er. Die Statistikbehörde habe im aktuellen Entwurf ein ökonomisches Interesse daran, Zugriffe zuzulassen – weil sie Geld dafür erhalte. Dazu käme, dass die Pflichten zur Protokollierung im neuen Gesetz aufgeweicht würden. Mussten Zugriffe auf personenbezogene Daten zuvor "lückenlos" aufgezeichnet werden, sieht das neue Gesetz vor, dass sie "im Hinblick auf ihre Zulässigkeit im notwendigen Ausmaß nachvollzogen werden können". Die Zugriffe würden zudem nur stichprobenartig geprüft. Lohninger sieht großes Potenzial für Missbrauch – auch politisch. "So ein Datenberg weckt Begehrlichkeiten. Erst vor einiger Zeit gab es laute Debatten über ihre Zugehörigkeit zum Bundeskanzleramt und einen türkisen Einfluss", merkt er an. (Muzayen Al-Youssef, Julia Beirer, Aloysius Widmann, 4.11.2021)