Die virtuelle Welt "Metaverse" soll 10.000 neue Jobs in Europa schaffen. Vom Immobilienmakler bis zur Finanzberaterin ist theoretisch viel möglich.

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Der Einstieg ins Metaverse beginnt mit einer kleinen Modenschau. Man kleidet seinen Avatar in T-Shirt oder Hoodie, Röhrenjeans oder Sporthose, wählt ein fesches Accessoire und verpasst ihm noch einen Hipster-Bart. Dann katapultiert einen der Computer an Genesis Plaza, einen Platz, um dessen kreisrunden Pool drei riesige Billboards mit Veranstaltungshinweisen postiert sind. Es dauert keine zehn Sekunden, da ist der etwas sterile, Disney-hafte Platz von Avataren mit Namen wie "Upa", "Koala" oder "Sakura" bevölkert, die aussehen, als wollten sie an einer Bad-Taste-Party teilnehmen.

Genesis Plaza ist der Mittelpunkt des Computerspiels Decentraland und gleichzeitig der Ausgangspunkt für Gäste. Von hier aus gelangt man zu anderen Orten des Spiels. Am Browser des Computers oder idealerweise mit einer VR-Brille auf dem Kopf kann man hier in virtuelle Welten ein- bzw. abtauchen. Es erinnert ein wenig an das Computerspiel Second Life, das auf seinem Höhepunkt 2007 eine Million Nutzer zählte.

Decentraland ist in mehrere themenbezogene Distrikte gegliedert, die wiederum aus einzelnen Parzellen bestehen. Im Distrikt Vegas City gibt es zum Beispiel eine Reihe von Spielkasinos und Shopping-Malls, die nach dem berühmten "Strip" modelliert sind. Im Festival-Distrikt finden Live-Events statt (kürzlich performte dort im Rahmen des "Metaverse Festival" Paris Hilton mit ihrem Avatar), in Altix (ehemals Dragon Kingdom) kann der Nutzer durch chinesische Tempelanlagen flanieren.

Mach dir die Welt

Das Game, das auf der Blockchain Ethereum läuft, versammelt eine der am schnellsten wachsenden Communitys im Netz. Das Besondere: Die Nutzer können die virtuelle Welt selbst gestalten. Sie können Land oder Zubehörartikel für ihre Avatare kaufen, Häuser bauen, Vorlesungen besuchen oder shoppen gehen. Bezahlt wird in der Kryptowährung Mana.
Modelabels wie Gucci, Prada und Ralph Lauren haben ihre eigenen virtuellen Shops eröffnet, auch das Auktionshaus Sotheby’s hat in dem Spiel eine digitale Dependance gegründet. Decentraland ist ein teures Pflaster, hochpreisiger als so manche Shopping-Meile in Paris oder New York. Die Bodenpreise gehen durch die Decke: Im Juni wurden 259 Parzellen für umgerechnet 913.000 Dollar versteigert.

Um das Metaverse, das erstmals in Neal Stephensons Roman Snow Crash aus dem Jahr 1992 ausbuchstabiert wurde, ist ein riesiger Hype entstanden. Mark Zuckerberg will Facebook zum Metaverse-Unternehmen umbauen und so in Europa 10.000 neue Jobs schaffen, auch Krypto-Games wie The Sandbox oder Axie Infinity setzen auf das digitale Paralleluniversum. Der Rapper Snoop Dog hat kürzlich in The Sandbox zu einer exklusiven VIP-Party in seine Villa geladen, wo Gäste seine Kryptokunstsammlung bestaunen konnten. Der Party-Pass wurde für fast 4000 Dollar gehandelt.

Ein richtiger Arbeitsplatz?

Selbst für manchen Gamer sind diese virtuellen Welten böhmische Dörfer. Doch das Geld liegt im Metaverse buchstäblich auf der Straße. Nutzer können Grundstücke verkaufen oder verpachten, virtuelle Güter wie Items für Avatare handeln oder Werbeflächen vermieten. So wie in der Romanvorlage Snow Crash, wo sich der Protagonist Hiro vom Pizzaboten zum Hausbesitzer im Metaversum emporarbeitet, kann der Mieter eines engen ´Ein-Zimmer-Apartments in Decentraland zum Großgrundbesitzer werden.

Die Chinesin Ailin Gräf, die 2007 mit ihrem Avatar Anshe Chung zehn Prozent des verfügbaren Lands besaß und von CNN als "Rockefeller des Second Life" bezeichnet wurde, ist in dem Spiel zur Millionärin geworden. Virtuelle Spielkasinobetreiber können heute ein passives Einkommen generieren. In Zukunft könnte das Metaverse aber nicht nur eine nette Nebenverdienstmöglichkeit für Krypto-Aficionados sein, sondern ein richtiger Arbeitsplatz werden.

Und wieder: nichts verpassen!

Das Portal Hacker Noon hat kürzlich fünf futuristische Jobs im Metaverse vorgestellt. So könnte beispielsweise ein "Metaverse-Stylist" Modetipps geben und digitale Kleidungsstücke kaufen, damit der Avatar stilvoll gekleidet ist und man keine Trends verpasst. Auch als DJ für virtuelle Festivals lässt sich Geld verdienen. Finanzberater könnten Anlagetipps geben, Tour-Guides durch virtuelle Museen und Galerien führen. Viele Stadt- und Fremdenführer sind durch die Corona-Krise arbeitslos geworden. Im Metaverse gibt es jedoch keine Lockdowns und Hygieneregeln – jeder, der will, kann sich von jedem beliebigen Ort auf der Erde einer virtuellen Tour anschließen. Das macht das Metaverse zu einem interessanten Arbeitsumfeld.

Laut einer Studie der Bertelsmann-Stiftung, in der verschiedene Zukunftsszenarien der Arbeit präsentiert werden, könnten "Wissensnomaden" im Metaversum als Mensch-Maschine-Übersetzer, Lerncoaches oder Hausmeister tätig sein. – Fraglich ist nur, wie man den virtuellen Raum reguliert. Wie werden Ruhepausen geregelt? Gelten Tarifverträge? Wie streng ist der Kündigungsschutz? Darf man einen Betriebsrat gründen? Wenn wir bald im Metaverse leben, wie Facebook-Chef Zuckerberg prophezeit, müssen diese Fragen rasch geklärt werden. (Adrian Lobe, 6.11.2021)