Pokey LaFarge spielt vermeintlich alte Musik frisch und neu.

Foto: New West

Würde plötzlich Elvis ins Bild treten und seine Lippe heben — niemand wäre überrascht. Das Video-Setting von Get It’Fore It’s Gone des Musikers Pokey LaFarge könnte einem jener Streifen entliehen sein, mit denen Presley in den 1960ern zum Sexgott für Hausfrauen retardierte. Das mögen seichte Filme gewesen sein, doch für LaFarge zählt, dass sie ihm wohlige Erinnerungen vermitteln.

Pokey LaFarge ist eine Ausnahmeerscheinung im Popzirkus; eben hat er sein Album In the Blossom of their Shade veröffentlicht. Oberflächlich betrachtet spielt der aus Illinois stammende Musiker alte Musik. Sein Interesse an Geschichte wurde von seinem Opa geweckt, und als Pokey als Teenager den Blues entdeckte, war das eine weitere Prägung. Heute lebt er eine starke Affinität zur Tradition, ist aber nicht retro: Das Wort hasst er aufrichtig. Seinen Zugang beschreibt er mit "Evolving Through Preservation" – Entwicklung durch Erhaltung.

NPR Music

Pokey LaFarge – schon der Name des 1983 als Andrew Heissler Geborenen klingt entrisch. Er unterstreicht das, indem er Anzüge trägt, die aussehen, als sei 1923 jemand darin bestattet worden. Zudem erinnert er an den Schauspieler Tim Blake Nelson. Der spielt in dem Coen-Brothers-Film O Brother, Where Art Thou? die Rolle des mit zwei anderen aus dem Gefängnis geflüchteten Delmar O’Donnell. Dass Pokey ein Slangwort für Knast ist, passt da gut, ebenso wie die Musik, die im Film und von LaFarge gespielt wird: Es ist American Music.

Die Vermischung zählt

Das klingt in manchen Ohren vielleicht patriotisch, doch für so platte Emotionen ist LaFarge zu weise. In den USA hat man da auch weniger Skrupel, und dass es etwa von den Blasters und den Violent Femmes Songs gibt, die American Music heißen, zeigt, dass man bei dem Begriff nicht gleich die Pechnase des Woketurms anwerfen muss. So sieht das auch LaFarge.

Pokey LaFarge

Er nimmt, was gut ist, weil es gut ist, von wem es kommt, ist zweitrangig. Er spielt Folk, Blues, Country, Rock ’n’ Roll, streift am Doo Wop genauso an wie am Jazz einer Marching Band. Das alles und mehr ist für ihn American Music – und ihre Vermischung. LaFarge denkt und deutet all diese Stile lebensnah als sich gegenseitig beständig befruchtende und verändernde Gattungen. Zeitgenössische Dogmen, wer was mit welcher Frisur und Hautfarbe spielen darf, hält er für Unfug.

Mit Jack White auf Tour

In den Zehnerjahren fiel er Jack White von The White Stripes auf. Der nahm ihn auf sein Label Third Man Records. Bald tourte Pokey mit White und spielte bei dessen Album Blunderbuss mit. Das hat seiner Popularität nicht geschadet, wenngleich es bei einem Studioalbum für Third Man geblieben ist.

Pokey LaFarge

Seit damals sind inklusive des neuen sechs weitere hinzugekommen. Das Neue überzeugt mit seiner Mischung aus Ernsthaftigkeit und spielerischer Hingabe. LaFarge lädt seine nerdige Erscheinung ironisch auf. Gleichzeitig bleibt spürbar, er ist ein Mann auf Mission, ohne deshalb das Tuch des Predigers überzuziehen.

Sanftmut

Doch wenn er sich des Appalachen-Folk annimmt oder in Richtung Fats Domino abbiegt, dann mit voller Hingabe: Mit Hall belegt er einen Ausflug nach Rotterdam, Fine To Me feiert in einem Innenhof in New Orleans eine Nachmittagsparty, Mi Ideal könnte ein Erbstück von Roy Orbison sein, Killing Time ist ein sanfter Rocker.

Die Sanftmut ist vielen Songs eigen. Es ist ein Swing, der seine Musik positiv wirken lässt – selbst der Blues ist ja keine per se defätistische Gattung. Aber wenn er will, hat LaFarge auch diese Gemütsfärbung im Repertoire – ein Guter. (Karl Fluch, 6.11.2021)