Mit einer Verurteilung endete im "Grauen Haus" das Verfahren gegen einen Wiener, der seine Stieftöchter vergewaltigt und missbraucht hat.

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Wien – Der zweite Tag der Verhandlung gegen Herrn S. beginnt mit einer Überraschung. Denn der Angeklagte entgegnet auf die Frage von Stefan Apostol, dem Vorsitzenden des Schöffengerichts, ob er noch etwas ergänzen möchte: "Ich gestehe." Ja, er habe im Jahr 2014 seine damals unmündige Stieftochter sexuell missbraucht, ja, er habe im selben Jahr deren volljährige Schwester vergewaltigt, ja, er habe die Jüngere dann wieder von 2017 bis Oktober 2019 missbraucht und vergewaltigt.

Und das, obwohl S. bereits im Jahr 2014 sechs Monate in Untersuchungshaft saß, nachdem das Kind die Vorwürfe erhoben hatte. Er kam frei, nachdem eine psychologische Sachverständige aus Niederösterreich zu dem Schluss gekommen war, dass bei dem Mädchen wegen ihrer geistigen Entwicklung "keine Aussagefähigkeit" gegeben sei, man ihr also nicht glauben könne. "Das Gutachten war schlicht und ergreifend falsch", prangert die Staatsanwältin daher in ihrem Schlussvortrag an. "Das Mädchen war arm, da sie behindert war und sich nicht richtig ausdrücken konnte. Und der Angeklagte hat einfach weitergemacht."

"Spezielle Art der sexuellen Deviation"

Der psychiatrische Sachverständige Peter Hofmann zeigt sich im Gerichtssaal bei der Erstattung seiner Expertise über den Angeklagten überzeugt, dass dieser zurechnungsfähig sei. Es habe allerdings ein "schädlicher Alkoholgebrauch über viele Jahre" stattgefunden, den der Mann aber in seinem Job leicht habe verstecken können. Seine "spezielle Art der sexuellen Deviation" gebiete es jedoch, S. bei einer Verurteilung wegen seiner Gefährlichkeit in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher einzuweisen. Nähere Details zu Angeklagtem, Opfern und Tathandlungen können aufgrund einer Entscheidung des Presserats nicht veröffentlicht werden, da diese aus Sicht der urteilenden Mitglieder des Senats 1 des Selbstkontrollorgans gegen den Ehrenkodex der österreichischen Presse verstoßen.

Über die Frage, warum selbst die leibliche Mutter ihren Töchtern 2014 nicht geglaubt habe, kann Experte Hofmann nur mutmaßen: "Liebe macht blind", sagt er, und: "Wir wissen nicht, wozu die Frau bereit war, um in dieser Beziehung zu leben. Viele sind bereit, etwas zu opfern, in diesem Fall die eigenen Kinder."

Waffen als Wohnungsdekoration

Die im psychiatrischen Gutachten diagnostizierte Gefährlichkeit führte dazu, dass S. im August in Untersuchungshaft genommen wurde – und zu einem weiteren Punkt, um den die Staatsanwältin ihre Anklage ausdehnt. Denn in der Wohnung, in der der unbescholtene S. mit seiner neuen Lebensgefährtin lebt, fand man trotz aufrechten Waffenverbots einen Tomahawk, 30 Jagd-, Springer- und Fixiermesser und einen Schlagring. "Ich wusste nicht, ob das Waffenverbot noch gilt", gibt der Angeklagte den Besitz zu. "Aber das waren nur Sammlerobjekte, in der Wohnung als Deko."

Aufgrund der Aussagen der älteren Stieftochter am ersten Prozesstag kommt ein weiterer Anklagepunkt dazu: S. soll auch seine leibliche Tochter missbraucht haben. Auch das gesteht er. Verteidiger Sascha Flatz verweist in seinem Schlussvortrag auf das "massive Alkoholproblem" seines Mandanten und die Tatsache, dass es noch viel schlimmere Fälle gebe. Aus drei Audioaufnahmen, die das jüngere Opfer mit ihrem Handy bei Delikten gemacht hatte, gehe hervor, dass es dabei nicht zu Prügeln gekommen sei.

Aufgrund des Geständnisses braucht der Schöffensenat nicht allzu lang für die Beratung und verkündet nach rund 15 Minuten sein Urteil: S. wird zu neun Jahren Haft und der Unterbringung in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher verurteilt. In seiner Urteilsbegründung streicht Vorsitzender Apostol noch einmal die falsche Einschätzung durch die Gutachterin im Jahr 2014 hervor: "Jemand, zu der die Sachverständige sagt: 'Der kann man nicht glauben!', ist ein besonders einfaches Opfer." Mildernd wurden die Unbescholtenheit und das – späte – Geständnis gewertet. "Weil es immer heißt, ein Geständnis müsse sich auszahlen, sage ich Ihnen ganz klar, dass Ihnen das die Zweistelligkeit erspart hat", erklärt der Vorsitzende.

Nach einer Besprechung mit Verteidiger Flatz möchte S. sich zunächst drei Tage Bedenkzeit nehmen. "Dann bringe ich aber Berufung gegen die Strafhöhe ein. Es kann dann auch mehr werden!", kündigt die Staatsanwältin daraufhin an. Der Angeklagte akzeptiert die Entscheidung darauf doch, ebenso die Anklägerin, das Urteil ist daher rechtskräftig. (Michael Möseneder, 4.11.2021)