Schriftsteller Franzobel schreibt in seinem Gastkommentar über die Menschen in Oberösterreich, ihre Eigenheiten und warum es so schwierig ist, die Impfquote zu heben.

Warum ist Oberösterreich das Bundesland mit der geringsten Impfquote und der höchsten Fallzahl? Weil die Oberösterreicher Sturköpfe mit einer Hornbach-Mentalität sind – fleißige Heimwerker, die sich nirgendwo dreinreden lassen. Überall stehen Vierkanthöfe, die bezeichnend sind für den misstrauischen, wehrhaften Oberösterreicher, der in der Geschichte immer überrannt worden ist von Bayern, Salzburgern, Wienern.

Es sind monolithische Trutzburgmenschen, die sich ihr eigenes Weltbild zurechtzimmern. So ist es kein Zufall, dass man in Oberösterreich nicht nur viele Reichsbürger und Freemen findet, sondern auch eine erfolgreiche Partei von Impfgegnern. Mein Englischlehrer hat gesagt, Oberösterreicher sind die Most-People. Most war einmal die Landessäure – leicht süßlich und doch so sauer, dass es einem den Mund bis in die Enddärme zusammenzieht. Deshalb ist der Humor im Land ob der Enns dermaßen trocken, dass es staubt.

Illustration: Felix Grütsch

Man isst viel Sauerkraut – eigentlich zu allem. Ein Wunder, dass nicht bereits in den Morgenkaffee Krautsalat gegeben wird. Und Knödel – überbackene Knödel, kleine Innviertler Knödel, Knödel mit Grammeln, Speck, Haschee, Zwetschken, Topfen. Praktisch nichts, was es nicht als Knödel gibt. Vielleicht fürchtet man deshalb kein Corona, weil man das Virus für einen Knödel hält.

Die Leute sind wie Most – süß und hinterfotzig. Mehr Blasmusikkapellen und Goldhaubengruppen als Gemeinden. Früher haben sich die Bürgermeister mit einem Hallenbad ein Denkmal gesetzt, heute tun sie es mit einem Kreisverkehr. Und rundherum scheußliche Schuhschachtelarchitektur. Kein Bundesland ist so sehr mit an Umspannwerke gemahnenden Einfamilienhäusern verhüttelt, wo man bereits vom Hinsehen Augenkrebs bekommt. In meiner Heimatstadt Vöcklabruck – vorn a Turm, hint a Turm, und dazwischen lauter Surm – ist der Stadtkern komplett entseelt, spielt sich alles im Umfahrungsstraßen-Einkaufszentrum ab, das in seiner traurigen Identitätslosigkeit auch in Sarasota oder Norrköping stehen könnte.

"Unter einer griasladen Freundlichkeit versteckt sich eine tiefe Skepsis gegenüber allem, eine explosive Mischung aus Minderwertigkeitsgefühl, Stolz und Fremdenhass."

Ist es Zufall, dass das Land Brutstätte für Nazis war? Hitler, Eichmann, Kaltenbrunner usw. Krude Eigenbrötler wie Lanz von Liebenfels haben hier gelebt. Jörg Haider. Aber es gab auch eine Widerstandsgruppe im Salzkammergut oder einen Franz Jägerstätter. Heute treiben Jungnazis ihr Unwesen, schänden Friedhöfe und schießen auf KZ-Überlebende. Ausnahmen?

Unter einer griasladen Freundlichkeit versteckt sich eine tiefe Skepsis gegenüber allem, eine explosive Mischung aus Minderwertigkeitsgefühl, Stolz und Fremdenhass. Unter Kultur versteht man einen Schauraum für KTM oder einen Endsieg-Fantasien-Maler Odin Wiesinger. Aber es gibt auch ein anderes, modernes Oberösterreich: Ars Electronica, Klangwolke, Lentos, Attwenger, Texta, Haderer und viele mehr. Oberösterreich ist wie Bayern, aber viel extremer. Ein Arbeiter- und Bauernland mit keinem Bürgertum, Most-People.

Die kleinste Metropole der Welt

Linz hat mehr Arbeitsplätze als Einwohner und die beste Luftqualität von allen Landeshauptstädten. Dafür ist die Selbstmordrate hoch. Die ehemalige Verbannungsstadt ist die kleinste Metropole der Welt, ein hybrides Mühlviertler Dorf, und ihre Spezialität sieht aus wie ein erblindeter Keks. Freundlich sind die Leute, sagen aber Sätze wie "nix gsogt, is globt gnua" oder "auf di werdns grad warten".

Wer die von Franz Stelzhamer gedichtete Landeshymne hört, glaubt an einen Scherz: Hoamatland, Hoamatland, i han di so gern, wia a Kinderl sei Muader, a Hunderl sein’ Herrn. Dabei sind die Oberösterreicher weniger stolz auf ihr Land als Tiroler, Kärntner, Steirer. Die Landschaft ist weder hochalpin noch pannonisch flach, sondern buckelig. Immer geht es leicht bergauf und leicht bergab – wie bei Thomas Bernhard, wo die Sätze auch ständig neuen Anlauf nehmen. Eine Wiederholung des Immergleichen.

"Oberösterreich? Eine spröde, ländliche Gegend, wo knorrige Mostbäume in nebelverhangenen Feldern oder auf braunen, beraureiften Wiesen stehen. Das B spricht man hier als W aus, wie umgekehrt."

Der Oberösterreicher ist in seinen Gewohnheiten erstarrt – maulfaul, katatonisch, leicht autistisch. Was der Bauer nicht kennt, isst er nicht. Schrimps, hat mein Onkel einmal gesagt, während er mit seinem Taschenfeitl in einem gebratenen Sauschädel herumstocherte, Fleischstücke vom borstigen Kopf löste und sich in den Mund stopfte, Schrimps würde er nie essen. Sauschädelfleischflankerln spritzten aus seinen Zähnen, und er sagte: Na, Schrimps? So ein grausliches Zeug. Mehlwürmer … würde er nie essen.

Oberösterreich? Eine spröde, ländliche Gegend, wo knorrige Mostbäume in nebelverhangenen Feldern oder auf braunen, beraureiften Wiesen stehen. Das B spricht man hier als W aus, wie umgekehrt. Statt Löwe sagt man Löbe, Möwe sind Möbelstücke und Möbe der Vogel. Beim Telefonieren heißt es, morgen rühre ich mich wieder – als ob man sich bis dahin nicht bewegen würde. Den Kiwi (Kübel) gibt es länger als in Neuseeland. Oberösterreichisch ist die kehlkopfschonendste Sprache der Welt. Man darf nur den Mund nicht bewegen: Du lo da dawei, wei itzt brauchst di a net zum Dastessen ofanga … Und dann gibt es diesen Test, mit dem man Fremde überfällt: Sag Oachkatzlschwoaf, weil wenn du Oachkatzlschwoaf nicht sagen kannst, bis du kein Oberösterreicher.

Oberösterreich ist ein schönes Land mit freundlicheren Menschen als in Wien. Ich bin gerne dort. Bratl in der Rein, Leberkäse, gebackene Mäuse, Pofesen … Und doch wird man es bald in Oberseichen oder Aberösterreich umbenennen, weil die Leute belehrungsresistent sind, in kindlicher Trotzhaltung genau das tun, was sie nicht sollen: FPÖ wählen, nicht impfen, aus Prinzip dagegen sein. Lauter Individualanarchisten. Gar nicht unsympathisch, aber manchmal einfach dumm. (Franzobel, 6.11.2021)