Das Ende einer Speise aus Vertretern der Art Cantharellus cibarius spielt in einem Strafverfahren gegen ein Brüderpaar eine wichtige Rolle.

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Wien – Vielleicht hätte Richterin Corinna Huber schon ahnen müssen, dass die geplante Verhandlungsdauer von eineinhalb Stunden im Fall der Brüder Hans und Paul P., die in Wahrheit anders heißen, zu optimistisch kalkuliert war. Im Endeffekt sind deutlich über zwei Stunden nötig, um in dem Prozess um wechselseitige Körperverletzung und gefährliche Drohung durch den Erstangeklagten Hans zu einem Urteil zu kommen.

Dass die beiden Männer verwandt sind, ist schwer zu glauben. Hans ist 57 Jahre alt, ein Jahr älter als sein Bruder, und hat bereits sieben Vorstrafen, sechs davon sind einschlägig. "Aber ich bin seit achteinhalb Jahren straffrei!", betont der Arbeitslose gleich zu Beginn. Paul dagegen ist ein unbescholtener Unternehmer, zwei Köpfe größer und deutlich massiger als der Erstangeklagte.

Demente Mutter mit wertvoller Immobilie

Hans kümmert sich um seine demente Mutter, die auf einem Grundstück neben dem Haus von Paul in einer eher noblen Wohngegend der Bundeshauptstadt lebt. Herbert Schaffler, der Rechtsvertreter von Hans, insinuiert in seinem Eröffnungsvortrag, dass Paul sich die mütterliche Immobilie sichern wolle, da er nach einer Insolvenz Geldbedarf habe. Reinhard Pröbsting, Verteidiger von Paul, weist das empört zurück – es gehe bei der Auseinandersetzung, in der es auch zivilrechtliche Prozesse gibt, um die passende Pflege der Mutter.

Trotz der also eher angespannten familiären Situation lud Paul am 22. August zum gemeinsamen Abendessen. Es hätte Eierschwammerlgulasch geben sollen. Die Speise köchelte auf dem Herd, die Emotionen der Brüder hoch. "Es hat sich hochgeschaukelt, das Gespräch", sagt Zweitangeklagter Paul dazu. Sein Bruder habe sich hineingesteigert: "Das Gesicht war verzerrt vor Wut!" Dann sei der Ältere aufgestanden, habe die Pfanne vom Herd genommen und versucht, sie Paul auf den Kopf zu donnern, behauptet der Zweitangeklagte. Und legt dem Gericht Bilder des auf dem Küchenboden verteilten Gerichts vor.

Drohung mit zwei Messern in den Händen

"Ich wollte ihn fixieren, dann hat sich das Ganze auf die Terrasse verlagert. Dort wollte er mir einen Stein auf den Kopf schlagen!", erklärt Paul, warum er Hans draußen niedergerungen habe, bis er vom 16-jährigen Sohn des Erstangeklagten weggezerrt wurde. Danach sei der Bruder ins Haus der Mutter gegangen und kurz darauf mit zwei Messern in der Hand wieder erschienen. "Er hat gesagt, er bringt mich um oder er schneidet mich in Scheiben, und hat sich bis auf zwei Meter genähert! Dann habe ich die Polizei gerufen." Er selbst habe jedenfalls nur in Notwehr gehandelt und sich gegen drei lebensgefährliche Angriffe verteidigt.

Doch auch Bruder Hans beruft sich auf seine Opferrolle und bekennt sich nicht schuldig. "Erstunken und erlogen" sei die Darstellung des Zweitangeklagten, echauffiert er sich. Es habe eine verbale Auseinandersetzung gegeben, danach sei er auf die Terrasse gegangen, behauptet der Erstangeklagte. Ohne Vorwarnung habe Paul ihn dann von hinten in den Schwitzkasten genommen, geschlagen und gestoßen. "Ich hatte Todesangst!", erinnert sich der Erstangeklagte. Zu einem Stein habe er nie gegriffen.

"Der Hans ist der Teufel"

Er sei in die Küche entkommen und habe sich an dem Küchenblock festgeklammert. Dabei habe er in Panik vielleicht die Pfanne vom Herd gewischt, beantwortet Hans die hübsch formulierte Frage von Verteidiger Pröbsting, die da lautet: "Haben Sie eine Wahrnehmung, was mit dem Eierschwammerlgulasch passiert ist?" Danach habe er die Messer geholt und "Wenn du mich noch einmal angreifst, schneide ich dich in Scheiben" zu seinem Bruder gesagt. "Ich habe nie etwas von Umbringen gesagt!", beharrt er. Um die innerfamiliäre Kluft zu demonstrieren, legt sein Verteidiger auch SMS-Nachrichten vor: Der Zweitangeklagte schreibt darin an die Mutter: "Der Hans ist der Teufel" und ein "Kain", der Angesprochene reagiert darauf mit: "Du bist ein Ungeheuer!"

Richterin Huber hat ihre liebe Not, die sich auch im Verhandlungssaal angiftenden Brüder unter Kontrolle zu halten. "Es reißen sich jetzt alle zusammen! Wir sind ja nicht im Kindergarten!", entfährt es ihr einmal. Ein Detail interessiert die Richterin noch zu einem von Paul aufgenommenen Bild, das Hans mit den zwei Messern zeigt. "Es tut jetzt nichts zur Sache, aber wieso haben Sie nichts an?", wundert sie sich, dass Hans nur in einer Badehose zu sehen ist. "Es war sehr heiß. Vielleicht hat er mir auch mein Leiberl weggerissen", lautet die Erklärung.

Erhellende Lebensgefährtin des Zweitangeklagten

Während der Sohn des Erstangeklagten von seinem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch macht, bringt die Lebensgefährtin etwas Licht in die Angelegenheit. Sie habe die Küche verlassen, als die Streitereien begannen. "Ich wollte dem Ganzen aus dem Weg gehen", erinnert sie sich. Als sie wieder dazukam, sei das Eierschwammerlgulasch bereits auf dem Boden gewesen und die beiden Männer auf der Terrasse, widerspricht sie der Version des Erstangeklagten.

"Dort gab es eine Rangelei, Paul hat Hans umklammert, dann sind beide gestürzt." Auf Nachfrage der Richterin belastet sie aber auch Paul: Es sei nicht nur einer der Angreifer gewesen, beide hätten sich nichts geschenkt. "Es war für mich jetzt aber auch keine Prügelei, da würden die Verletzungen anders aussehen", zeigt sie sich überzeugt – bis auf Abschürfungen und ein Hämatom an Pauls Daumen sind nämlich keine dokumentiert. "Die beiden Herren sehen es etwas tragischer", merkt Huber dazu an.

Die Richterin bietet dem unbescholtenen Paul dann ein zweites Mal eine diversionelle Erledigung an, falls er Verantwortung übernimmt. Nach kurzer Rücksprache mit seinem Verteidiger bleibt Paul aber dabei – er sei unschuldig.

Das sieht Huber nicht so und verurteilt Hans zu zwölf Monaten und Paul zu drei Monaten bedingter Haft. Weder die Angeklagten noch der Staatsanwalt geben eine Erklärung ab, die Entscheidung ist daher nicht rechtskräftig. Die Notwehrversion glaubt die Richterin keinem der Angeklagten, von einem Punkt ist sie aber überzeugt: "Es gibt sicher Probleme in Ihrer Familie." (Michael Möseneder, 8.11.2021)