Leben ohne Auto: Das funktioniert besonders gut in der Stadt, wo das Öffi-Netz dicht und die Wege kurz sind. Aber es gibt auch auf dem Land Menschen, die bewusst aufs Auto verzichten, um die Umwelt zu schonen. Dafür braucht es gute Planung, Kreativität – und den Mut, ungewöhnliche Wege zu beschreiten. Landbewohner ohne eigenen Pkw berichten, wie sie die Distanzen bewältigen. Und ob sich der Aufwand lohnt.

Wolfgang Grillitsch radelt sogar zum Angeln.
Foto: Ferdinand Neumüller

Wolfgang Grillitsch:

"Ich bin mit meiner Familie vor einem Dreivierteljahr aus Stuttgart zurück nach Kärnten gegangen. Wir wollten in Pörtschach erst einmal schauen, ob wir es ohne Auto schaffen. Viele haben uns gleich gesagt, dass man in Kärnten ein Auto braucht. Bisher ist es ohne gegangen. Ich pendle jeden Tag nach Spittal an der Drau. Im Zug nehme ich meinen Scooter mit, um die letzten Kilometer zu überwinden.

Meine liebste Form der Mobilität war immer das Radfahren. Ich habe keine Hemmungen, zu einem Termin mit dem Rad aufzutauchen. Wenn die Leute sehen, dass man damit kommt, schlägt einem meist Sympathie entgegen. Manche entschuldigen sich fast dafür, dass sie mit dem Auto da sind. Manche schauen einen aber auch an wie ein Alien. Aber es ist ohne Auto in Kärnten nicht immer leicht. Es gibt Orte, die nicht gut ans Öffi-Netz angebunden sind und die auch mit dem Fahrrad schwierig zu erreichen sind, wenn man nicht 60 Kilometer über den Berg strampeln will. Manchmal muss ich vor Terminen herumtelefonieren, ob mich jemand mitnehmen kann. Ein wenig wie ein Bittsteller fühle ich mich dann schon.

Der Lebensstil hat aber viele Vorteile – nicht nur, weil ich sportlich bleibe. Wenn ich in der Früh den See entlangradle, mit Blick auf die Karawanken, und der Nebel aufsteigt, ist das wunderschön. Im Zug wiederum kann ich fokussiert arbeiten. Manchmal versäume ich fast das Aussteigen.

Auch zum Supermarkt geht es mit dem Fahrrad. Ich hab mit mir die Challenge, wie viel ich transportieren kann. Sagen wir so: Der Kofferraum eines herkömmlichen Autos kann kaum mithalten. Sogar zum Angeln radle ich. Dann landet meine Ausrüstung im Schlauchboot, das wie ein Anhänger hinter dem Rad hergezogen wird. Ich probiere gern aus, was man alles mit dem Fahrrad machen kann, wenn man nur will."

Wolfgang Grillitsch (55) ist Studiengangleiter für Architektur an der FH Kärnten. Er lebt mit seiner Familie in Pörtschach.

Familie Stölner besitzt elf Fahrräder – auch für Gäste.
Foto: Regine Hendrich

Familie Stölner:

"Ein Auto stand für uns aufgrund des ökologischen Fußabdrucks nie zur Debatte. Daher haben wir 2007, als wir hinaus ins Grüne ziehen wollten, lange recherchiert, wo man außerhalb von Wien ohne Auto gut leben und pendeln kann. Mit dem Fahrrad sind es zehn Minuten nach Baden, von dort braucht man mit dem Zug 20 bis 30 Minuten nach Wien. Klar haben die Leute uns früher gesagt: Wenn ihr erst einmal Kinder habt, braucht ihr ein Auto. Und dann, als wir Kinder hatten, wurde uns gesagt: Wenn ihr erst aufs Land zieht, werdet ihr euch ein Auto zulegen. Sie sind mittlerweile verstummt.

Ja, man hat mehr Dinge, wenn man Kinder hat. Darum sind wir anfangs mit vom Rucksack baumelndem Topferl mit dem Zug in den Urlaub gefahren und haben uns für den Alltag einen Fahrradanhänger besorgt. Uns war wichtig, dass sich unsere Kinder selbstständig bewegen. Sie sind von Anfang an zu Fuß oder mit dem Fahrrad unterwegs gewesen, auch Öffis waren sie immer gewöhnt. Mittlerweile organisieren sie sich alle Fahrten eigenständig. Wenn man einmal ums Eck denkt, stellt sich ein Autokauf für eine Jungfamilie ja als völlig verkehrt dar. Autos sind genau das, was die Welt für Kinder gefährlicher und unbewohnbarer macht. Wir denken, wir tun den Kindern etwas Gutes, weil wir ein Leben ohne Auto vorleben.

Manchmal stößt man an seine Grenzen. Wenn man etwas transportieren muss zum Beispiel. Zu diesen Zwecken haben wir ein privates Carsharing mit einer lieben Nachbarin. Oder wir nehmen ein Taxi. Wir besitzen elf Fahrräder, wobei wir auch Räder für Gäste haben. Bereut haben wir es noch nie, dass wir kein Auto haben. Wir verlegen die Bewegung in den Alltag und sitzen nicht den ganzen Tag. Wir finden, dass die körperliche Bewegung geistige Beweglichkeit mit sich bringt. Wenn kein Auto vor der Tür steht, muss man überlegen, wie man an einen Ort kommt und seine Bequemlichkeit überwinden. So wird man auch für andere Belange im Leben mobiler und wendiger."

Doris Englisch-Stölner (51) und Thomas Stölner (48) arbeiten im Bildungsbereich. Sie wohnen mit ihren Kindern in Pfaffstätten.

Schwere Einkäufe werden bei Familie Paar mit dem Leiterwagen nachhause transportiert.
Foto: Alexander Schwarzl

Johanna Paar:

"Wir leben seit zehn Jahren in Neumarkt im Mühlkreis – ohne Auto. Erst, weil nach dem Studium das Geld gefehlt hat, mittlerweile aus Überzeugung. Wir wollten in einen Ort ziehen, in dem wir kein Auto brauchen. Also haben wir Gemeinden mit guter Busverbindung abgeklappert und sind hier hängengeblieben.

Ich sage immer: 50 Prozent des Alltags sind Organisation, der Rest Lebenseinstellung – egal ob mit Auto oder ohne. Wenn ich weiß, dass ich vor der Haustür kein Auto stehen habe, geht das auch.

Unsere Kinder fahren mit dem Bus in die Schule. Mein Mann und ich radeln im Sommer nach Hagenberg, wo wir arbeiten. Der Hinweg dauert 30 Minuten. Zurück brauche ich zu Beginn der Saison eine Stunde, im Spätsommer nur noch 40 Minuten. Im Winter fahren wir mit dem Bus.

In der Vergangenheit haben wir oft unseren Anschlussbus verpasst und 45 Minuten bei minus zehn Grad an der Bushaltestelle gestanden. Da gab es vor Jahren einen Moment, in dem ich überlegt habe, ein Auto anzuschaffen. Dann habe ich realisiert, wie absurd es ist, zwei Tonnen Auto nach Hagenberg zu bewegen, nur weil ich da gerade hinwill. Ich habe stattdessen bitterböse E-Mails an den Verkehrsverbund geschickt. Zu besonders schlechten Zeiten kannten sie uns dort mit Namen. Mittlerweile funktioniert das besser.

Auch das Einkaufen geht ohne Pkw: Im Ort gibt es einen Supermarkt und eine Foodcoop. Wenn wir viel schleppen müssen, nehmen wir den Leiterwagen, den der ganze Ort kennt.

Menschen, die man kennenlernt, reagieren total verstört darauf, dass wir kein Auto haben. Die häufigste Frage ist: Wie fahrt ihr dann in den Urlaub? Na mit dem Zug! Bei uns beginnt der Urlaub schon vor der Haustür, und nicht nach kilometerlangen Staus. Zugfahren war auch mit kleinen Kindern entspannter. Unsere Töchter waren das Autofahren nie gewöhnt, darum wurde ihnen dabei sowieso immer schlecht.

Die beiden sind die Fridays-for-Future-Generation. Sie unterstützen den Verzicht aufs Auto total und schaffen es, sogar Zugverspätungen als Abenteuer zu sehen."

Johanna Paar (39) ist Angestellte. Sie wohnt mit ihrer Familie in Neumarkt im Mühlkreis.

Hemma Rüggen überbrückt die Strecke zum Bahnhof mit Carsharing.
Foto: mathis.studio

Hemma Rüggen:

"Ich lebe seit vielen Jahren ohne Auto. Begonnen hat das noch in Wien, als die Polizei eines Tages bei mir und meinem damaligen Partner anklopfte und fragte, ob das Auto, das seit sechs Monaten unverändert unten auf der Straße steht, unseres sei. So haben wir gemerkt, dass wir kein Auto brauchen. Aber auf dem Land scheitert es oft an den letzten paar Kilometern vom Bahnhof nach Hause. In unserer Baugruppe in Wölbling haben wir es uns daher zum Ziel gemacht, diese Lücke zu schließen, indem wir einen privaten Car sharing-Pool gestartet haben. 29 Haushalte teilen sich acht Autos und zwei E-Fahrräder.

Wesentliches Standbein meines autolosen Lebens ist auch die Initiative "We Move Wölbling", die wir in unserer Gemeinde aufgebaut haben. Das ist ein ehrenamtlicher Fahrdienst, der Menschen unter der Woche untertags im Gemeindegebiet mit einem E-Auto transportiert. Das erhöht die Mobilität von allen, die kein Auto haben.

In meinem Berufsalltag bin ich viel unterwegs. Die Scotty-App der ÖBB ist meine Begleiterin. Die Bahnsteige kenne ich mittlerweile in- und auswendig. Zugfahrten nutze ich zum Arbeiten, anders würde sich mein Arbeitspensum auch gar nicht ausgehen. Für mich wäre es verlorene Zeit, wenn ich ständig im Auto sitzen müsste. Die Strecke Wien–Salzburg könnte man ohne Strafzettel sowieso nicht in der gleichen Zeit bewältigen wie mit dem Zug. Klar gibt es immer wieder Verspätungen und verpasste Anschlüsse. Aber bisher bin ich noch immer überall angekommen.

Ich verstehe, dass viele Menschen glauben, dass es ohne Auto auf dem Land nicht geht. Wenn man allein ist, kann das überfordern. Das Geheimnis liegt darin, dass man sich zusammentut – dann geht es. Dann ist es einfacher, als man denkt."

Hemma Rügen (46) ist Trainerin und Organisationsberaterin und lebt im Baugruppen-Projekt Pomali in Wölbling (NÖ).

(Franziska Zoidl, 6.11.2021)