Am Wochenende versammelten sich Tausende von Menschen in den Straßen von Addis Abeba.

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Keine 200 Kilometer von der Hauptstadt entfernt sollen die Rebellen sich bereits befinden.

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Noch ist Äthiopiens Hauptstadt Addis Abeba nur für Menschen, die aus der Tigray-Provinz stammen, gefährlich. "Einer meiner tigrinischen Freunde nach dem anderen wird derzeit verhaftet", erzählt ein Kollege, der die afrikanische Metropole zu seiner Heimat gemacht hat: "Auch wenn sie mit Tigrays Volksbefreiungsfront (TPLF) nicht das Geringste zu tun haben." Ansonsten sei von Panik unter den fünf Millionen Bewohnern der Stadt noch nichts zu spüren – auch nachdem Washington seinen nicht dringend benötigten Botschaftsangestellten die sofortige Ausreise angeordnet hat.

Äthiopiens Regierung forderte die Hauptstadtbewohner auf, sich für die Verteidigung Addis Abebas zu rüsten: Sie sollen ihre Waffen registrieren lassen und sich in Nachbarschaftsmilizen organisieren. Indessen ist der Feind in Gestalt der TPLF-Rebellen noch fast 400 Kilometer entfernt – allerdings sollen die Kämpfer der "Oromo Befreiungsarmee" (OLA) dem Sitz der Afrikanischen Union (AU) schon sehr viel näher sein. Angaben über die militärische Stärke der OLA sind allerdings mehr als nur lückenhaft.

Bestellte Demonstrierende

Am Wochenende versammelten sich Tausende von Menschen in den Straßen von Addis Abeba, um Premierminister Abiy Ahmed ihre Treue zu schwören: Sie seien bereit, sich an die Front transportieren zu lassen, um sich dem aus der Tigray-Provinz heranmarschierenden Feind entgegen zu stellen, sagten viele von ihnen. Als ein bekannter Sänger während der Kundgebung Versöhnung statt Krieg fordert, wird sein Mikrofon abgestellt.

Bei den Demonstranten handele es sich in der Mehrheit um aus der Provinz herbeikutschierte Äthiopier, meint der Kollege: Unter den Hauptstadtbewohnern sei die Begeisterung für den Regierungschef längst abgekühlt. Keines der gelben oder grün-weißen Taxis habe noch – wie vor zwei Jahren viele von ihnen – ein Bild von Abiy Ahmed im Fenster: Seine Kriegstreiberei hat den Friedensnobelpreisträger im urbanen Zentrum des Landes zur persona non grata gemacht.

Oppositionstreffen

Im fernen Washington trafen sich am Freitag Vertreter von neun Oppositionsparteien, um die "Vereinigte Front föderaler und konföderaler Kräfte" aus der Taufe zu heben und den Rücktritt Abiy Ahmeds zu fordern. Außer der TPLF und OLA gehören der Front allerdings keine landesweit relevanten Organisationen an. Es handele sich um eine "aufgeblasene Werbekampagne", befand der äthiopische Justizminister Gedion Timothewos: "Ich glaube nicht, dass die irgendeinen Einfluss haben." Zumindest in dieser Hinsicht ist der Kollege geneigt, dem Minister Recht zu geben.

In einem seltenen einmütigen Statement rief der UN-Sicherheitsrat die äthiopischen Kriegsparteien ebenfalls am Freitag zu einem sofortigen Waffenstillstand und zur Aufnahme von Friedensgesprächen auf. Selbst Russland und China nahmen von ihrer üblichen Formel der Nichteinmischung in die "inneren Angelegenheiten" Äthiopiens Abstand. Jeffrey Feltman, Sonderbeauftragter der US-Regierung für das Horn von Afrika, traf sich am selben Tag mit Regierungschef Abiy: Von der Aufnahme von Verhandlungen war allerdings auch danach keine Rede. Die AU ernannte den ehemaligen nigerianischen Präsidenten Olusegun Obasanjo zu ihrem Vermittler: Der wird wegen seiner Nähe zu Abiy – sie sind beide charismatische Christen – von der TPLF jedoch nicht anerkannt. Trotzdem traf Obasanjo am Sonntag in Mekelle, der Hauptstadt der Tigray-Provinz, ein.

Teurer Konflikt

Unterdessen scheint der Rebellen-Vormarsch anzuhalten. Die Regierungssoldaten bauten nahe der Stadt Debre Berhan eine neue Verteidigungslinie auf, heißt es in Militärkreisen: Sie ist keine 200 Kilometer mehr von Addis Abeba entfernt. Dort haben die Bewohner indessen gegen einen anderen Feind als den uniformierten zu kämpfen: Die Preise für Nahrungsmittel schießen in die Höhe, die Inflation ist bei über 50 Prozent angelangt. Abiys seit einem Jahr tobender Krieg gegen die TPLF soll die Staatskasse bereits 2,5 Milliarden US-Dollar gekostet haben: Falls die Rebellen die Hauptstadt nicht einnehmen, wird sie von den Kriegskosten verheert. (Johannes Dieterich, 7.11.2021)