An der rechten Wand ein Regal, voll mit bunter Häkelware. Auch zur Linken drängen sich bunte Hüte und Handtaschen aus Baumwolle, Bast, recycelten Stoffen auf den Regalböden. Wie viele selbstgefertigte Stücke in ihrem Atelier lagern? Eva-Maria Schenzel schüttelt den Kopf. Keine Ahnung, das könne sie auf die Schnelle nicht sagen. Die Informatikerin, die an der TU Wien arbeitet, hat zu Beginn der Pandemie mit dem Häkeln begonnen, erst den Freundeskreis beschenkt und dann das Label Peci.Wien gegründet. Auf der Vienna Design Week hatte sie im Herbst ihren ersten großen Auftritt, damals stellte sie neben ihren tragbaren Stücken auch ein überdimensioniertes Bikini-Objekt aus.

Eigentlich aber habe sie schon als Kind gehäkelt, erklärt Schenzel und zeigt auf einige Miniatur-Puppenkleider. Die hat sie in der Volksschule für ihre Puppen gefertigt, nun hängen sie in ihrem Flur. Wenn Schenzel im vierten Bezirk an ihrem Schreibtisch vor dem großen Glasfenster sitzt, schaut sie nicht nur auf den herbstlichen Schwarzenberg-Garten, sie kann auch ungestört arbeiten.

Gehäkelte Tasche von Peci.Wien.
Foto: Susanna Hofer

Mit den Basteleien, die auf Onlineplattformen wie Etsy verkauft werden, hat das Label Peci.Wien wenig gemein. 580 Euro kostet ein Shopper, an dem Schenzel zwölf Stunden gearbeitet hat. "Ich habe sicher einen experimentelleren Zugang als eine Hobbyhandwerkerin", sagt die Quereinsteigerin ins Modefach. Sie entwirft ihre Häkelobjekte, die auch in Form von NFTs (Non-Fungible Tokens) erhältlich sind, im Kopf, fertigt Zeichnungen an, arbeitet teilweise mit Excel-Tabellen. Dass die Designerin Informatikerin ist, ist aus jedem ihrer Sätze herauszuhören: "Wenn die Zahlenreihen passen, transformiert man sie auch in eine schöne Form" ist so einer. Wenn sie davon spricht, Bikinioberteile in größere Größen zu übersetzen, dann "skaliert sie hoch": "Wichtig ist mir, dass sie an allen Körpern schön aussehen", schiebt sie hinterher. Dass ihre Entwürfe gerade so gut ankommen, verwundert kaum. Das Interesse an Handgefertigtem ist spätestens mit Beginn der Pandemie neu erwacht. Warum die Handarbeit einen solchen Boom erlebt? Für die Neo-Designerin liegen deren Qualitäten auf der Hand: "Das Häkeln lässt einen fokussieren, man kommt her unter und kann gut Gedanken entwickeln." Die Informatikerin schlägt selbst während Videokonferenzen Maschen an: "Man kann sich sogar besser konzentrieren, wenn man craftet." Sie habe immer viel gearbeitet, also auch viel nebenbei gehäkelt: "Mit der Pandemie ist der 'Wahnsinn' manifest geworden", lacht sie.

Gehäkelte Kunstwerke

So wie Schenzel erging es vielen Kreativen. In den vergangenen eineinhalb Jahren schossen unzählige Labels aus dem Boden, die dabei blieben und nun mit tragbaren gehäkelten Kunstwerken aufwarten: so wie das der US-Designerin Crandall Duffy, die filigrane Oberteile und Röcke fertigt. Oder das der Designerin Erika Maish, die am Central Saint Martins in London studierte und nun Kleider aus Perlen und farbenfrohe gehäkelte Pullunder produziert. Aber auch Laien legten selbst los, so wie der britische Turmspringer Tom Daley. Er entdeckte die Häkel- und Stricknadeln für sich und teilt seither seine Leidenschaft auf einem eigenen Account ("Made with love by Tom Daley"). 1,4 Millionen Menschen bewundern nun seine selbstgefertigten Decken, Pullunder, Cardigans und Pullovern.

Wer nicht selbst zu den Nadeln greift, legt sich Handgemachtes zu. Insbesondere gehäkelte Mode und Accessoires sind in den Social-Media-Netzwerken omnipräsent. Über 38 Millionen Bilder wurden bislang auf Instagram mit dem Hashtag #Crochet versehen, die Shoppingplattform Lyst beobachtete zuletzt bei den Suchanfragen nach Begriffen wie "crochet" oder "knitted" einen Anstieg von 89 Prozent. Kaum ein Luxusmodelabel ließ das Thema kalt, in den Sommerkollektionen von Valentino, Jil Sander, Fendi gaben heuer die Luftmaschen den Ton an. Selbst im Winter sieht die Sache nicht anders aus: Beim Modehaus Miu Miu sollen Häkelschals der Kollektion einen individuellen, schrägen Anstrich geben, beim schwedischen Label Acne wirken Pullunder, als habe Tom Daley seine Finger im Spiel gehabt. Ob die Entwürfe für die Modehersteller tatsächlich handgefertigt wurden? Es sieht zumindest aus, als ob.

Sieht ganz aus wie handgestrickt – Pullunder von Acne.
Foto: Acne

Ein weiteres Pandemiethema, das gekommen ist, um in Mode zu bleiben: Batik, englisch Tie-Dye. Marken wie Sportmax integrieren Batikmuster in ihre aktuellen Herbstkollektionen, die Batikshirts des schwedischen Retailers H&M (Bild links oben) sind bereits restlos ausverkauft. Wenn man so will, eine Spätfolge der vergangenen Monate. Während der Lockdowns fanden selbst vielbeschäftigte Stars Zeit, sich die Hände dreckig zu machen: Modedesignerin Victoria Beckham tauchte mit ihren Kindern Cruz und Harper im Garten weiße T-Shirts, Socken, Unterwäsche in Batikfarbe, Model Kendall Jenner bekannte sich in einem Videotelefonat mit Justin und Hailey Bieber zur neu erwachten Lust an der großen Sauerei im Farbbad.


Batikmuster bei H&M.
Foto: H&M
Auch in der Herbstkollektion von Sportmax entdeckt man Batikmuster.
Foto: Sportmax

Batik-Anleitungen auf Youtube

Auch die Generation Z ließ sich von den Batikexperimenten anstecken. Die deutsche Youtuberin Julia Beautx erklärte ihren zwei Millionen Abonnenten die Grundlagen der Technik – nicht jeder Vertreter der Gen Z hat schließlich Großeltern, die in den 1970ern in der Hippie-WG die Latzhosen färbten.

Julia Beautx

Wie nötig eine solche Anleitung offenbar war, zeigen die Zugriffszahlen. Bis heute wurde das Video mehr als 855.000-mal aufgerufen. Wie lange die Batikmuster bleiben, ist fraglich. Erste Ermüdungserscheinungen lassen sich angesichts der Omnipräsenz gefärbter Socken und Shirts bereits beobachten. Zum Überleben des Häkelthemas möchte zumindest Eva-Maria Schenzel ihren Teil beitragen. Sie kann sich vorstellen, bei entsprechender Nachfrage zu expandieren. Ideen hat sie genug, sogar schon Werkstätten an der Hand, mit denen sie kooperieren möchte. Eines ist nämlich klar, so die Informatikerin: "Das Häkeln lässt sich nicht automatisieren, wird immer Handarbeit bleiben." (Anne Feldkamp, 8.11.2021)