Auf der Pressekonferenz von links nach rechts: Marcus Bachmann (Ärzte ohne Grenzen), Josef Probst (Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger), Iris Frey (Attac Österreich), Claudia Wild (Austrian Institute for Health Technology Assessment) und Epidemiologe Gerald Gartlehner.

Foto: Georg Hochmuth

Ex-Gesundheitsministerin Maria Rauch-Kallat (ÖVP) und ihre Amtsnachfolger Rudolf Anschober (Grüne) und Alois Stöger (SPÖ) fordern in einem offenen Brief mit weiteren Unterzeichnenden, die globalen Patentregeln für Covid-Impfstoffe, -Arzneimittel und medizinische Ausrüstung für die Dauer der Pandemie auszusetzen. Dieser sogenannte Trips-Waiver solle in der Welthandelsorganisation WTO unterstützt werden. Außerdem müsse die Bundesregierung dazu beitragen, die "Blockadehaltung der EU zu beenden", so das Appell an die Bundesregierung.

Eine Freigabe der Patente von Covid-19-Impfstoffen würde nicht nur direkten Schutz für noch mit Vakzinen unterversorgte ärmere Länder bringen. Europa ist erst geschützt, wenn bevölkerungsreiche Länder des globalen Südens geschützt sind, betonte der Epidemiologe Gerald Gartlehner. Dort bestehe sonst die Gefahr, dass weitere Mutationen entstehen.

Antrag von Indien und Südafrika

In der WTO werde der Antrag Indiens und Südafrikas auf Patentfreigabe mittlerweile von mehr als 105 Ländern inklusive den USA unterstützt, berichtete Iris Frey von Attac Österreich bei der Pressekonferenz in Wien. "Die EU ist der letzte große Blockierer." Mehrere EU-Länder hätten sich positiv zum Trips-Waiver geäußert, Österreich aber nicht. Eine Zustimmung der EU-Staaten würde die nötige Drei-Viertel-Mehrheit ermöglichen. Die Entscheidung darüber soll auf der WTO-Ministerkonferenz von 30. November bis 3. Dezember in Genf fallen.

In Österreich gibt es "keine öffentliche, politische Diskussion zu diesem Thema", kritisierte Josef Probst, langjähriger Generaldirektor des Hauptverbandes der österreichischen Sozialversicherungsträger. Es laufe viel im Hintergrund. Bundeskanzler Alexander Schallenberg (ÖVP), Vizekanzler Werner Kogler und Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein (beide Grüne) müssten sich der öffentlichen Diskussion stellen.

In den USA gebe es eine kritische Gegenöffentlichkeit. Diese sei auch notwendig gewesen, damit sich Präsident Joe Biden für eine Patentfreigabe positioniert habe, erläuterte Claudia Wild, Geschäftsführerin des Austrian Institute for Health Technology Assessment (AIHTA). Es müsse dem "permanenten Mythos, dass die Pharmaindustrie so viel Geld ausgibt", entgegentreten werden. Die Forschung der Pharmaindustrie ist wichtig, aber diese gebe doppelt do viel für PR und Marketing aus wie für Forschung, hielt der Mediziner Gartlehner fest.

Keine "Raketenwissenschaft"

Anders als von der Pharmaindustrie behauptet, sind die Covid-Impfstoffe auch "nicht Raketenwissenschaft", sagte Marcus Bachmann von Ärzte ohne Grenzen. Die mRNA-Technologie sei gut geeignet, "auch in Werken des globalen Südens produziert" zu werden. "Wie würde sich die österreichische Bundesregierung positionieren, wenn eine Handvoll afrikanischer Länder die Impfstoffpatente innehätte und in Österreich Mangel an Impfstoff wäre?", fragte Bachmann. In den rund 50 ärmsten Ländern der Welt liegt die Impfquote erst bei vier Prozent, "das ist ein unhaltbarer Zustand", betonte Probst.

Unterstützung für die Initiative kam am Montag in Aussendungen von der SPÖ, der Gewerkschaft Younion, der Plattform anders handeln und Bischof Werner Freistetter, dem Vorsitzenden der Koordinierungsstelle der Bischofskonferenz für internationale Entwicklung und Mission. "Impfegoismus und kurzsichtige Geschäftsinteressen kosten Menschenleben", kritisierte Petra Bayr, SPÖ-Bereichssprecherin für globale Entwicklung. Die reichen Industrieländer, in denen 16 Prozent der Weltbevölkerung leben, hätten sich 75 Prozent aller 2021 verfügbaren Impfdosen gesichert.

Pharmazeutische Industrie dagegen

Wie bisher ablehnend reagierten der Verband der pharmazeutischen Industrie Österreichs (Pharmig) und der Verband der Impfstoffhersteller (ÖVIH). "Die Produktion von Covid-19-Impfstoffen wird laut Prognosen bis Ende 2021 mindestens elf Milliarden Dosen erreicht haben. Es geht also nicht darum, die Produktion jetzt sofort noch breiter aufzustellen, sondern das, was ohnehin schon produziert wird, gerecht zu verteilen. Dazu brauchen wir nicht die Aufhebung des Patenschutzes, sondern einen umfassenden, politischen Willen", betonte Pharmig-Generalsekretär Alexander Herzog in einer Aussendung. Ähnlich reagierte der Fachverband der Chemischen Industrie Österreichs (FCIO). (APA, red, 8.11.2021)