Der geschichtsträchtige Heldenplatz in der Wiener Innenstadt mauserte sich während der Pandemie zu einem beliebten Treffpunkt junger Menschen – samt mitunter strafrechtlich relevanter Begleiterscheinungen.

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Wien – "Wir waren auf dem Weg zum Volkstheater, da sind zwei Polizisten auf uns zugelaufen, und wir sind weggelaufen", erzählt der 16-jährige Erstangeklagte L. Richter Andreas Hautz. "Warum sind Sie gerannt?", kann der Richter nicht ganz folgen. "Wir wollten nichts mit der Polizei zu tun haben." – "Aber Sie haben Ihrer Darstellung nach ja nichts gemacht?" – "Ja, aber ich habe ja im Mai schon Probleme gehabt", bezieht sich L. auf einen weiteren Anklagepunkt. Damals war er mit einer verbotenen Waffe, konkret: einem Schlagring erwischt worden. Dieses Verfahren wurde zwar vorläufig eingestellt, da L. aber mit dem Zweitangeklagten Z. in der Nacht des 3. Oktober auf dem Wiener Heldenplatz in eine Rauferei verwickelt gewesen sein soll, wurde auch der Besitz des Schlagrings angeklagt.

Die Begründung des ebenso unbescholtenen Zweitangeklagten für sein rasantes Absentieren beim Auftauchen von Exekutivbeamten ist noch origineller: "Ich hatte schon viel zu tun mit der Polizei, ich wollte nicht, dass ich eine Zeugenladung bekomme. Meine Mutter hat gesagt, ich bekomme Hausarrest, wenn ich nochmals mit der Polizei zu tun habe", begründet der 18-Jährige sein Verhalten.

Gescheiterte Vermittlungsmission

Darüber hinaus beteuert dieser wie auch der Erstangeklagte, er sei eigentlich ein Opfer der Auseinandersetzung gegen ein Uhr nachts. Die beiden Angeklagten und zwei weitere Freunde hätten bemerkt, dass es auf dem öffentlichen Platz zu Spannungen zwischen zwei Gruppen gekommen sei. "Z. wollte schlichten und ist hingegangen", erinnert sich der erstangeklagte Schüler. "Da ist plötzlich jemand aus einer der Gruppen hergelaufen und hat ihn mit der Faust ins Gesicht geschlagen. Ich habe ihn weggezogen, dann sind wir Richtung Hundezone gelaufen."

"Warum ist Z. zu den Streitenden hingegangen?", will der Richter von L. wissen. "Wir wollten halt helfen." – "Um ein Uhr früh bei einer Rauferei zweier Gruppen, von denen Sie niemanden kennen?" – "Das passiert dort öfters", klärt der Erstangeklagte auf. Er meint die körperlichen Auseinandersetzungen unter jungen Männern, nicht die gescheiterte Schlichtungsmission.

Laut Staatsanwältin soll L. dagegen nicht nur selbst geschlagen und getreten, sondern auch einen Kontrahenten mit einem Messer bedroht haben. Begleitet von der Aufforderung: "Komm her" und der allseits beliebten Titulierung des Gegenübers als Erbberechtigter der 1. Parentel einer Hetäre.

Verteidiger glaubt an Verwechslung

Es müsse sich dabei um eine Verletzung handeln, ist Verteidiger Sascha Flatz überzeugt. Denn der Messermann werde als blond und 1,75 bis 1,80 Meter groß beschrieben, sein Mandant L. sei dagegen 1,85 Meter und schwarzhaarig. Hautz interessiert in diesem Zusammenhang noch etwas anderes: warum in L.s Jacke, die er vor dem Davonlaufen noch mit Z. getauscht hatte, ein Klapp- und ein Stanleymesser gefunden wurden.

"Das Klappmesser habe ich von meinem Vater genommen", gibt der Erstangeklagte zu. "Warum?", fragt der Richter. "Weil ich es cool fand." Der Gegenstand sei aber nur wenige Zentimeter groß und erfordere drei Schritte, um es aufzuklappen. "Und das Stanleymesser?" – "Ich weiß nicht, woher das kommt", behauptet der Erstangeklagte. "Warum haben Sie überhaupt die Oberbekleidung getauscht?", wundert der Richter sich auch noch. "Damit uns die Schläger nicht identifizieren können. Und die Polizei", gibt L. zu.

Der Zweitangeklagte sowie ein weiterer Freund bestätigen diese Version – es sei zu einer tumultartigen Rauferei gekommen, nachdem Z. einen Faustschlag erhalten hatte, habe man sich entfernt.

Unklare Gruppengröße

Die Zeugenaussagen der drei Verletzten sind etwas widersprüchlich. Der erste sagt, man sei zu dritt auf dem Heldenplatz gewesen, als sein Cousin plötzlich von den beiden Angeklagten absichtlich angerempelt worden sei. Die beiden seien Teil einer Gruppe gewesen – zunächst spricht der 20-jährige Zeuge von acht bis neun Personen, später sagt er, es seien 20 gewesen, bei der Polizei hatte er noch von bis zu 30 gesprochen.

Ein ihm unbekannter Täter habe unbedingt mit seinem Cousin kämpfen wollen. Als dieser die Auseinandersetzung zu gewinnen drohte, seien plötzlich 20 Leute hergestürmt, er sei mit Fäusten und Glasflaschen geschlagen sowie getreten worden. Fünf Minuten sei er auf dem Boden gelegen und malträtiert worden, "dann bin ich aufgestanden und gerannt." Er ist sich sicher, dass beide Angeklagten ihn angegriffen hätten.

Sein Cousin spricht dagegen von 15 bis 20 Mitglieder der anderen Gruppe, aus der einer hergekommen sei und ihn angerempelt habe. Das sei aber definitiv nicht der Erstangeklagte gewesen, stellt dieser Zeuge klar. Dieser Unbekannte habe zu ihm gesagt: "Wenn du nicht mit mir kämpfst, werden wir dich, Verzeihung, ficken", entschuldigt sich dieser Zeuge beim Gericht für die derbe Wortwahl unter jungen Männern.

Als er dabei war, zu gewinnen, habe Zweitangeklagter Z. sich eingemischt, und dann habe die Massenrauferei begonnen. Der Erstangeklagte habe ihm persönlich nichts getan und auch kein Messer gezogen. Auf seinen am Boden liegenden Cousin hätten sechs bis sieben Leute eingetreten. Auch der dritte Verletzte belastet nur den Zweitangeklagten, der zugeschlagen habe.

Freisprüche trotz "komisch klingender" Version

Hautz spricht die beiden angeklagten Teenager dennoch frei. "Ihre Version hat zwar aufgrund des Weglaufens und der Messerfunde ein wenig komisch geklungen", begründet er seine Entscheidung. "Aber dass die Zeugen Z. erkannt haben, ist jetzt nicht überraschend, er war ja eingestandenermaßen dort." Bei einer tumultartigen Prügelei sei es aber öfters so, dass Handlungen nicht klar zugeordnet werden könnten – "und wenn ich Zweifel habe, darf ich nicht verurteilen." Da L. freigesprochen wird, stellt der Richter auch das Verfahren wegen des Schlagrings neuerlich vorläufig ein.

Auch die Staatsanwältin ist damit einverstanden, das Urteil ist daher rechtskräftig. Die drei Verletzten, die nach ihren Zeugenaussagen im Saal geblieben sind, können der Entscheidung dagegen überhaupt nicht folgen. Sie beteuern neuerlich, dass der Zweiangeklagte sich aktiv an der Schlägerei beteiligt habe und sie ihn eindeutig identifiziert hätten.

Hautz und die Anklägerin nehmen sich nochmals die Zeit, dem Trio zu erklären, dass eine Verurteilung nicht möglich ist, wenn Zweifel bestehen. "Damit bin ich nicht einverstanden!", beschwert sich einer von ihnen. "Damit werde ich leben müssen. Ich weiß, dass es für Opfer oft unbefriedigend ist", konzediert der Richter. "Sie werden damit leben müssen, aber ich werde nicht damit leben können!", empört sich der Zeuge, ehe auch er den Saal verlässt. (Michael Möseneder, 4.11.2021)