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In vielen Städten gibt es bereits Mieträder. Wie weit kann die Teil- und Mietkultur noch bei anderen Objekten gehen?

Foto: REUTERS/Brendan McDermid

Im Jahr 2030 werden Sie kein Haus mehr besitzen, kein Auto, nicht einmal eigene Kleidung. Wenn Sie wohin müssen, steigen Sie in einen Bus oder eine Straßenbahn, mieten sich einen E-Scooter oder bestellen sich ein selbstfahrendes Auto. Wenn Sie kochen wollen, lassen Sie sich Töpfe und Geschirr innerhalb von Minuten liefern, wenn nicht, dann gleich das fertige Essen. Produkte sind zu Dienstleistungen geworden, Shopping gehört seit langem der Vergangenheit an.

Dieses Szenario wurde vor einigen Jahren vom Weltwirtschaftsforum entworfen. In einem Video auf Facebook mit dem Titel "Acht Vorhersagen für das Jahr 2030" der Stiftung hieß es: "Du wirst nichts mehr besitzen. Und du wirst glücklich sein. Was auch immer du willst, wirst du mieten können und es wird per Drohne geliefert werden."

Geteilte Staubsauger und Betten

Tatsächlich scheint es manchmal so, als würde unsere Gesellschaft zunehmend auf eine besitzfreie Zukunft zusteuern: Mietautos, geteilte Büros, Scooter, Verleihräder und Musik, die wir immer seltener physisch, etwa in Form von CDs besitzen, sondern nur mehr streamen, boomen seit Jahren. Millennials, also jene Menschen, die zwischen den 1980er- und späten 1990er-Jahren geboren wurden, würden weniger auf Besitz geben und stattdessen mehr auf Erfahrungen und Erlebnisse setzen, heißt es immer wieder.

Weniger zu besitzen soll nicht nur freier machen, sondern auch nachhaltiger sein, argumentieren Befürworter. Es gäbe insgesamt weniger Autos, Handys und anderen Kram, zudem müssten Unternehmen sicherstellen, dass die Produkte auch wirklich langlebig, reparierbar und recycelbar sind. Ein Staubsauger, der zwischen verschiedenen Menschen geteilt, beziehungsweise vermietet wird, aber schon nach zwei Jahren den Geist aufgibt wäre in einem Wirtschaftssystem, in dem Produkte möglichst lange Mieten oder Abogebühren einbringen sollen, kaum zu gebrauchen.

Selbst Gegenstände wie ein Bett, die Matratze oder der Bettbezug würden Ihnen in einer solchen Welt nicht mehr gehören. Stattdessen haben Sie sie von einem Spezialunternehmen gemietet, die die Sachen jede Woche für die Reinigung abholt. Praktischerweise sammelt das Bett gleich Daten zu Ihrem Schlafverhalten, die Sie über eine App einsehen können. Im Anschluss erhalten Sie Tipps, wie Sie künftig besser schlafen können.

Kein Besitz, hurra?

Die Vorstellung, nichts mehr zu besitzen und alle Dinge nur mehr auszuborgen oder zu mieten, klingt für viele wohl eher nach Dystopie. Immerhin stieg Besitz spätestens seit der Industrialisierung für den Großteil der westlichen Bevölkerung zum Inbegriff für Unabhängigkeit, Freiheit, Status, Kontrolle und Glück auf – versprach also vieles von dem, was sich einige Menschen heute von einem Leben mit weniger Besitz erhoffen. Und auch ein Blick auf die Erfahrungen kommunistischer Systeme wie etwa der Sowjetunion und der dort stattgefundenen Zwangskollektivierung weckt nicht unbedingt positive Erwartungen.

Nicht zuletzt stimmt aber die Vorstellung, Besitz werde in Zukunft nur mehr eine untergeordnete Rolle spielen, aber einfach nicht mit den Vorlieben vieler Bürgerinnen und Bürger überein. Laut einer kürzlich erschienenen repräsentativen Umfrage gaben drei Viertel der Befragten in Österreich an, ein Auto zu besitzen, 88 Prozent sagten, sie hätten einen oder mehrere Fernseher zuhause. Rund 50 Prozent der Befragten wollen Gegenstände nicht teilen, sondern diese lieber selbst besitzen, nur vier Prozent aller Befragten sagten, sie seien große Sharing-Fans. Zu den wichtigsten Besitztümern gehören das Zuhause, gefolgt vom Auto und dem Smartphone. Wenn etwas geteilt wird, ist das vor allem Werkzeug, heißt es in der Umfrage.

Gefühl von Kontrolle

Warum halten wir so sehr an Besitz fest? "Besitz ist ein sehr mächtiges Motiv, das uns hilft, unsere Identität zu gestalten und kann uns ein Gefühl von Kontrolle, Sicherheit, Zuhause und Zugehörigkeit vermitteln", sagt Bernadette Kamleitner, Leiterin des Instituts für Marketing und Konsumentenforschung an der WU Wien, zum STANDARD. Allerdings müsse man sich psychologischen Besitz gewissermaßen erst erarbeiten. Anders ausgedrückt: Umso mehr wir von unserer Zeit und Aufmerksamkeit in einen Gegenstand investieren und je mehr Erfahrungen wir damit machen, desto eher identifizieren wir uns damit und haben ein stärkeres Gefühl von Besitz davon. Gleichzeitig führe der Besitz von vielen Dingen häufig dazu, dass wir ein schwächeres Besitzgefühl zu den Dingen haben und weniger stark darauf aufpassen.

"Besitzgefühl kann sich aber auch auf Plattformen und Communities beziehen", sagt Kamleitner. Das heißt, dass wir auch Gruppen oder Ideen zu "unseren" machen können, womit sie ähnliche Funktionen erfüllen wie materieller Besitz. Somit hätte das Gefühl von Besitz rein theoretisch auch in einer neuen Welt des Sharings und Mieten seinen Platz.

Frage der Verantwortung

Aber wie steht es dann um die Verantwortung? Passen wir auf gemieteten oder geteilte Dinge weniger auf als auf unseren eigenen Besitz? "Tatsächlich ist es so, dass viele Menschen Dinge mieten oder teilen, weil sie sich nicht so stark auf den Gegenstand einlassen wollen. Wer hingegen etwas besitzt, hat damit auch eine bestimmte Verantwortung, die man nicht so schnell los wird", sagt Kamleitner.

Allerdings sei Verantwortung ein vielschichtiges Konzept, dass auch bei gemieteten Dingen – neben Sanktionen bei Beschädigungen – eine Rolle spielen könne. Wir können beispielsweise Verantwortung gegenüber uns selbst oder einer bestimmten Gruppe verspüren, die ebenfalls den Gegenstand nutzt. Damit wir mit Dingen, die wir nicht besitzen, möglichst sorgsam umgehen, brauche es aber auch genug Vertrauen in das System und die anderen Nutzer.

Unbeliebte Updates

Neben den psychologischen Auswirkungen einer besitzfreieren Welt stellt sich aber noch eine zweite Frage: Wenn uns die Dinge nicht mehr gehören, wem gehören sie dann? Die Antwort: Wahrscheinlich jenen Unternehmen, die die Produkte und die dazugehörige Software entwickeln. Ebenso wie jemand, der heute Musik auf Spotify streamt und dafür mit einem Abo zahlt, die einzelnen Lieder nicht besitzt (im Vergleich zu früher, wo wir zumindest die Musik-CD physisch besessen haben und damit die Möglichkeit, die Lieder solange abzuspielen, wie die CD funktioniert), würden wir wohl auch in einer Miet- und Abogesellschaft nur mehr für die Nutzung beziehungsweise für den Zugang zu Dingen und Dienstleistungen zahlen – mit einigen negativen Konsequenzen, die so eine großflächige Umstellung mit sich brächte.

Denn welche Veränderung mit Dingen passiert, die für die großflächige Vermietung wohl immer häufiger miteinander vernetzt wären, läge dann nicht mehr in der Hand der Nutzerinnen und Nutzer. Zum Beispiel könnte ein plötzliches Softwareupdate dazu führen, dass sich das abonnierte Auto, Fitnessgerät oder Smart Home plötzlich nicht mehr oder nur mehr eingeschränkt nutzen lässt. Die Veränderungen durch das Update könnten uns auch schlicht nicht gefallen – so wie beispielsweise bereits ein Update auf Windows mühsam sein kann. Wer das Update nicht installiert, der darf das Produkt möglicherweise nicht weiter verwenden.

Macht bei Herstellern

Unternehmen und Entwickler könnten wiederum darauf bestehen, dass Reparaturen und Veränderungen am Produkt nur durch den Hersteller selbst gemacht werden dürfen, da ansonsten das Urheberrecht an der Software verletzt würde. In der Praxis hat sich das beispielsweise bereits bei dem US-amerikanischen Traktorunternehmen John Deere gezeigt. Da die in den Traktoren eingebaute Software nach wie vor dem Unternehmen gehört, haben nur das Unternehmen oder die von diesem beauftragten Agenturen die Berechtigung, Veränderungen an den einzelnen Teilen durchzuführen, was für viele Traktorenbesitzer Reparaturen an den einzelnen Teilen stark erschwerte.

Wenn Softwareveränderungen schon an einem einzigen Gerät mühsam sein können, wie verhält es sich dann bei einem Smart Home, dessen gesamte Software wir im Alltag nutzen? Was hieße das für unsere Privatsphäre? Und was geschieht, wenn das Unternehmen hinter der Software plötzlich in Konkurs geht und alle persönlichen Daten mit ins Grab nimmt?

Bewussterer Umgang

Ohnehin spricht viel dafür, dass materieller Besitz auch in Zukunft noch eine bedeutende Rolle spielen wird: Zu wichtig scheint der Wunsch nach Kontrolle und Unabhängigkeit für viele. Und wer würde sich tatsächlich einen mit neuartiger Software und GPS ausgestatteten Staubsauger mieten, wenn der eigene praktischerweise gleich im Nebenzimmer steht und sofort griffbereit ist?

"Die Sharing-Kultur hat aber das Potenzial, noch in wesentlich mehr Bereiche vorzudringen", sagt Kamleitner – vor allem in Bereiche, in denen die einzelnen besessenen Güter für Menschen wenig identitätsrelevant sind und dort unser Leben angenehmer gestalten können. Einen Vorteil hätte das für die Expertin: Wir könnten jene Dinge, die wir dann immer noch selbst besitzen, vielleicht etwas bewusster erleben. (Jakob Pallinger, 20.11.2021)