Ulrike Zartler ist Professorin für Familiensoziologie an der Universität Wien und leitet das Projekt "Corona und Familienleben".
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Franziska, berufstätige Mutter von zwei Kindergartenkindern, war immer stolz auf die gleichberechtigte Arbeitsaufteilung mit ihrem Partner. Im ersten Lockdown im März 2020 ändert sich das abrupt. Sie übernimmt alle Aufgaben, die plötzlich zusätzlich anfallen: Sie ersetzt die Kindergartenpädagogin, die Freunde und Freundinnen ihrer Kinder, die Großeltern und die Putzhilfe. Es stört sie, dass sie nun "das Rollenklischee der Hausfrau und Mutter" lebt. Um alle neuen Aufgaben unterbringen zu können, streicht sie die kostbare Zeit für sich selbst und ihre Hobbys. Nun fehlt ihr zwar, wie sie sagt, "die Luft zum Atmen" – aber ihre Strategie der Krisenbewältigung ist erfolgreich, denn das Familienleben kann dadurch auch während der Pandemie aufrechterhalten werden: "Jetzt, wo ich alle meine Freiheiten aufgegeben habe, geht's eh." Auch in den Wiederöffnungsphasen und den weiteren Lockdowns ist der Verzicht auf eigene Bedürfnisse ihr Schlüssel zum funktionierenden Familienleben.

Auch Marlies, Mutter eines Volksschülers und eines Jugendlichen, sagt: "Haushalt ist noch immer mein Thema als Mutter" – zusätzlich zur immer intensiver werdenden Unterstützung ihrer beiden Kinder im Homeschooling und zu ihrer Berufsarbeit, die nun im Homeoffice stattfindet. Sie beginnt ihre Arbeit um fünf Uhr morgens, um Zeit für konzentrierte Tätigkeiten zu haben, und legt abends eine weitere Arbeitsschicht ein. Sie hat das Gefühl, niemandem mehr wirklich gerecht zu werden – schon gar nicht sich selbst. Sogar die Zeit zur Deckung ihrer Grundbedürfnisse ist knapp: "Essen tu ich gar nix mehr in der Früh, also zu Mittag muss ich kochen, ich komm frühestens um halb eins das erste Mal dazu, dass ich was ess."

Franziska und Marlies (Namen sind anonymisiert) sind zwei Teilnehmerinnen der qualitativen Längsschnittstudie "Corona und Familienleben", die seit dem Beginn des ersten Lockdowns an der Universität Wien durchgeführt wird. Wir führen mit Müttern und Vätern von Kindergarten- und Schulkindern ausführliche Interviews; ein Teil der Befragten erstellt Tagebucheinträge. Die Ergebnisse zeigen, dass Mütter einen großen Teil der zusätzlich anfallenden Aufgaben übernommen haben – häufig zulasten ihrer eigenen Regenerationsbedürfnisse.

Persönliche Bedürfnisse zurückstecken

In den Familien wurden unterschiedliche Strategien entwickelt, um mit der Ausnahmesituation umzugehen: Eltern haben den Familienalltag neu organisiert, einen Schichtbetrieb für ihre Berufsarbeit etabliert, kreative Lösungen für die Kinderbetreuung gefunden oder Erwerbsarbeitszeit reduziert. Die Zeit für Regeneration und Schlaf kommt in allen besonders schwierigen Phasen – Lockdown, Wiederöffnung, Schulbeginn, Quarantäne – vor allem für Mütter oftmals zu kurz. Sie setzen in ihren Strategien vor allem auf Eigenverantwortung und Selbstoptimierung, um einen funktionierenden Familienalltag aufrechtzuerhalten. Sehr deutlich wird das bei Alleinerzieherinnen (neun von zehn sind Frauen): Sie können die alltäglichen Sorgearbeiten kaum aufteilen, fühlen sich ganz auf sich alleingestellt und leben "im sozialen Mauseloch", wie Elvira, eine befragte Mutter, sagt. Zusätzlich kämpfen sie häufig mit massiven finanziellen Sorgen und Armutsgefährdung.

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Mütter: Normativ "zuständig" für die Sorgearbeit

Auch Väter haben Tätigkeiten in den Familien übernommen – aber die Verantwortlichkeit für die alltägliche Familienorganisation lag und liegt, so wie auch vor der Pandemie, vorwiegend bei den Müttern. Das hängt mit traditionellen Wertvorstellungen über Familien- und Geschlechterrollen zusammen: Mütter werden nach wie vor als Hauptzuständige für Sorgearbeiten betrachtet. Die Pandemie hat dieses Muster oft noch verstärkt. In einer Situation, in der der Familienalltag auf den Kopf gestellt wird, existenzielle Ängste sowie Sorgen um die Gesundheit, Entwicklung und Bildung der Kinder hinzukommen, ergeben sich daraus ganz besondere Belastungen.

Die Ausnahmesituation ist keine Ausnahme mehr

Die Strategie, persönliche Bedürfnisse zurückzustecken, war in der akuten Krise durchaus funktional. Aber: Eine Ausnahmesituation, die nun schon über eineinhalb Jahre dauert, ist keine Ausnahme, sondern wird zum Dauerzustand. Erschöpfung und Anspannung werden zur Gewohnheit. Das zehrt an der Substanz und hat auf Dauer negative Folgen.

Die Pandemie nach der Pandemie

Familien – und ganz besonders Frauen – haben einen zentralen Beitrag zum Funktionieren der Gesellschaft während der Pandemie geleistet. Fraglich ist, wie lange sie die permanent wechselnden Anforderungen noch bewältigen können. Die Belastungen sind groß, die soziale Schere ist bereits weit geöffnet. Die sozialen Nebenwirkungen der Pandemie werden uns daher noch lange begleiten, auch wenn die virologische Pandemie längst vorbei ist. Um negative Auswirkungen zu verringern und eine soziale Pandemie nach der Pandemie zu verhindern, brauchen Familien offene Schulen und Betreuungseinrichtungen, ökonomische Unterstützung, arbeitsrechtliche Absicherung, ein umfassendes Sport- und Freizeitangebot für Kinder, ausreichende Therapieangebote für Eltern und Kinder sowie erhöhte gesellschaftliche Wertschätzung.

Was brauchen Familien Ihrer Meinung nach? Sind Familien und ihre Bedürfnisse während der Pandemie ausreichend sichtbar? Welche Strategien haben Sie in Ihrer Familie im Umgang mit der Pandemie entwickelt? Diskutieren Sie im Forum!