Facebook brachte den Begriff "Metaverse" in die allgemeine Diskussion, doch ist weder der Name für sie patentiert noch die Idee dahinter.

Foto: CHRIS DELMAS

Nach den Präsentation von Meta (ehemals Facebook) und Microsoft zum Thema Metaverse stellen sich viele Leute die Frage, was denn von diesen Konzern-Visionen für den potenziellen Nutzer wirklich erstrebenswert ist. Die mehrfach ausgezeichnete Informatikerin Johanna Pirker hat sich aufgrund ihrer Forschungsschwerpunkte in den Bereichen Virtual Reality (VR), Computerspiele und Data Science schon länger mit dem Thema befasst und bereits 2012 virtuelle Meetings in Form eines Avatars abgehalten.

Ihrer Meinung nach sollte man sich vor den Visionen einzelner Konzernchefs nicht verunsichern lassen. Vieles davon sei noch weit weg und sowohl der Begriff als auch die Idee hinter gemeinsam genutzten virtuellen Räumen läge nicht alleine in der Hand von Mark Zuckerberg oder in der eines anderen Social-Media-Schwergewichts.

STANDARD: Gibt es schon ein virtuelles Metaverse, von dem viele von uns noch nichts wissen?

Pirker: Die Ideen rund um virtuelle Welten und Virtual-Reality-Technologien gibt es sowohl in der Forschung als auch in verschiedensten Arbeitsbereichen seit Jahrzehnten. Das heißt, wir wissen durchaus schon sehr viel über das Potenzial und nutzen es auch, sei es in Angsttherapien oder für Schulungen in den verschiedensten Bereichen. Der große Unterschied der bisherigen Anwendungen zu den aktuell gezeigten Ideen ist allerdings, dass diese nicht miteinander verbunden waren – sie funktionierten nur für sich und Daten wurden in der Regel nicht übertragen. Simpel ausgedrückt versucht ja das Metaverse die unterschiedlichsten virtuellen Orte und Elemente in einem großen virtuellen Raum zu verbinden, das heißt es bräuchte eigentlich einen zentralen Anbieter, der all diese Projekte verbindet. Diesen gab es bisher nicht.

Pirker unterrichtet unter anderem an der TU Graz.
Foto: Johanna Pirker

STANDARD: Die Visionen von Mark Zuckerberg, uns komplett in seine virtuelle Welt zu ziehen, geht ja in diese Richtung. Das verunsichert viele Menschen. Wie sehen Sie das als VR-Forscherin? Ist es erstrebenswert, ein zweites Leben in VR anzufangen?

Pirker: Ich selbst sehe sehr viel Potenzial in VR und Augmented Reality (AR), um unterschiedlichste Bereiche unseres Lebens zu verbessern und zu vereinfachen. Beispielsweise können wir an Orte reisen, die wir sonst nicht besuchen könnten – den Mount Everest zum Beispiel oder die Toskana in einem Lockdown. Außerdem lädt uns die Technologie ein, Dinge zu tun, die sonst gefährlich oder unmöglich wären, etwa Physikexperimente. Ich denke, um die aktuelle Diskussion um das Metaverse zu verstehen, muss man sich die beschriebene Vision etwas genauer anschauen. Was etwa von Mark Zuckerberg beschrieben wird, ist tatsächlich eine noch weit entfernte Vision und eine Sammlung verschiedenster Ideen in unterschiedlichen Anwendungsgebieten. Was er beschreibt, ist mehr als eine traditionelle virtuelle Welt oder VR-Erfahrung: es wird ein sehr komplexes und abstraktes Gesamtsystem beschrieben.

STANDARD: Zu kompliziert für die Nutzer?

Pirker: Die Vision "einfach so" das Metaverse, als alles-verbindende Gesamtsystem von Null zu bilden, sehe ich allerdings kritisch. Viele Menschen haben beispielsweise mit VR noch wenig bis gar keine Erfahrung, kennen das Potenzial nicht und können so auch nicht aufzeigen, was ihre speziellen Bedürfnisse für die Anwendungen wären oder auch was sie nicht möchten. Ich denke das trägt nur weiter dazu bei, dass hier Ängste vor dem Unbekannten entstehen. Für einen Erfolg eines solchen Megaprojekts müssten diese Ängste also erst beseitigt werden. Es wäre wichtig, zuerst schrittweise verschiedenste Anwendungen beziehungsweise die Hardware den Menschen näherzubringen, zu testen und gemeinsam basierend auf den Bedürfnissen iterativ weiterzuentwickeln, als sich schon auf das große Gesamtsystem zu stürzen. Vielleicht passiert das im Hintergrund auch – wenn nicht, wird es ein noch sehr viel weiterer Weg für die Akteure.

Auch Microsoft will die virtuelle mit der realen Welt vermischen.
Foto: Microsoft

STANDARD: Wie sehr unterscheidet sich das Gezeigte von bereits existierenden Welten oder Spielen? Vieles hatte man gefühlt schon einmal gesehen, sei es im Spiel "Second Life" oder in anderen virtuellen Welten.

Pirker: Virtuelle Welten mit der Möglichkeit andere Menschen in Form von Avataren zu treffen gibt es tatsächlich schon sehr lange, sei es in Form von Spielen wie "World of Warcraft" oder sozialen Welten wie "Second Life". "Second Life" war kurzzeitig sehr populär und wurde auch für die unterschiedlichsten sozialen Szenarien verwendet, etwa Lernen, Arbeiten oder soziale Treffen. Das Spiel war auch in beruflicher Hinsicht ein Vorreiter. So konnte man in der offenen Variante eigene Welten gestalten und diese auch auf eigenen Servern hosten. So konnten Firmen etwa Präsentation in dieser virtuellen Welt abhalten, ähnlich den Ideen, die Microsoft kürzlich präsentiert hat.

STANDARD: Microsoft will ja tatsächlich ihr eigenes Metaverse schaffen, aber wie Sie sagen, mit dem Fokus auf Videocalls oder andere berufliche Bereiche. Klingt es für Sie sinnvoll, einen Teams-Call mit virtuellen Avataren abzuhalten, die durch ein ebenso virtuelles Büro laufen?

Pirker: Ich finde die Möglichkeit definitiv sehr spannend und sehe in manchen Anwendungsszenarien durchaus Vorteile gegenüber klassischen Calls. Grundsätzlich gibt es Szenarien, in denen das gemeinsame Arbeiten in einem 3D-Raum produktiver sein kann als im Vergleich zu traditionellen Videocalls; speziell, wenn wir vom gemeinsamen Arbeiten reden und nicht nur von kurzen Meetings. In einem Videocall sind wir ganz offensichtlich räumlich getrennt. In virtuellen Räumen allerdings, können wir zusätzlich den Raum nutzen und uns gemeinsam in diesem bewegen. Man kennt ja auch diese leidigen Calls mit sehr vielen Teilnehmern. In solchen Szenarien kann man als Avatar leichter Gruppen bilden und so etwa Einzelgespräche führen oder in kleinen Gruppen arbeiten. Das funktioniert – fast wie im echten Leben – viel intuitiver als wenn einen 20 Leute auf einem 2D-Bildschirm anstarren.

Kollaborationen fühlen sich einfach deutlich natürlicher an. So ist es nicht verwunderlich, dass während der Pandemie viele Menschen Hochzeiten oder wissenschaftliche Konferenzen in Spielen wie "Animal Crossing" veranstaltet haben oder Firmen ein virtuelles Büro auf Plattformen wie "Gather.town" eingerichtet haben, in dem sie den ganzen Tag über online waren und für Fragen schnell zum (virtuellen) Nachbartisch gegangen sind.

So sahen virtuelle Arbeitsräume 2012 aus.
Foto: Pirker
Auch damals konnte man bereits länderübergreifend an Konzepten arbeiten und diese virtuell teilen.
Foto: Pirker
Für Mark Zuckerberg sehen Meetings in naher Zukunft etwa so aus.
Foto: Meta

STANDARD: Aber die Idee von virtuellen Meetings ist nicht neu.

Pirker: Sie ist eigentlich schon sehr alt. Ich selbst habe bereits 2012 regelmäßig an solchen Meetings teilgenommen. Damals habe ich bei der Open-Source-Welt "Open Wonderland" mitgearbeitet. Um neue Features für unsere virtuelle Welt zu bauen haben wir uns regelmäßig als Avatare innerhalb dieser Welt getroffen und dort gemeinsam programmiert und geplant. Das hatte schon damals die eben erwähnten Vorteile. Wir waren alle an unterschiedlichen Orten zuhause, etwa Kalifornien, UK oder Österreich und hatten dann doch in dieser virtuellen Welt einen gemeinsamen Arbeitsbereich mit verschiedenen Räumen und Bereichen. Während eine Person programmierte, konnte die andere direkt daneben die nächsten ToDos beschreiben oder testen. Anstatt ständig zwischen unterschiedlichen Screens zu wechseln, musste man sich nur umdrehen, oder bei Fragen zu der entsprechenden Person spazieren.

STANDARD: Viele hoffen ja, dass man nicht unbedingt VR-Brillen braucht, um virtuell arbeiten zu können, sondern vielleicht Augmented Reality das größere Business wird und man zumindest noch die eigene Umgebung wahrnimmt und nur von zusätzlichen Einblendungen profitiert. Also das Beste aus beiden Welten mitnimmt. Wo stehen wir da technisch?

Pirker: Ich sehe Virtual Reality und Augmented Reality als zwei komplett unterschiedliche Welten. Augmented Reality hat durchaus sehr relevante und praktische Anwendungsfällen, um uns den Alltag zu erleichtern, etwa Hilfestellungen einzublenden oder weniger wichtige Dinge auszublenden. Virtual Reality hingegen erlaubt es uns in komplett andere Welten einzutauchen.

STANDARD: Was muss ein Metaverse für Sie persönlich mitbringen, damit Sie es nutzen würden?

Pirker: Was ich mir von einer virtuellen Realität erwarte, ist ein positiver Nutzen, sinnvolle und spannende Anwendungsszenarien und vor allem Sicherheit. Es ist sehr wichtig, dass digitale Welten, die für uns alle gestaltet werden, erstens mit uns gestaltet werden und unsere Bedürfnisse einschließen und zweitens gemeinsam mit Expertinnen und Experten unterschiedlichster Bereiche gestaltet werden – angefangen im Bereich Soziologie bis hin zur Psychologie. Im Idealfall werden dann Räume geschaffen, die Menschen zusammenbringen und nicht ausgrenzen. Spaltung gibt es in der realen Welt schon genug. Angst davor sollten wir in jedem Fall nicht haben. (Alexander Amon, 7.11.2021)