Heute nimmt Clemens Johann Setz den mit 50.000 Euro dotierten Büchner-Preis in Darmstadt entgegen. Er freut sich.

Foto: Heribert Corn

Der Mensch: Biografisches

Heute nimmt Clemens Johann Setz den mit 50.000 Euro dotierten Büchner-Preis entgegen, in wenigen Tagen hat er noch etwas zu feiern. Etwas Banaleres vielleicht, denn Setz hat am 15. 11. Geburtstag. 1982 wurde der Autor in Graz in eine mittelständische Familie geboren, absolvierte dort die klassische Schulkarriere. Für Literatur begann er sich verhältnismäßig spät zu interessieren, sein erstes Buch las er überhaupt erst im Alter von 16 aus, erzählt er. Und auch nur, weil er vom ewigen Sitzen vor Computern – Setz wollte damals Programmierer werden – Migräne bekam und Abwechslung brauchte.

Dafür war es dann eine große Liebe, die sofort mit dem Wunsch, selbst zu schreiben, einherging. "Man will die Berührungen nicht nur empfangen, sondern erwidern." Die Autoren Ernst Jandl, Josef Winkler oder Friederike Mayröcker wurden zu seiner Welt. Schwermütiges und Humorvolles interessierten ihn gleichermaßen. Keine Partys bis Anfang 20. "Heute würde man wohl Nerd oder gar Incel dazu sagen, wie ich damals war."

Seinen Zivildienst, bei dem er mit Menschen mit Behinderungen, die auch immer wieder in seiner Literatur eine Rolle spielen, arbeitete, beschreibt er als intensiv und prägend. "Ich bin vollständig verwandelt daraus hervorgegangen."

Seine Lehramtsstudien der Mathematik und Germanistik schloss Setz nicht ab, damals war das erste Buch bereits im Entstehen. Fürs Schreiben fand er in Graz ideale Bedingungen vor. Das Literaturhaus förderte den Nachwuchs und leistete Vernetzungsarbeit. "Man konnte einfach in das Lichtungen-Büro* gehen und mit Alfred Kolleritsch plaudern, der einen ernst nahm."

Seit 2018 lebt der mehrfach preisgekrönte Autor mit seiner Freundin nun aber doch in Wien, sie erwarten ihr erstes Kind.

Der Nerd: Themen und Sprache

Zwar ist der Begriff Nerd, mit dem auch Clemens Setz gern bezeichnet wird, nicht mehr ganz so negativ konnotiert wie früher, trotzdem täte man wohl besser daran, ihn einen Universalgelehrten der Nischen zu nennen.

Obskure Schätze zu heben scheint ihn anzutreiben – sei es vergriffene Bücher in die Hände zu bekommen und ihren Autorinnen und Autoren wieder ein Plätzchen an der Sonne zu erschreiben, sei es, sich für Themen zu interessieren, für die das Label "special interest" schon ein Euphemismus ist.

Trotzdem scheint im Themendickicht aus Hohlwelttheorie bis zum Entspannungshilfe-Phänomen ASMR immer ein ehrliches Interesse am Menschen hervor – die "Seltsamkeit" in Setz’ Schreiben ist nicht reiner Selbstzweck und sollte nicht mit Exzentrik verwechselt werden. Berührungsängste hat Setz keine, er würde auch keinen Unterschied im Wert einer frühmittelalterlichen Griffelglosse und dem eines Powertweets eines Deutschrappers sehen, wenn ihm beides zusagt.

Seine Begeisterungsfähigkeit lässt Setz sich in unterschiedlichste Gebiete vertiefen, von denen er auch seinem Publikum keine Details erspart. Das kann durchaus etwas viel werden. Auch stilistisch ist der Autor eine Forrest-Gump’sche Pralinenschachtel, in der verspielt Poetisches neben Kolloquialem zu liegen kommt.

Der Gattungssammler: Vielseitig und experimentierfreudig

Sowohl als Leser als auch als Autor haben es Setz die Ziegel angetan. Mit Die Frequenzen (2009) und Die Stunde zwischen Frau und Gitarre (2015) legte er bereits zwei vor. Als seine beiden anderen liebsten Textformen nennt er "light verse", kurze humorvolle und songartig-gereimte Gedichtchen, wie er sie gern auf Twitter deponiert, sowie Essays: "Sonderbare Betrachtungen über irgendeine Fußnote in einem Werk des 16. Jahrhunderts finde ich endlos sexy."

Clemens Setz ist in vielen Gattungen fit. Er kann den Romancier, den (Twitter-)Poeten, den Drehbuch- und Theaterautor, den Übersetzer (gelungen die Übertragungen von Scott McClanahans Romanen Crap und Sarah), den Essayisten. Als Meister der Groteske zeigt er sich in einigen seiner Erzählungen. Zum Beispiel in dem Band DerTrost runder Dinge von 2019. Im Text Otter Otter Otter geht es um eine blinde Frau, in deren Wohnung Obszönitäten mit dickem Filzstift an der Wand geschrieben stehen – oder besser um ihren neuen Freund, der nicht weiß, wie er ihr das sagen soll. "SCHLAMPE auf einem Lampenschirm. FRISS SCHEISSE SAU SAU SAU rund um eine Steckdose. Generell sehr viel SAU. Es war ein kurzes Wort, es passte selbst auf schmalste Flächen", heißt es dort, und man weiß nicht, ob man das jetzt auch ein bisschen lustig finden darf oder vor allem schockiert sein muss.

Noch spannender als die Vielseitigkeit seiner Œuvres in Bezug auf reines "Gattungsswitching" ist es dort, wo Setz die Genres überhaupt in den Mixer steckt. So sind Die Bienen und das Unsichtbare (2020) eine wilde, aber stimmige Mischung aus geisteswissenschaftlicher Vorlesung über Plansprachenpoetik und Autobiografie oder -fiktion. Diese Experimentierfreudigkeit ist sicher eine der Qualitäten, die den Autor auszeichnen. (Amira Ben Saoud, 6.11.2021)