In den Glasfronten der Boutiquen spiegelt sich die Morgensonne, die Düsseldorfer Königsallee liegt noch im Tiefschlaf. Die Geschäfte sind geschlossen, nur vor dem Kaufhof an der Kö werden geschäftig Blumenkisten aufgestellt. Das Rheinland zeigt sich hier von seiner aufgeräumten Seite.

Auf der 87 Meter langen Luxusmeile ist die Stadt eins mit sich. Über den Modegeschäften residieren Schönheitssalons und Rechtsanwaltskanzleien. Stopp beim Kö-Center an der Hausnummer 28–30. Bis vor wenigen Jahren befand sich hier das Checker’s, 2014 machte der Nachtclub dann dicht.

Mit der Kampagne für die Jeansmarke Guess erlebte Claudia Schiffer 1990 ihren Durchbruch als Model. Ellen von Unwerth drückte auf den Auslöser.
Foto: Ellen von Unwerth / Trunk Archive

Vor dem Gebäude treten zwei Geschäftsmänner mit ihren Loafern Zigaretten aus. Dass hier vor über drei Jahrzehnten eine Schülerin des Rheinberger Amplonius-Gymnasiums als Model entdeckt wurde und eine internationale Karriere ihren Anfang nehmen sollte, scheint verdammt weit weg.

Im Herbst 1987 wurde Claudia Schiffer von Michael Levaton, dem Agenten der Pariser Modelagentur Metropolitan, angesprochen. Heute gehört der Name Claudia Schiffer wie der Name Joseph Beuys zur Geschichte der Stadt.

Disco-Bekanntschaft

Levaton hat die Geschichte von ihrem ersten Zusammentreffen unzählige Male erzählt. Die blonde 17-Jährige fiel ihm im Checker’s auf, sie tanzte gerade zu You Spin Me Round der Liverpooler Band Dead or Alive, er sprach sie an. Wenig später stand der Teenager, aufgewachsen in der nordrhein-westfälischen Kleinstadt Rheinberg, mit ihrer Mutter in seinem Büro.

Bruce Weber fotografierte Claudia Schiffer und Cindy Crawford 1992 für Revlon.
Foto: Bruce Weber

Die nächtliche Begegnung auf der Kö sollte das Leben der Anwaltstochter auf den Kopf stellen. Statt Jura zu studieren und Anwältin zu werden, ließ sie sich fotografieren. Eines dieser frühen Bilder hat Ross Feltus, der Vater von Barbara Becker, gemacht. Es zeigt Claudia Schiffer, die sich hinter einer gekreppten Haarsträhne versteckt.

Das Foto, das für ihre Sedcard verwendet wurde, liegt in einer Vitrine des Düsseldorfer Kunstpalasts. Unter dem Titel Captivate! Modefotografie der 90er ist dort am rechtsseitigen Rheinufer jene Ausstellung zu sehen, mit der sich Claudia Schiffer erstmals als Kuratorin hervortut. Museumschef Felix Krämer hatte alles darangesetzt, das Supermodel zu verpflichten.

Kluger Schachzug

Eh klar, ihr Name verspricht Glamour sowie eine Verbundenheit mit dem Rheinland, ihr Adressbuch große Namen und ihre Leidenschaft für zeitgenössische Kunst (das erste, nach einem Ausstellungsbesuch im Centre Pompidou gekaufte Kunstwerk war ein Bild aus der Camouflage-Serie von Andy Warhol) eine gewisse Expertise. Schiffers Zusage war ein kluger Schachzug. Das Image als smarte Geschäftsfrau, ihr Vermögen wird auf rund 200 Millionen Euro geschätzt, erhält so eine arty Note.

Gruppenbild für Versace: Claudia Schiffer (Zweite von rechts) 1994 mit u. a. Nadja Auermann, Naomi Campbell, Linda Evangelista und Helena Christensen.
Foto: Doug Ordway

Für die Ausstellung ist die Rheinbergerin in ihre Heimat zurückgekehrt, ohne nach Deutschland reisen zu müssen. Die Bilderschau hat sie aus der Ferne zusammengestellt, Schiffer lebt mit ihrem Ehemann, dem Regisseur Matthew Vaughn, und den drei Kindern Caspar, Clementine und Cosima in einer anderen Welt.

Sie ist in der Grafschaft Suffolk nordöstlich von London zu Hause. Das Familienleben wird unter Verschluss gehalten. Vorbei die Zeiten, in denen das Model mit dem elf Monate alten Sohn Caspar Anfang der Nullerjahre auf dem Titel des Quelle-Katalogs posierte.

Schatzkammer

Wie es sich in Schiffers denkmalgeschütztem Tudor-Landhaus mit 14 Schlafzimmern wohnt, ist in Hochglanzmagazinen wie Architectural Digest zu bewundern. Man darf sich das Zuhause der Deutschen als gut organisierte Schatzkammer vorstellen. In Schiffers persönlicher Sammlung lagert ein Stück Modegeschichte, von der handbemalten Chanel-Tasche, die ihr Karl Lagerfeld einst schenkte, bis zu jenem schwarzen Spitzenbody, den sie in ihrer ersten Guess-Kampagne (siehe Bild) trug.

Geschäftsfrau Claudia Schiffer ist jetzt auch Kuratorin. So sah die Vorbereitung auf den Katalog aus.
Foto: Lucie McCullin

Ihr textiles Erbe verwaltet Schiffer mit Weitsicht, irgendwann einmal soll die persönliche Kleidersammlung an ihre Töchter weitergegeben werden, erklärt sie. Was die Rheinbergerin an der Heimat vermisst? "Deutsches Essen, Pommes, Currywurst, Schokoladen wie Milka, Hanuta, Duplo", aber auch "St. Martin, Weihnachtsmärkte, Karneval", lässt das Model schriftlich wissen.

Persönliche Interviews mit der 51-Jährigen sind rar. Dafür wickelt ihr Management die schriftlichen Anfragen verlässlich wie ein Schweizer Uhrwerk ab. Die Deutsche ist schließlich lange genug im Geschäft.

Pünktlichkeit und Verlässlichkeit

Mit Ellen von Unwerths Kampagnenbildern für die Jeansmarke Guess erlebte sie 1990 den Durchbruch. Dann ging alles sehr schnell: Mit 18 stand sie bei Chanel zum ersten Mal auf dem Laufsteg, Karl Lagerfeld sei Dank. Oder, um es mit Schiffers Worten zu sagen: "Karl Lagerfeld, Kreativdirektor von Chanel, war der Zauberer, der mich von einem schüchternen deutschen Mädchen in ein Supermodel verwandelte."

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Für Versace betrat Claudia Schiffer neben Carla Bruni, Naomi Campbell, Cindy Crawford und Helena Christensen 2017 noch einmal den Laufsteg.
Foto: Reuters / Stefano Rellandini

Die Deutsche galt bald als das skandalfreie Supermodel, war bekannt für ihre Pünktlichkeit und Verlässlichkeit. Darüber hinaus ist wenig bekannt. Alte Youtube-Videos erinnern daran, dass Claudia Schiffer während ihres "Wetten, dass ...?"-Auftritts 2013 sogar die dummen Herrenwitze eines Thomas Gottschalk und Hape Kerkeling weglächelte.

Als die Pandora Papers enthüllten, dass Schiffer Steuerschlupflöcher genutzt habe, beeilte sie sich festzustellen, sich an sämtliche Gesetze und Vorschriften gehalten zu haben.

Ohne Anfassen

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Öffentliche Auftritte mit Ehemann Matthew Vaughn und den Kindern haben Seltenheitswert: 2007 während einer Filmpremiere in London.
Foto: AP Photo / Lefteris Pitarakis

Bis heute scheint das Geschäftsmodell "diszipliniertes Supermodel" aufzugehen. In Düsseldorf hängen an jeder Ecke Werbebanner und Plakate zur Ausstellung. Beworben wird sie mit einem Bild von Richard Avedon, er hat die Deutsche in den Neunzigern mit den Kolleginnen Nadja Auermann, Christy Turlington, Cindy Crawford und Stephanie Seymour für Versace in schimmernden Miniröcken fotografiert.

Heute mag die 51-Jährige nicht mehr über Laufstege marschieren, Ermüdungserscheinungen lassen sich aber nicht beobachten. Social Media sei eine großartige Möglichkeit, die eigene Selbstdarstellung in den Händen zu halten, erklärt sie. Gleichzeitig habe der Druck, alles mit jedem teilen zu müssen, zugenommen: "In den 1990ern konnte man noch ein Privatleben haben", meint sie. Mehr Raum für Wehmut oder gar Kritik ist nicht.

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2006 mit Thomas Gottschalk in der Sendung "Wetten, dass ..?".
Foto: AP Photo / Ina Fassbender

Die Marke Schiffer jedenfalls wird hochprofessionell weitergeführt, auch digital. Das ist nicht selbstverständlich, nur wenige gleichaltrige Kolleginnen wie Cindy Crawford oder Naomi Campbell wissen den Kanal ähnlich smart für sich zu nutzen. Auf Instagram, wo dem einstigen Supermodel 1,6 Millionen Menschen folgen, ist kein Posting dem Zufall überlassen.

Eine "Claudia Schiffer zum Anfassen", die gibt es auch hier nicht. Statt privater Schnappschüsse zeigt das Model Bilder ihrer im vergangenen Jahr verstorbenen Mutter ("Meine größte Unterstützerin und Beschützerin") oder Modefotos aus den Neunzigern. Das Höchste der Gefühle: Bilder der Haustiere Rollo, Flash und Smartie. (Anne Feldkamp, RONDO exklusiv, 15.11.2021)