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Thomas Staudinger, Leiter einer Intensivstation am Allgemeinen Krankenhaus in Wien, hat in einem Interview in der "ZiB 2" am Donnerstagabend über seine Erfahrungen bei der Behandlung von Covid-Intensivpatienten berichtet. Demnach liegen auf sämtlichen Covid-Intensivstationen des AKH ausschließlich ungeimpfte Patienten – mit einer Ausnahme. Ein Patient sei vollständig geimpft, sein Immunsystem werde allerdings wegen einer Nierentransplantation medikamentös unterdrückt.

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Die aktuell rasant steigenden Infektionszahlen hängen laut Staudinger mit der Impfrate zusammen. Er fordert, einen Blick auf Länder mit einer Durchimpfungsrate über 70 Prozent zu werfen. In Österreich liegt sie laut Dashboard des Gesundheitsministeriums bei rund 64 Prozent. "Anscheinend macht's das ein bisserl aus."

"Die Impfung als Bändigung der Pandemie zu sehen ist etwas zu kurz gegriffen", sagte Staudinger zugleich. Sie schütze sehr effektiv vor schweren Verläufen, aufgrund der Mutationen des Virus schütze sie allerdings nicht mehr so gut vor einer Ansteckung.

Staudinger hielt fest, dass die ältere Bevölkerung durch die hohe Impfrate in dieser Altersgruppe nach wie vor gut geschützt sei. Das Durchschnittsalter der Intensivpatienten im AKH liege derzeit bei 45 Jahren, die jüngste Patientin ist 26 Jahre alt. Sie war demnach schwanger, liegt seit drei Monaten auf der Intensivstation und hat ihr Baby noch nie gesehen. "Das sind dramatische Einzelschicksale. So etwas wäre vermeidbar."

Intensivstationen "sind immer voll"

Staudinger erklärte im Interview die übliche Funktionsweise von Intensivstationen in Wien. Seine Station sei "seit Monaten ausgebucht, wir sind immer voll". Es sei aber nun zu erwarten, dass mehr Kapazitäten für Covid-Patienten benötigt werden. Staudinger rechnet etwa damit, dass auch Patienten aus anderen Bundesländern ins Wiener AKH überstellt werden müssen.

Das wird zum Problem, denn der Bereich, der sich mit Patienten abseits von Covid-Infektionen beschäftigt, leidet am meisten darunter. Das sei zwar nicht neu, doch "bis jetzt geht sich das immer irgendwie aus". Staudinger rechnete vor: Falls etwa ein halbes Dutzend Corona-Patienten zusätzlich eine Intensivbehandlung benötigen – damit sei aktuell in etwa einer Woche zu rechnen –, "dann kippt eine gesamte Intensivstation in dieser Stadt in den Covid-Bereich und fehlt für die Routine". Der Regelbetrieb könne dann nicht mehr aufrechterhalten werden.

Appell zur Sachlichkeit

Laut Staudingers Erfahrungen gibt es zwar manche Intensivpatienten, die eine zuvor verpasste Impfung gewissermaßen bereuen würden. Andere jedoch "sehen keinen Konnex zwischen dem Umstand, nicht geimpft zu sein, und diesem schweren Verlauf".

Zuletzt hatte es von FPÖ-Chef Herbert Kickl Empfehlungen gegeben, eine Covid-Erkrankung im frühen Stadium etwa mit Vitamin C zu behandeln. Solche Ratschläge lächelte Staudinger weg. "Wir haben am Anfang alle Möglichkeiten in Betracht gezogen. Das ist alles untersucht worden", bekräftigte er. Staudinger wünscht sich, auf Basis der Datenlage Argumente zu bringen. "Einen schweren Verlauf verhindern diese Medikamente nicht", sagte er. Sie linderten nur Symptome, deshalb würden sie auch eingesetzt. Ein heilendes Medikament gegen Covid gibt es freilich noch nicht.

Falls Patienten ihn mit solchen Argumenten konfrontieren, fehlt es Staudinger an Geduld, er könne es sich nicht leisten, sich damit lange auseinanderzusetzen. "Das Team muss funktionieren, ich muss die Patienten versorgen. Es muss die bestmögliche Versorgung verfügbar sein. Das ist sie auch." (luza, 5.11.2021)