In den 1960er-Jahren zählt der Wiener Christian Skrein zu den gefragtesten Bildreportern. Er wird zum jüngsten Fotografen der Vogue, er dokumentiert das Leben junger Künstler, die wenig später internationale Bekanntheit erlangen, er ist Chronist des Wiener Aktionismus.

Schon damals als Ikonen geltende Künstler fotografiert Skrein bereits in jungen Jahren: die Beatles, als sie in Hamburg aus dem Flugzeug steigen, die Rolling Stones bei ihrem Auftritt in der Wiener Stadthalle. Sein Polaroid von Joseph Beuys dient Andy Warhol später als Vorlage für die berühmte Serie von Siebdrucken. Mit nicht einmal 20 Jahren hat er Bilder von Brigitte Bardot, Gina Lollobrigida, Sean Connery, Catherine Deneuve, Louis Armstrong, Grace Kelly und Frank Sinatra geschossen. Doch bereits mit 23 Jahren hängt Skrein seine Karriere als Fotograf an den Nagel, geht nach Hollywood und wird dort Werbefilmer.

Harry Weber, lange Zeit Cheffotograf des "Stern"m verewigte Bildreporter Christian Skrein (hinter Sean Connery) 1964 bei der Arbeit.
Foto: Skrein Photo Collection / Harry Weber

1968 fällt Skrein die sehr bewusste Entscheidung, eine Sammlung von ikonischen Fotografien aufbauen zu wollen. Im Laufe der Jahre werden Motive wie Neil Armstrongs erster Fußabdruck auf dem Mond, Alberto Kordas berühmtes Porträt von Che Guevara oder Nick Úts Napalm Girl aus dem Vietnamkrieg dazukommen. Mit einer Vielzahl von berühmten und seltenen Bildern gehört die Skrein Photo Collection zu den größten privaten Fotosammlungen weltweit. Wir haben mit Christian Skrein darüber gesprochen, wie aus Bildern Ikonen werden.

STANDARD: Ein guter Fotograf schieße ikonische Bilder, haben Sie einmal gesagt. Was meinen Sie damit?

Christian Skrein: Alle Fotografien sind Dokumentationen, aber nur manche sprechen einen an. Ist das der Fall, erscheint dieses eine besondere Bild in vielen Zeitungen. Aber es geht darum, dass der erste Journalist, der das Bild bringt, ein besonderes Gespür dafür haben muss, warum es auch alle anderen bringen werden. Irgendwann geht das über Landesgrenzen hinaus, und die Welt hat eine Ikone.

STANDARD: Aber woher kommt bei Fotografen der Blick für das Ikonische?

Skrein: Ich weiß nicht, ob es so einen Blick überhaupt gibt oder ob das nicht zumindest auch mit Glück zu tun hat. Denn ich unterstelle jetzt einfach mal: Es gibt faktisch keinen Fotografen außer Henri Cartier-Bresson, der zwei Ikonen in seinem Leben geschaffen hat. Die meisten ikonischen Fotos sind etwas Singuläres.

STANDARD: Was ist Ihre einzige Ikone?

Christian Skreins angeblich einzige Fotoikone: das Porträt von Joseph Beuys auf der Documenta IV 1968. Andy Warhol machte eine Siebdruckserie daraus.
Foto: Skrein Photo Collection / Christian Skrein

Skrein: Das Foto von Joseph Beuys aus dem Jahr 1968. Er hatte seinen berühmten Hut auf und trug Krawatte. Noch kaum jemand hatte Beuys damals fotografiert. Andy Warhol nahm dieses Motiv später für seine Siebdrucke her. Ich spreche aber nicht gerne über meine Bilder, weil ich mich nicht anbiedern will an die weltbesten Fotos aus meiner Sammlung.

STANDARD: Ihre Aufnahme von den Beatles, die 1965 in Salzburg aus dem Flugzeug steigen, hat nichts Ikonisches?

Skrein: Als ich sie aufnahm, war ich zwei Jahre jünger als der jüngste Beatle. Und ich habe jahrelang nicht gewusst, dass diese Aufnahme international Bekanntheit erlangt hat. Warum? Weil immer andere entscheiden, dass ein Foto außergewöhnlich ist. Ich konnte nur fleißig sein und auf ein gutes Bild hoffen. Man hat schon damals mehrfach ausgelöst, musste aber noch manuell aufziehen. Der Punkt ist: Das Foto ist deshalb besonders, weil mir ein Mann mit Steirerhut ins Bild gelaufen ist. Ich würde dennoch behaupten, das Foto ist nur ein bisserl eine Ikone.

Alfred Eisenstaedt hat bei seinem berühmten "V-J Day Kiss" auf dem Times Square womöglich ein wenig nachgeholfen und die Szene gestellt.
Foto: Skrein Photo Collection / Alfred Eisenstaedt

STANDARD: Was zeichnet eine große fotografische Ikone für Sie aus?

Skrein: Man sieht das gut am Napalm Girl von Nick Út. Dieses Motiv ist deshalb eine Ikone, weil die Fotografie das Leitbild des Vietnamkriegs war – oder es im Laufe der Zeit wurde. Von manchen Ikonen gibt es dennoch auch zweite Versionen oder sogar Vorläufer. Nehmen Sie etwa die Aufnahme von Marylin Monroe auf dem U-Bahn-Gitter, als ihr Rock hochgeweht wird. 20 Jahre vor diesem Bild hat der Kunstfotograf Friedrich Seidenstücker eine unbekannte Dame in fast identischer Pose und in ähnlicher kompositorischer Perfektion aufgenommen. Doch dieses tolle Bild ist bis heute unbeachtet. Warum?

STANDARD: Weil der fotografierte Mensch keine Ikone ist?

Skrein: Genau. Nur wenn ein berühmter Mensch auf einem Bild etwas Komisches oder Einzigartiges macht, besitzt diese Fotografie ein Alleinstellungsmerkmal. Nur dann kann ein Foto zur Ikone werden.

Alberto Kordas berühmtes Porträt von Che Guevara "El Guerrillero Heroico" aus dem Jahr 1960 befindet sich in der Skrein Photo Collection.
Foto: Skrein Photo Collection / Alberto Korda

STANDARD: Wie ist das berühmte Porträt von Che Guevara zur Ikone geworden?

Skrein: Zunächst hat der Verleger Giangiacomo Feltrinelli das Original bei Alberto Korda in Kuba an der Wand hängen sehen und war begeistert. Er fragte, ob er es nach Europa mitnehmen dürfe, wo es dann ab 1968 recht schnell zu jenem Plakat wurde, das in vielen Jugendzimmern hing oder wie eine Ikone auf Demonstrationen herumgetragen wurde.

STANDARD: Was bedeutet in diesem Zusammenhang "Original"? Es sind ja immer Abzüge.

Skrein: Das stimmt. Und ein Sammler muss deshalb das Ziel haben, möglichst den ersten Print zu besitzen. Oder die Abzüge sollten zumindest in zeitlicher Nähe zum Aufnahmedatum gemacht worden sein. Alleine in unserer Sammlung gibt es drei Abzüge von dem Che-Porträt, darunter einen sehr begehrten mit Datum und Widmung. Es ist fast immer dieser eine Abzug, der für internationale Ausstellungen angefragt wird.

STANDARD: Aber wurde Che nicht gerade erst durch die Vervielfältigung, etwa auf T-Shirts, zur Ikone?

Skrein: Absolut. Es existieren Schätzungen, wie oft das Porträt von ihm vervielfältigt wurde: Es gibt angeblich 800 Millionen Plakate davon, ungefähr 500 Millionen T-Shirts und 250.000 Tattoos.

Der Fotograf Friedrich Seidenstücker hielt bereits 1932 in Berlin eine Szene fest, die an das berühmte Bild von Marilyn Monroe erinnert. Seine Aufnahme wurde nie zur Ikone.
Foto: Skrein Photo Collection / Friedrich Seidenstücker

STANDARD: Da ist das Motiv die Ikone. Aber gibt es auch Fotografen, die Sie als Ikonen bezeichnen würden?

Skrein: Neben Cartier-Bresson auf alle Fälle Robert Capa. Sein Bild aus dem Spanischen Bürgerkrieg, der Falling Soldier, gilt nicht nur unter Kunsthistorikern etwas, sondern das Foto ist selbst Geschichte geworden. Diese beiden Fotografen sind Genies.

STANDARD: Und doch spielt gerade bei Capa der Zufall die wichtigste Rolle, weil er den Soldaten exakt im Moment des Todes erwischte. Was ist daran genial?

Skrein: Das ist die vieldiskutierte Frage. Es gibt über 100 Bücher, in denen darüber spekuliert wird, wie ihm das Bild gelang oder ob die Szene gestellt ist. Aber Fotografen wie die beiden sind so oder so basisgenial, denn sie sind klug, schnell und erkennen schon früh Bilder im Kopf. Die schnelle Erfassung der Situation ist wohl das Geniale an ihnen.

STANDARD: Gibt es auch Beispiele von ikonischen Bildern, wo dem Genialen oder dem Zufall etwas unter die Arme gegriffen wurde?

Skrein: Die gibt es. Etwa bei dem Paar, das sich 1945 am Siegestag der Alliierten über Japan im Zweiten Weltkrieg auf dem Times Square küsst. Alfred Eisenstaedt hat diese Situation gesehen und knapp zehn Aufnahmen davon gemacht. Nun handelt es sich bei diesem Bild ganz ohne Zweifel um eine Ikone, obwohl immer unterschiedliche Fotos aus der Serie veröffentlicht werden. Vermutlich hat Eisenstaedt die Szene sogar gestellt. Aber das fällt einem nur auf, wenn man mehrere Bilder aus der Serie besitzt, weil man Sammler ist.

STANDARD: Warum haben Sie so früh aufgehört zu fotografieren?

Skrein: Weil ich der Meinung bin, andere können das besser als ich. Dennoch war ich mit großer Leidenschaft Fotograf. Die habe ich mir als Sammler bewahrt, wie vermutlich noch eine weitere Eigenschaft: Fleiß. Man braucht für das Sammeln viel spielerischen Ehrgeiz und einen langen Atem, um genau jene Bilder zu bekommen, die man gerne hätte.

STANDARD: Sammeln Sie, um von Ikonen umgeben zu sein?

Skrein: Ganz sicher nicht! In meinem Wohnhaus hängt kein einziges Foto. Denn so einer wie ich bewahrt die Fotos seiner Sammlung natürlich in dunklen Kisten auf, damit kein Licht dazukommt. Und ganz ehrlich: Könnten Sie mir sagen, welches der vielen Bilder ich auswählen und bei mir zu Hause aufhängen sollte? Eben. Ich kann es auch nicht. (Sascha Aumüller, RONDO exklusiv, 11.11.2021)