Derzeit mit Graffiti beschmiert: die Lueger-Statue am Wiener Stubenring.

Foto: APA / ROLAND SCHLAGER

Seit 1926 schaut die Bronzestatue des ehemaligen Wiener Bürgermeisters Karl Lueger von ihrem Podest auf den Dr.-Karl-Lueger-Platz herab, seit mehr als 15 Jahren wird über die Neugestaltung des Denkmals diskutiert. Lueger war berüchtigter Antisemit und ein Idol Adolf Hitlers. Jetzt soll langsam Bewegung in die Sache kommen: Wiens Kulturstadträtin Veronica Kaup-Hasler (SPÖ) kündigte am Sonntag bei einem Symposium im Wiener Mumok eine Ausschreibung für eine "künstlerische Kontextualisierung" des Denkmals am Stubentor an. Die Sieger sollen erst 2023 feststehen, das Projekt dann noch im selben Jahr umgesetzt werden.

Beim Symposium zur Veränderung am Lueger-Platz, das die Liga gegen Rassismus und Antisemitismus organisiert hatte, war auch Kaup-Hasler den ganzen Tag anwesend. Sie ließ sich aber bis zum letzten Panel am Abend Zeit, um ihren Beschluss zu kommunizieren, zeitgleich ging eine Meldung über die Österreichische Presseagentur (APA) online. Der Tenor am Symposium, an dem quasi alle namhaften Lueger-Expertinnen und -Experten des Landes aus verschiedenen Fachrichtungen teilnahmen, war klar: Es müsse etwas mit der Statue passieren. Die Ansicht, Lueger habe Antisemitismus lediglich für seine politischen Zwecke benutzt, ließe sich nicht mehr aufrechterhalten. Die zukünftige Direktorin des jüdischen Museums in Wien, Barbara Staudinger, relativierte die stadtpolitischen Errungenschaften Luegers, die vielerorts zu seiner Verteidigung angeführt werden – wie etwa den Ausbau der Wasserversorgung. In vielen europäischen Städten hätte es derartige Projekte in dieser Zeit gegeben. Lueger habe es nur gut verstanden, diese Projekte populistische für sich zu verkaufen, sagte Staudinger.

Einig war man sich, dass Lueger überzeugter Antisemit war, der keine Ehrung verdiene. Welche Schritte eine Entehrung langfristig garantieren können, darüber wurde teils heftig diskutiert. Für die einen führt kein Weg an der Entfernung der Statue (zumindest von ihrem Sockel) vorbei, die anderen sehen darin einen zu starken Eingriff ins jetzige Stadtbild und plädierten für eine Kontextualisierung, die über die jetzige Gedenktafel hinausgeht.

Was kann Kunst?

"Natürlich will ich Lueger vom Sockel stoßen – aber metaphorisch", sagte Kaup-Hasler am Sonntag, nachdem sie ihre Entscheidung bekanntgegeben hatte. Dabei setze sie auf die Kunst. Ziel sei es, die jetzige Affirmation zu durchbrechen und "temporäre Attacken auf den Ist-Zustand" durch eine Intervention sicherzustellen.

Skeptisch bleibt Sashi Turkof von der Jüdischen HochschülerInnenschaft (Joeh), die sich beim Symposium klar für eine Entfernung des Denkmals ausgesprochen hatte: Dass nach so langer Zeit etwas passiert, sei für alle Jüdinnen und Juden in der Stadt begrüßenswert, aber in der Entscheidung für die Kontextualisierung sieht Turkof eine "absichtliche Enthaltung". Das Nichtentfernen sei auch eine Entscheidung, die die Gefahr birgt, den jetzigen "Bezugspunkt für Rechtsextreme" zu erhalten. "Auch ich bin Künstlerin und vertraue in diesem Punkt nicht alleinig auf die Kraft der Kunst", sagte sie zum STANDARD.

Versuch der Kontextualisierung

Für Kaup-Hasler käme die Entfernung der Statue einer Auslöschung von Geschichte gleich, die die Diskussionen um Antisemitismus ins Museum verlagern und eine "Cancel-Culture" befördern würde. Die Kontextualisierung sei ein Versuch: Dafür sollen von ihr ausgewählte Historiker einen Ausschreibungstext verfassen, auch die technischen Details sollen zuvor klar definiert sein. "Denn sonst würden wir zig Einreichungen bekommen, die technisch gar nicht umsetzbar wären", sagte Kaup-Hasler. Die Ausschreibung soll vom stadteigenen GmbH Kunst im öffentlichen Raum (KÖR) abgewickelt und im Herbst 2022 veröffentlicht werden. Einen Kostenrahmen gibt es noch nicht. Auch ist noch offen, ob ein offener oder geladener Wettbewerb ausgelobt wird.

Bis dahin sollen auch künstlerische Zwischennutzungen möglich sein. Man überlege, über KÖR ein bis zwei temporäre Projekte auszuloben. Fest steht, dass die gesprayten "Schande"-Schriftzüge noch zumindest in diesem Winter bleiben werden. Viele am Symposium – auch Kaup-Hasler – äußerten sich über den jetzigen Zustand des Denkmals positiv. Wenngleich nicht perfekt, würden die Beschmierungen auch die Geschichte des Widerstands gegen das Denkmal miterzählen. Dass die Graffiti vorerst bleiben, hat freilich auch pragmatische Gründe. Eine Entfernung würde viel kosten und die Substanz des Sockels weiter angreifen, hieß es aus dem Stadtratsbüro. Außerdem sei es wahrscheinlich, dass die Statue erneut beschmiert werden würde.

Reaktionen der Parteien

Nach der Kaup-Haslers Ankündigung, meldeten sich am Montag auch andere Parteien zu Wort. Die Grünen forderten die Entfernung der Statue. "Lueger wird an unzähligen Orten der Stadt in Form von Platzbenennungen, Denkmälern, Obelisken und Brückennamen verehrt. Das einzige, was einfach entfernt werden könnte – nämlich die Statue Karl Luegers – bleibt fix bestehen", so Kultursprecherin Ursula Berner.

Zufriedener mit den Plänen Kaup-Haslers zeigte sich die ÖVP. "Dass man im Zusammenhang mit dem Lueger-Denkmal nun den Weg der künstlerischen Kontextualisierung geht, ist durchaus zu begrüßen. Eine Absage an jede Form der 'Cancel Culture' war für uns von enormer Wichtigkeit, um die erforderliche sachliche Betrachtung zu gewährleisten", hielten der Dritte Landtagspräsident Manfred Juraczka und Markus Figl, ÖVP-Bezirksvorsteher der Inneren Stadt, in einer gemeinsamen Aussendung fest.

Die FPÖ wiederum forderte die Einbeziehung der Gemeinderäte in die Debatte. Der blaue Kultursprecher Stefan Berger stieß sich zugleich an der Entscheidung der Stadträtin, den "Schande"-Schriftzug auf dem Denkmal vorerst bestehen zu lassen.

Lueger-Platz bleibt

Unangetastet bleibt wohl der Name des Platzes, auf dem die Statue steht. Auch als möglicher zweiter Schritt sei eine Umbenennung des Dr.-Karl-Lueger-Platzes "schwierig", sagte Kaup-Hasler am Sonntag. So mancher am Symposium sprach von einer "typisch österreichischen Lösung", die allermeisten zeigten sich aber erfreut, dass nach Jahrzehnten Bewegung in die Sache kommt. Kaup-Hasler sprach von einem "unglaublichen Sturm" gegen derartige Schritte und verwies auf einen Gemeinderatsbeschluss, der die Umbenennung von Straßen oder Plätzen nur in Ausnahmefällen vorsehe. (Laurin Lorenz, 8.11.2021)