Bei einer klinischen Studie des Impfstoffs Comirnaty kam es laut einer Whistleblowerin zu Unregelmäßigkeiten. Betroffen sind 2,3 Prozent der 44.000 Testpersonen – diese Daten entsprechen womöglich nicht den wissenschaftlichen Standards.
Foto: Thomas Lohnes / AFP

Ein Vorwurf steht im Raum: Bei der Zulassungsstudie für den Covid-19-Impfstoff von Biontech/Pfizer soll es zu Fehlern gekommen sein. Das berichtet ein Investigativjournalist der medizinischen Fachzeitschrift "The British Medical Journal" ("BMJ"). In der letzten Phase der Zulassungsstudie sei ein Teil der Testpersonen unprofessionell behandelt worden, auch von falsch etikettierten Laborproben ist die Rede.

Basis der Anschuldigungen sind Aussagen der Wissenschafterin Brook Jackson. Sie arbeitete im September 2020 für zwei Wochen beim texanischen Forschungsunternehmen Ventavia, das im Auftrag von Pfizer einen Teil der Zulassungsstudie betreute. Konkret bedeutet das: Ventavia kümmerte sich um rund tausend von insgesamt etwa 44.000 Probandinnen und Probanden, die im letzten Abschnitt der klinischen Testung geimpft wurden oder ein Placebo erhielten.

Schlecht geschultes Personal

Jackson fielen bei ihrer Arbeit als Regionaldirektorin von Ventavia, die sich um die korrekte Durchführung klinischer Studien kümmert, einige Fahrlässigkeiten auf. Diese könnten auch zu fehlerhaften Daten bei einem Teil dieser Phase-3-Studie geführt haben. Dabei wurde die Impfung nach den ersten beiden Phasen nochmals in sehr großer Stichprobe getestet.

Die zuständigen Impfärztinnen und -ärzte seien etwa schlecht geschult worden. Das habe unter anderem dazu geführt, dass die Patienten nicht ausreichend betreut wurden: Nach der Injektion überwachte man sie nicht, unerwünschte Nebenwirkungen wurden nur langsam nachverfolgt. Außerdem wurden Impfstoffdosen nicht immer bei den richtigen Temperaturen gelagert und Proben falsch etikettiert, meint Jackson.

Keine Reaktion auf interne Qualitätskontrollen

Ein weiteres Problem: Daten der Testpersonen wurden entblindet. Das heißt, es ist unklar, ob das Personal wusste, wer den Impfstoff und wer das Placebo erhielt. Die Verblindung ist ein Standardverfahren bei medizinischen Studien, denn wenn die Betreuenden wissen, wer den Wirkstoff erhält, könnten sie die Geimpften mit ihrem Verhalten beeinflussen. So wäre es beispielsweise möglich, dass Testpersonen bei der Selbstbeobachtung von Nebenwirkungen Symptome anders wahrnehmen und melden.

All dies sei bei internen Qualitätskontrollen aufgefallen, die damalige Regionaldirektorin Jackson habe sich darüber auch bei Vorgesetzten beschwert, was aber auf taube Ohren stieß. Als sie sich an die US-Arzneimittelbehörde FDA wandte, wurde sie bei Ventavia noch am selben Tag entlassen.

Obwohl die Behörde ihre Nachricht zumindest ernst zu nehmen schien, gab es keine Untersuchung dazu. Als der Biontech/Pfizer-Impfstoff nach der Notzulassung dann im August 2021 die vollständige Zulassung erhielt, wurden die Inspektionen im Zuge der Studien veröffentlicht. Zu den 153 begutachteten Standorten zählten keine des Unternehmens Ventavia.

Inspektion dringend nötig

Nun wurde Jackson zur Whistleblowerin und ging mit ihren Vorwürfen an die Öffentlichkeit. Das deutsche Unternehmen Biontech will diesen Vorwürfen zu der Firma, die vom US-Partner Pfizer beauftragt wurde, nachgehen, hieß es am Donnerstag: "Wir nehmen Aussagen wie die im Artikel gemachten ernst und prüfen sie umgehend nach der Kenntnisnahme", sagte eine Sprecherin.

Sollte die Teilstudie unter diesen Bedingungen durchgeführt worden sein, verheißt das für Ventavia, das sich mit preisgekrönter Auftragsarbeit rühmt, nichts Gutes. "Es braucht dringend eine behördliche Inspektion aller Zentren der Firma Ventavia", sagt Oliver Cornely, Oberarzt und wissenschaftlicher Leiter des Zentrums für Klinische Studien Köln. Die Probleme deuten darauf hin, dass die Kapazitäten nicht ausreichend waren für die Anzahl der Testpersonen. Entsprechend hätte man die Abläufe aber umso rascher korrigieren und verbessern müssen.

Keine Zweifel an Impfstoff

Die Vorwürfe bedeuten aber nicht, dass an Sicherheit und Wirksamkeit des Impfstoffs Comirnaty Zweifel aufkommen, wie neben Cornely auch zahlreiche andere Experten betonen.

Die Testpersonen, die von Ventavia rekrutiert und betreut wurden, stellen nur knapp 2,3 Prozent dieser Phase-3-Studie dar. "Man sollte die Daten der Probanden dieser Zentren aus der Analyse nehmen und so prüfen, ob sich die Studienaussage ändert", schlägt Cornely vor. Aber: "Die im 'BMJ'-Artikel geschilderten Fehler schränken die Aussagekraft der Zulassungsstudie des Impfstoffs nicht ein."

Hinzu kommt aber vor allem, dass durch milliardenfache Impfungen mittlerweile viel mehr Daten als in der klinischen Prüfung gesammelt wurden. Das sagt auch Peter Kremsner von der Uni Tübingen: "Die Impfdaten wurden schon in zahlreichen Studien bestätigt. Von daher sehe ich keinen Grund, sie deswegen jetzt infrage zu stellen." Die mRNA-Impfung ist also weiterhin sicher und schützt sehr zuverlässig vor schweren Verläufen einer Covid-19-Erkrankung. (Julia Sica, 4.11.2021)