Im Gastkommentar tritt Wifo-Chef Gabriel Felbermayr dafür ein, die Impfquote zu heben. Als Vorbild nennt er das Burgenland mit seiner Impflotterie.

Mit einer höheren Impfquote kann Österreichs Wirtschaft den Corona-Winter meistern. Noch gibt sie leider Anlass zur Sorge.
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Es ist höchste Zeit, in einer großen, gemeinsamen Anstrengung die nationale Impfquote auf ein Niveau zu heben, das härtere Maßnahmen unnötig macht und unsere Wirtschaft gut über den Winter bringt. Anreize müssen dabei eine Schlüsselrolle spielen. Schließlich schießen in Europa die Corona-Infektionszahlen wieder nach oben – in Österreich ganz besonders stark. Die wirtschaftlichen Risiken steigen damit ebenfalls.

In Österreich liegt die Impfquote aktuell bei etwa 63 Prozent, in wirtschaftlich zentralen Bundesländern wie Oberösterreich noch deutlich darunter. Die Impfquote ist in Portugal um ganze 25 Prozentpunkte höher als in Österreich. In Dänemark sind 76 Prozent der Bevölkerung voll geschützt – dieser Wert könnte für Österreich eine realistische Zielmarke sein, die vor Weihnachten erreicht werden sollte.

Vorbild Burgenland

Wie das gehen könnte, hat das Burgenland mit seiner Impflotterie gezeigt. Es braucht Anreize, um die Motivation für den zweifellos unangenehmen Impfakt zu erzeugen. Moralpredigten und Appelle, medizinische Aufklärung oder immer neue Regeln für Testnachweise reichen offenbar nicht. Klar, Anreize, die auch wirken sollen, kosten Geld, aber das Geld wäre sehr gut angelegt. Ein zweimonatiger Lockdown für die nicht Immunisierten könnte schnell volkswirtschaftliche Kosten von über zwei Milliarden Euro verursachen. Wenn man nur ein Zehntel dieses Betrages in Form von Preisen auslobt, könnte es gelingen, die Impfquote so weit zu steigern, dass kein erneuter Lockdown erforderlich ist.

Alle Geimpften, egal wann sie sich ihren Stich geholt haben, sollten sich an der Lotterie beteiligen dürfen; Genesene hingegen nicht, denn Immunisierung durch Ansteckung ist im Vergleich zur Impfung eine individuell wie gesellschaftlich riskante Strategie. Gut, dass nun auch Oberösterreich dem Vorbild des Burgenlandes folgen will.

Immunisierungsgrad erheben

Anreize für höhere Impfquoten werden in der Forschung schon lange gefordert. So empfiehlt die Karlsruher Verhaltensökonomin Nora Szech für junge Menschen Einkaufsgutscheine von bis zu 500 Euro pro Impfung. Und auch außerhalb des Burgenlandes wurden Impflotterien erfolgreich eingesetzt, etwa in Kalifornien, wo 116 Millionen Dollar für Preise in der Höhe von bis zu 1,5 Millionen Dollar eingesetzt wurden.

Zusätzlich wäre es sehr sinnvoll, regelmäßig in repräsentativen Stichproben den Grad der Immunisierung der Bevölkerung zu erheben, damit wir bezüglich Herdenimmunität nicht länger im Dunkeln tappen.

Hohe Kosten

Unter 20 EU-Mitgliedern, für die Daten vorliegen, belegt Österreich schon jetzt Platz fünf beim Bevölkerungsanteil derer, die aufgrund einer Covid-19-Erkrankung intensivmedizinische Betreuung benötigen. Die vier Länder, die schlechter liegen, befinden sich allesamt im Osten und Südosten der EU: Rumänien, Bulgarien, Slowenien und Estland. In Dänemark und Schweden, den Musterschülern, liegt der Anteil bei einem Zehntel des österreichischen Anteils. In der Statistik korreliert das Ausmaß der Belegung der Intensivstationen sehr deutlich mit der Impfquote, und zwar negativ. Ähnliches lässt sich in Österreich selbst beobachten: Bezirke mit niedriger Impfquote sehen aktuell ein aktiveres und gefährlicheres Infektionsgeschehen. So viel ist klar und eigentlich unumstritten.

Was auch kaum bestritten werden kann, ist die Tatsache, dass verschärfte Corona-Maßnahmen, bis hin zu einem Lockdown für Ungeimpfte, hohe wirtschaftliche Kosten haben würden. In der Infektionswelle im letzten Winter lag die Wirtschaftsleistung nach Wifo-Berechnungen in der Spitze um zwölf Prozent unter dem Vorkrisenniveau. Das war ein Wertschöpfungsverlust von etwa 200 Millionen Euro pro Arbeitstag. Selbst wenn der Lockdown "nur" für das Drittel der Ungeimpften gelten würde und man den Rest der Wirtschaft vor negativen Auswirkungen bewahren könnte, was nicht sicher ist, würde ein Einkommensentfall von etwa 70 Millionen Euro pro Tag entstehen.

Auch im Gesundheitssystem laufen sehr schnell hohe Kosten auf: Eine Behandlung in der Intensivstation kostet je nach Schwere der Erkrankung schnell einen fünfstelligen Eurobetrag. Dazu kämen die nicht monetär bewertbaren psychischen Kosten, langfristige Schäden durch Long Covid und die negativen Konsequenzen des Wegsperrens eines Teiles der Bevölkerung bei ohnehin schon hoher Polarisierung.

Schlechte Aussichten

In seiner letzten Konjunkturprognose sagt das Wifo für das Winterhalbjahr 2021/22 eine Stagnation des Wachstums voraus; ein harter Lockdown würde diese Vorhersage hinfällig machen. Ebenso würden die Finanzplanungen des Bundes zur Makulatur werden, nicht nur weil die Steuereinnahmen deutlich unter Plan blieben, sondern weil neue Corona-Hilfen für Unternehmen unausweichlich würden. Noch höhere Staatsschulden wären die Folge. Übrigens führen hohe Infektionszahlen und Hospitalisierungsraten auch ohne behördliche Einschränkungen des Wirtschaftslebens zu volkswirtschaftlichen Einbußen, und zwar durch häufigere und längere Krankenstände, Pflegeurlaube von Angehörigen und freiwillige Zurückhaltung der Konsumenten.

Natürlich beendet auch eine hohe Impfquote die Pandemie nicht. Aber sie macht aus einer gesundheitspolitisch gefährlichen Seuche eine Krankheit, mit der man umgehen kann, ohne neue wirtschaftliche und gesellschaftspolitische Verwerfungen zu riskieren. (Gabriel Felbermayr, 6.11.2021)