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Nach dem Drohnenangriff auf die Residenz des Premiers wurden am Sonntag die Sicherheitsmaßnahmen in Bagdad verschärft.

Foto: AP/Hadi Mizban

In Hemdsärmeln und bleicher als sonst – und mit einer Binde am Handgelenk – erschien der irakische Premierminister Mustafa al-Kadhimi Sonntagfrüh im Fernsehen, um Spekulationen im Keim zu ersticken, er könnte den Anschlag auf ihn doch nicht so unbeschadet überstanden haben. Stunden zuvor hatten drei sprengstoffbeladene Drohnen die Residenz des Regierungschefs in der ehemaligen Grünen Zone im Zentrum Bagdads angegriffen. Zwei wurden abgeschossen, eine schlug im Haus ein, wobei mindestens sechs Leibwächter Kadhimis verletzt wurden.

Kadhimi zeigte sich auch mit Präsident Barham Salih und berief den Sicherheitsrat ein. Die Verurteilungen der Tat reichten quer durch das irakische innenpolitische Spektrum bis ins Ausland, zu den USA, Iran und arabischen Staaten. Allerdings machten sich Stimmen, die den Iran-loyalen schiitischen Milizen zuzurechnen sind, auf sozialen Medien lustig, der Mordversuch wurde als "erfunden" bezeichnet. Man würde doch keine Drohne für das Haus des Premiers opfern, schrieb etwa ein hoher Kommandeur der schiitischen Miliz Kataib Hisbollah.

Iranische Kontrolle?

In Richtung Milizen gingen auch die ersten Verdächtigungen: Die meist – nicht immer – schiitischen und Iran-treuen "Volksverteidigungseinheiten" oder Hashd al-Shaabi setzen oft Drohnen bei ihren Angriffen auf US-Interessen im Irak ein. Nicht jede Operation dieser Gruppen ist jedoch notgedrungen vom Iran aus gesteuert: Als die USA unter Donald Trump im Jänner 2020 ihrerseits den iranischen General Ghassem Soleimani am Flughafen Bagdad mit Drohnen töteten, beseitigten sie jene Figur, die absolute Kontrolle über die diversen Stellvertreterkräfte des Iran in der Region, auch im Irak, ausübte.

Im Iran meldete sich der Sekretär des Sicherheitsrats, Revolutionsgardengeneral Ali Shamkhani, mit der Theorie zu Wort, "ausländische Thinktanks" seien für den Anschlag auf den irakischen Premier verantwortlich, denn sie brächten Instabilität durch die Schaffung von Terroristengruppen. Damit ist meist der "Islamische Staat" (IS) gemeint, dessen Aktivitäten tatsächlich wieder stärker werden, von dem jedoch ähnliche Angriffe nicht bekannt sind.

Verluste für Fatah-Block

Der Vorfall trifft den Irak in einer besonders sensiblen Periode nach den Parlamentswahlen vom 10. Oktober. Ihre Resultate werden von den Milizen nicht anerkannt. Sie machen für das schlechte Abschneiden ihrer politischen Vertretung, des Fatah-Blocks, den Premier direkt verantwortlich. Fatah ist von 47 Mandaten im 2018 gewählten Parlament – das ergab damals die zweitstärkste Fraktion – auf 20 Sitze zurückgefallen. Es gab von Fatah-Seite rund 1.300 Beeinspruchungen des Wahlergebnisses, aber Nachzählungen haben bisher nichts am schlechten Ergebnis für die Iran-freundlichen Kräfte geändert.

Gegen den "von Kadhimi überwachten Wahlbetrug" waren am Freitag die Unterstützer der Milizen in Bagdad auf die Straße gegangen und hatten versucht, in die Grüne Zone, heute das Regierungsviertel, vorzudringen. Bei Zusammenstößen mit Sicherheitskräften, die mit Tränengas, aber auch scharfer Munition antworteten, wurde mindestens ein Demonstrant – laut Milizenquellen waren es mehr – getötet. Rufe nach Rache wurden laut.

Die anderen Proteste

Üblicherweise kommen die Proteste im Irak von der Iran-kritischen Seite und richten sich gegen die konfessionelle Politik, für die gerade die Milizen stehen. Die Proteste gegen das klientelistische System haben 2019 die Regierung von Mustafa al-Kadhimis Vorgänger Adel Abdul Mahdi zum Rücktritt gezwungen. Seit dem Beginn der Protestbewegungen wurden hunderte Demonstranten und Aktivistinnen getötet, viele wurden verschleppt.

Die 2022 anstehenden Wahlen waren wegen der Proteste und des Regierungsrücktritts in den Oktober vorgezogen worden. Sie waren die ersten für den Politik-Quereinsteiger Kadhimi, der im Mai 2020 als Kompromisskandidat ernannt wurde und der als solcher auch diesmal wieder mit der Regierungsbildung beauftragt werden könnte. Allerdings hat er nun nicht nur die Milizen gegen sich, auch die Protestbewegung ist von ihm enttäuscht.

Als Wahlsieger ging mit großem Vorsprung der schiitische Mullah Muktada al-Sadr hervor, der keine Iran-freundliche, sondern eine irakisch-nationalistische Linie vertritt. Und trotz des teilweisen Wahlboykotts kamen mithilfe eines neuen Wahlsystems auch Kräfte ins Parlament, die die Protestbewegung vertreten.

Als 2018 Fatah zur zweitstärksten Kraft im Parlament wurde, war der IS eben erst besiegt. Die Verdienste der Milizen bei dessen Bekämpfung wurden von den Wählern honoriert. Der jetzige Wahlausgang im Irak zeigt, dass die Menschen diese Zeit hinter sich lassen wollen. (Gudrun Harrer, 7.11.2021)