Sie durften niemandem sagen, was sie tun ...

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... europäische Juden im geheimen US-Militärstützpunkt.

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Der Wiener Peter Weiss heuerte bei der U.S. Army an.

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Benji (links) und Jono Bergmann über "Camp Confidential": "Der Ausgangspunkt war ein Artikel in einer Zeitung, den unser Vater uns geschickt hat. Wir haben uns dann auf die Reise gemacht, um Überlebende vor die Kamera und ans Mikrofon zu bekommen. Bei Arno Mayer in Princeton funktionierte es auf Anhieb. Bei Peter Weiss mussten wir alle Peter Weiss' in New York durchtelefonieren, bis wir an den Richtigen geraten sind."

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Sie mussten schwören, niemandem zu sagen, wo sie sind und was sie tun, nicht einmal ihren Eltern, wurde Peter Weiss (95) und Arno Mayer (95) gesagt. Weiss und Mayer flüchteten als Jugendliche vor den Nazis aus Europa nach Amerika, heuerten wie viele andere auch bei der U.S. Army an, waren bereit, gegen jene zu kämpfen, die die Juden auslöschen wollten.

Doch statt an die Front werden sie nach ihrer Ausbildung in ein Militärcamp südlich von Washington gebracht. An einen Ort ohne Namen, dafür mit Swimmingpool und Tennisplätzen. Adresse: PO Box 1142. Dorthin wurden Soldaten der Wehrmacht und hochrangige Offiziere gebracht. Und mehr als 1.600 Wissenschafter, darunter etwa Raketentechniker Wernher von Braun oder auch Heinz Schlicke von der NS-Kriegsmarine. Angeklagt für ihre Taten wurden sie nie.

Nett zu den Feinden sein

Wie Kriegsgefangene wurden diese Nazis dort nicht behandelt. Der Auftrag an die aus Europa geflüchteten Juden lautete: zu den Feinden freundlich und nett sein, sie hofieren, um ihnen Informationen zu entlocken, die den Amerikanern nützlich sein könnten. Ziel war auch, sie und damit ihr Wissen nicht an die Sowjetunion zu verlieren: der Beginn des Kalten Krieges.

In Camp Confidential – Die geheimen Nazis der USA (seit Dienstag auf Netflix) erzählen Mayer und Weiss ihre Geschichte. Die österreichischen Filmemacher Benji und Jono Bergmann (Wirecard – Die Milliarden-Lüge) schildern in dieser animierten Kurzdoku gemeinsam mit den Regisseuren Mor Loushy und Daniel Sivan die Hintergründe des Camps, das mehr als 50 Jahre geheim blieb.

Das Lager wurde 1946 zerstört, Dokumente vernichtet oder versperrt. Erst 2006 befragte der National Park Service Veteranen. Unter ihnen auch Peter Weiss, geboren 1925 in Wien. Er hat Wien drei Monate nach dem "Anschluss" in Richtung Vereinigte Staaten verlassen und wurde im Camp Ritchie, einem Military Intelligence Training Center in Maryland, ausgebildet. An der Front war er nie.

"Ich fühlte mich schuldig, an einem Ort in der Nähe von Washington zu bleiben und nie einen Kampf gesehen zu haben", sagt Peter Weiss zum STANDARD, er war eines der jüngsten Mitglieder der Geheimdienstgruppe, die von 1142 aus arbeiteten. Die Aufgabe von Weiss war es, Post zwischen den Häftlingen und ihren Familien in Deutschland zu zensieren und ihren Gesprächen via Wanzen zuzuhören, in der Hoffnung, wertvolle Informationen für das Militär zu erhalten.

Wichtige Rolle

Damals wusste er noch nicht, dass sein Großvater, sein Onkel, seine Tante und andere Verwandte ermordet wurden. Zu Beginn hätten er und seine Kollegen ihren Job durchaus positiv gesehen. "Uns war klar, dass wir eine wichtige Rolle bei der Beendigung des Krieges zu spielen hatten. Aber vielleicht haben wir uns etwas vorgemacht". Was wären die Konsequenzen gewesen, wenn er sich geweigert hätte? Weiss: "Die Folge könnte eine Verhaftung wegen Nichtbefolgung von Befehlen gewesen sein. Wir waren keine Freiwilligen. Uns wurde befohlen, an einem Ort zu sein, der uns nicht bekannt war, als wir dort ankamen."

Die Monster im Camp

Ob er erleichtert war, als er später darüber sprechen durfte, was dort passierte? "Ich würde eher sagen, dass wir nicht in der Lage waren, es zu verarbeiten." Da waren dann all die Gräueltaten der Nazis bekannt, "einige von uns fanden es unverständlich, dass wir die Nazis dort behandelten wie gewöhnliche Menschen. Sie waren es nicht. Viele von ihnen waren Monster."

Es gab vieles, was er an Österreich liebte, sagt Weiss, "die Musik, die Kultur, den Humor. All das wurde ausgelöscht, als Österreich beschloss, mit Nazi-Deutschland gemeinsame Sache zu machen."

Eitelbergergasse, Hietzing

1946 wurde er aus der Armee entlassen, nahm eine Stelle bei der US-Militärregierung in Deutschland an, erzählt er und erinnert sich an einen Besuch in Wien und an das Haus, in dem er mit seinen Eltern in der Eitelbergergasse in Hietzing aufgewachsen war. Weiss: "Es war eine zweistöckige Villa. Wir wohnten im Obergeschoß. Die untere Etage wurde von einem Mann und seinem Sohn bewohnt, der ungefähr in meinem Alter war. Ich habe gelegentlich mit ihm Fußball gespielt." Nach dem "Anschluss" sei dieser Mann Mitglied der österreichischen NSDAP gewesen.

Weiss wollte die Wohnung sehen, in der er lange gelebt hatte. "Ich klingelte, und ein Mann kam zur Tür. Er war unruhig, weil er dachte, ich sei Amerikaner", erzählt Weiss. "Also sagte ich: 'Entschuldigung, dass ich Sie belästige, aber ich bin hier aufgewachsen und möchte mir die Wohnung ansehen.' Und er sagte: 'Oh, du bist hier aufgewachsen, wann bist du gegangen?' Ich antwortete: '1938.' Worauf er sagte: 'Warum bist du gegangen?' Ich antwortete 'Vielen Dank' und ging. Wenn ich dran denke, kann ich immer diesen Mann sagen hören: 'Warum sind S' denn weggangen?‘"

Fiktive Serie geplant

"In einer Zeit, in der so wenige noch aus erster Hand über den Krieg und den Holocaust erzählen können, bedeutet es uns sehr viel, dass wir Peter, Arno und den anderen Stimmen durch diese Doku Gehör verschaffen können", sagen Benji und Jono Bergmann. Und weiter: "Wir sind zum einen Enkel von Holocaust-Überlebenden, zum anderen haben wir jahrelang in Amerika gelebt. So sind beide Enden dieser Geschichte in uns."

Welche inhaltlichen Reaktionen auf den Film wünschen sich die Filmemacher? Was sollen die Zuschauerinnen und Zuschauer mitnehmen? "Um einen unserer Protagonisten zu zitieren: der Zweck heiligt nicht alle Mittel." Das Thema wird die beiden weiterhin beschäftigen, sie planen soeben eine fiktive Serie dazu. (Astrid Ebenführer, 4.11.2021)