Alle kennen sie, meist weiß aber trotzdem niemand so genau, wo sie stehen: Telefonzellen, Kaugummiautomaten und Personenwaagen gehören zum Stadtbild dazu.

Diese "Stadtmöbel" fristen meist ein recht unscheinbares Dasein.

4000 Kaugummiautomaten hängen oder stehen im ganzen Land, einige Hundert davon in Wien.

Foto: Andy Urban

Das Ende kam anfangs schleichend und dann abrupt: Die öffentliche Telefonzelle ist fast gänzlich aus dem Stadtbild verschwunden. Nun endet ihre Existenz ganz offiziell. Denn in der jüngsten Novelle des Telekomgesetzes kommt sie schlichtweg nicht mehr vor. Was einmal als zentrales Kommunikationsmittel diente, ist heute überflüssig geworden. Ursprünglich garantierten die Kabinen das Absetzen von Anrufen in Krisenzeiten, in Notsituationen etwa oder bei Stromausfällen. Mit dem Handyboom des vergangenen Vierteljahrhunderts fiel dieses Argument für ihr Weiterbestehen zusehends weg.

97 Prozent der Österreicherinnen und Österreicher besitzen heute ein mobiles Telefon, der Zugang zu Notdiensten ist über den Mobilfunk sichergestellt. Telefonzellen dienen inzwischen eher als Notlösung für Touristinnen und Touristen oder für Menschen ohne Guthaben und mit niedrigem Akkustand. Einige Exemplare wurden schon seit geraumer Zeit zu öffentlichen Bücherschränken umfunktioniert, andere zu Stromtankstellen für Elektroautos umgestaltet, manche werden für Paketshops genützt oder mit Defibrillatoren ausgestattet.

Mit dem Ende der grauen Kabinen richtet sich der Blick auf weitere Relikte, die zum öffentlichen Raum dazugehören, obwohl sie kaum jemand wahrnimmt: mit Kaugummis gefüllte Automaten etwa oder Personenwaagen. Es sind Objekte, die einst Fortschritt verkörperten, heute aber wie museale Artefakte erscheinen. Anders als die Zellen gibt es für sie eine Gnadenfrist.

"Automaten-Euphorie"

Die erste Telefonzelle ging in Österreich 1903 am Wiener Südbahnhof in Betrieb. Ihre Hochblüte erlebte sie in den 1980er-Jahren, in Wien erreichte ihre Anzahl 6000 Stück. In den 1990er-Jahren standen österreichweit noch 30.000 graue Kästen auf Dorfplätzen, entlang von zentralen Straßen, auf Bahnhöfen, in Fußgängerzonen und Einkaufszentren.

Heute sind es immerhin noch 11.000, 4000 davon in Wien. Die flächendeckende Versorgung mit ihnen war bisher gesetzlich vorgeschrieben. Seitdem neue EU-Vorgaben unter dieser Grundversorgung explizit Breitbandinternetzugang und Sprachkommunikationsdienste verstehen, flog die "öffentliche Sprechstelle", wie die Telefonzelle im Beamtendeutsch heißt, vollständig aus dem Gesetzestext.

Sie mögen mitunter nicht danach aussehen, aber ebenso betriebsbereit sind auch die 150 mannshohen Waagen, die allein in Wien an zentralen Orten stehen: an Bushaltestellen, auf Märkten oder Plätzen. Österreichweit sind es noch immer 400 Stück. Auch 4000 Kaugummiautomaten hängen wacker an Hauswänden im ganzen Land, einige Hundert davon in Wien. Die Anzahl beider Gegenstände hat mit der Zeit stetig abgenommen, ausgedient haben sie damit aber nicht alle gleichermaßen, sagt der Stadtforscher Peter Payer: "Die Automaten-Euphorie ist nach wie vor vorhanden."

Das Zeitalter der Münzautomaten brach Ende des 19. Jahrhunderts an. Aus den USA kommend, hielten diese Einzug in die Großstädte Europas und setzten sich teilweise auch auf dem Land durch. Die Pandemie hat die Nachfrage nach Abholservice aller Art verstärkt. Mit der Kommerzialisierung des öffentlichen Raums stünden auch die dort angebotenen Geräte, Funktionen und Produkte im ständigen Wandel, sagt Payer. Öfter als Kaugummis etwa ziehen sich die Menschen heute Handyzubehör aus Automaten, das Geschäft mit den bunten Kugeln rentiert sich aber offenbar weiterhin.

Kaugummis, Tampos und Tangas

Seitdem Ferry Ebert und damit der Mann, der die Warenautomaten nach Österreich brachte, sein Imperium verkaufte, ist das Salzburger Unternehmen Schwarz der größte Kaugummi-Anbieter des Landes. Mit der 1966 in St. Johann im Pongau gegründeten Firma baute sich der gelernte Zimmermann Georg Schwarz ein zweites Standbein auf.

Heute leben seine Söhne davon. Alle paar Monate schicken sie ihre Fahrer zum Nachfüllen aus. Die Summen werden zwar kleiner, die Automaten dementsprechend weniger. Dafür aber zogen sie unter anderem in Gasthäusern und in Toiletten ein. Feilgeboten werden darin außerdem längst nicht mehr nur Kaugummis, sondern auch Tampons, Kondome, Kinderspielzeug oder Tangas.

Der Historiker Payer hat eine Vorliebe für vermeintlich Nebensächliches, seine historischen Streifzüge durch Wien hat er zu Büchern verarbeitet. Zudem ist er Kurator im Technischen Museum, wo sich eine Sammlung der unterschiedlichen heimischen Telefonkabinen findet. "Stadtmöbel unter dem Radar" nennt Payer solche unscheinbaren Gegenstände der öffentlichen Infrastruktur. Sie sind Payer zufolge recht ambivalente Wesen: "Man soll sie bemerken, aber sie sollen nicht zu auffällig das Stadtbild stören."

Im Laufe der Zeit veränderten Telefonzellen mehrmals ihr Äußeres. Die ersten Exemplare waren massive, geschlossene Häuschen. Ab den 1960er-Jahren sahen sie zusehends transparenter und offener aus. Mit ihrer Verwandlung vom "akustischen Rückzugsort" zur "offenen Koje" (Payer) entwickelte sich auch eine ehemals private, räumlich abgegrenzte Angelegenheit zu einer recht öffentlichen. "Das Design hat sich geändert, aber offenbar auch unsere Vorstellung davon, was andere Passanten beim Telefonieren mithören sollen und dürfen", formuliert es Payer.

Abwiegen als Ereignis

Im Falle der Personenwaagen verhält es sich hingegen genau umgekehrt. Bei ihrer Einführung Ende der 1880er-Jahre war die Feststellung der eigenen Körpermasse weit weniger schambesetzt als heute, es geriet gar zum öffentlichen Ereignis. Heute findet der Vorgang vorwiegend in den eigenen vier Wänden statt. Dementsprechend lässt auch die Nachfrage nach der Dienstleistung nach, auf die das Ehepaar Popp ein Monopol besitzt. Öffentliche Personenwaagen werden seit Jahrzehnten nicht mehr hergestellt, 1988 übernahm Andreas Popp das Geschäft. Seither bewahrt er diese mannshohen Trümmer mit seiner Frau Karin in der gemeinsamen Schlosserei vor dem Aussterben.

Sie warten und reparieren sie mit selbst angefertigten Maschinen, Ersatzteile existieren schon lange keine mehr. Das eingeworfene Geld sammeln sie persönlich ein. Dieses reiche bis zur Pension, sagt Karin Popp – noch. "Vor der Pandemie ist es sich ganz gut ausgegangen. Aber jetzt ist es ein Trauerspiel, weil nichts los ist." Die vielen Waagen auf der Wiener Ringstraße etwa, "die kann man vergessen", sagt sie. Den Waagen droht allerdings allein schon deshalb das Aus, weil sich die Popps dem Pensionsalter nähern. Dass ihre Söhne das mühselige Geschäft übernehmen, "danach schaut es momentan nicht aus".

Alle kennen sie, meist weiß aber trotzdem niemand so genau, wo sie stehen: Telefonzellen, Kaugummiautomaten und Personenwaagen gehören zum Stadtbild dazu. Sie fristen aber ein recht unscheinbares Dasein. (Anna Giulia Fink, 4.11.2021)