Haben wir keine anderen Sorgen als den zerrupften Weihnachtsbaum vor dem Wiener Rathaus? Leider schon. Deshalb ist es auch so befreiend, sich über diese Fichte gewordene Provokation aus dem Burgenland zu echauffieren. Corona, das uns seit bald zwei Jahren in einen Ausnahmezustand versetzt, ist bedrohlich genug. Die damit einhergehende Routine ist auch beschwerlich: in den Krankenhäusern, wo das Personal an der Belastungsgrenze entlang Dienst versieht, oder ganz banal im Supermarkt, wo die Maske Normalität geworden ist, zwangsläufig. Und wir müssen uns darauf einstellen: So schnell wird es nicht besser. Im Augenblick wird’s eher wieder schlimmer.

Nicht an allem ist auch die Politik schuld, manches kommt unvorhersehbar und lässt sich kaum beeinflussen. Die Pandemie beschert uns einen Lernprozess, auf den wir gerne verzichtet hätten. Diesem Prozess muss sich auch die Politik unterziehen, sie tut das mit unterschiedlichen Erfolgen. In Oberösterreich, um es konkret zu benennen, mit erschreckend geringem Erfolg. Die Politik kann maßgeblich bestimmen, wie wir als Individuen und Gesellschaft auf die Pandemie reagieren und mit ihr zurechtkommen. Durch Überzeugungsarbeit oder auch Zwangsmaßnahmen. Und die wird es jetzt geben. Müssen.

Personen, die nicht geimpft sind, werden durch die Einführung der 2G-Regel sukzessive vom öffentlichen Leben ausgeschlossen. Sie werden keine größeren Veranstaltungen mehr besuchen können, egal ob Fußballplatz, Eislaufplatz, Kabarett oder Theater. Und sie werden ab Montag auch nicht mehr zum Friseur oder ins Wirtshaus gehen können. Wenn das kein Argument ist.

Die Impfung ist zentral, um den Einzelnen zu schützen, aber auch die gesamte Gesellschaft.
Foto: imago images/ITAR-TASS

Zentrales Instrument

Die Bekämpfung der Pandemie ist komplex, eine einzelne Maßnahme ist nicht ausreichend. Klar ist aber, dass Impfen das zentrale Instrument ist, um den Einzelnen zu schützen, aber auch die Gesellschaft als Ganzes. Eine hohe Durchimpfungsrate kann ein entscheidender Faktor im Kampf gegen die Pandemie sein. Umgekehrt: Wer sich nicht impft, gefährdet sich selbst, vor allem aber auch die anderen. Es ist sinnvoll, mit positiven Anreizen zu arbeiten wie mit einer Impflotterie, es ist mittlerweile aber auch notwendig, harte Schnitte zu setzen.

Regional abgestimmte Maßnahmen mögen sinnvoll sein, der Fleckerlteppich, der sich über neun Bundesländer entwickelt hat, ist es aber mit Sicherheit nicht. Die bedrohlich steigenden Infektionszahlen legten es nahe, sich an Wien zu orientieren, das mit Weitblick strengere Maßnahmen gesetzt hat, ungeachtet dessen, ob sich der Bürgermeister damit beliebt macht oder nicht. Mag sein, dass nicht jede einzelne Maßnahme zu jeder Zeit an jedem Ort die volle Wirkung entfaltet, insgesamt ist es aber sinnvoll, die Bürde einer generellen Verschärfung gemeinsam zu tragen – und jene Menschen, die sich aus "ideologischen" Gründen nicht impfen lassen, noch stärker unter Druck zu setzen.

Es kann nicht sein, dass wir sehenden Auges in eine Katastrophe schlittern. Wir wollen keine Opfer riskieren, deren Tod vermeidbar gewesen wäre. Wir wollen auch keinen Lockdown provozieren, der allen noch weitere Einschränkungen aufzwingt. Wir wollen hier raus. Dazu müssen Politiker wie Bürger ein paar unpopuläre Maßnahmen mittragen – ohne Aufstand. Dann können wir uns auch wieder brennenden Herzens über hässliche Weihnachtsbäume empören. (Michael Völker, 5.11.2021)