Sebastian Hackenschmidt ist seit 2005 Kustos für Möbel und Holzarbeiten am Wiener Mak.

Foto: Nathan Murrell

Unter dem Dach des Wiener Museums für angewandte Kunst gibt es verwinkelte Gänge und spannende Einblicke in die Eingeweide des altehrwürdigen Hauses. In einem Flur steht ein großer Holztisch, an dem wir Sebastian Hackenschmidt, den Kustos für Möbel und Holz, zum Gespräch über Ikonen der Möbelwelt treffen.

Bevor es losgeht, macht sich der Kunsthistoriker an einer ganz besonderen Ikone zu schaffen. Er kocht Kaffee mit einer kleinen Bialetti-Maschine, die hier im Haus ihren angewandten Dienst tut und munter vor sich hin gurgelt. Tag für Tag.

STANDARD: Unter welchen Umständen wird ein Möbelstück eine Ikone?

"Ant Chair" von Arne Jacobsen (Fritz Hansen)
Foto: Hersteller

Sebastian Hackenschmidt: Bei diesem Thema kommen mehrere Faktoren zusammen. Das Ganze hat viel mit Vermarktung zu tun, denn Ikonen müssen gemacht werden. Die passieren nicht von selbst.

STANDARD: Und wer macht sie?

Hackenschmidt: Jene, die sie brauchen. Ich denk an Institutionen, also Unternehmen, die Ikonen vermarkten können. Aber auch an den Kulturbetrieb, der sich ebenso positionieren muss.

STANDARD: Sind Ikonen planbar?

Hackenschmidt: Ja, ich denke schon. Ich erlebe immer wieder, dass Unternehmen versuchen, mit Werbestrategien Klassiker herzustellen. Sie ziehen Entwürfe aus der Schublade und fragen sich: "Was legen wir nun neu auf?"

STANDARD: Können Sie ein konkretes Beispiel nennen?

Hackenschmidt: Wittmann zum Beispiel hat sich jahrelang gefragt, was sie neben Josef Hoffmann und Friedrich Kiesler noch produzieren können, aus welchen Entwürfen sie ad hoc einen Klassiker machen könnten. Das tun auch viele andere Unternehmen.

"Lounge Chair" von Charles Eames (Vitra)
Foto: Hersteller

STANDARD: Das heißt, man sucht Klassiker in der Schublade? Entwürfe, die aus irgendwelchen Gründen nicht realisiert wurden?

Hackenschmidt: Das muss nicht sein. Vitra arbeitet zum Beispiel immer wieder mit einer breiten Palette an zeitgenössischen Designern, und die Medien fragen dann Leute wie mich, welcher von diesen Hausnummer-zehn-Entwürfen der Klassiker von morgen sein wird.

STANDARD: Und wie entscheiden Sie?

Hackenschmidt: Gar nicht, ich sage Ihnen, ich bin Historiker, kein Astrologe, der in die Zukunft blicken kann.

STANDARD: Das heißt, ein Klassiker bedeutet für ein Unternehmen Umsatz, weil ihn alle haben wollen?

Hackenschmidt: Ja, und alle wollen diese gewisse Zeitlosigkeit. Und darin liegt ein Paradoxon, denn ein Designobjekt ist ja immer mit einer gewissen Epoche verbunden. Der "Panton Chair" aus Kunststoff, fraglos eine weitverbreitete Ikone aus den 60er-Jahren, steht doch für etwas ganz anderes als ein Stahlrohrfreischwinger von Marcel Breuer aus den 30ern.

STANDARD: Wer bestimmt also, wann ein Entwurf als Klassiker gilt?

"Thonet 218" von Michael Thonet (Thonet, Germany)
Foto: Hersteller

Hackenschmidt: Genau das ist der Punkt. Wie eingangs erwähnt, einerseits die Unternehmen, die durch Werbung und andere Maßnahmen diese Suppe am Köcheln halten. Das funktioniert sogar mit Kopien. Stühle von Arne Jacobsen zum Beispiel sind unzählige Male kopiert worden. Auf dem berühmten Nacktfoto von Christine Keeler sitzt sie auf einer Kopie eines Jacobsen-Stuhls, die dem Original zu unglaublichem Erfolg verhalf. Also kann auch eine Kopie als Multiplikator dienen. Es gibt da diesen Spruch: "Gutes Design setzt sich durch, wenn man gut nennt, was sich durchsetzt."

STANDARD: Und es setzt sich durch, wenn es sich gut verkauft …

Hackenschmidt: ... und Präsenz zeigt. Und da kommen auch die Museen wieder ins Spiel. Museen zeigen auch lieber ikonisches Design, das die Menschen sehen wollen und kennen. Wenn ich erkenne, dass ein Sessel von Verner Panton ist, hab ich es verstanden. So funktioniert die normale bürgerliche Auffassung von Kunst und Design.

STANDARD: Das heißt, der Name hinter einem Entwurf spielt eine große Rolle.

Hackenschmidt: Ja. Egal, ob es sich um die Zitronenpresse von Philippe Starck handelt oder den "Panton Chair", der sogar nach seinem Entwerfer benannt ist, bilden Entwurf und Entwerfer eine Art von Marke. Man sieht, Klassiker werden definitiv gemacht, auch wenn ein Design natürlich schon auch in seinem historischen Ablauf eine Rolle spielen muss. Nehmen wir die 20er-Jahre her, die klassische Moderne, die Avantgarde. Die Entwürfe aus dieser Zeit haben unsere Lebenswelten revolutioniert, rückblickend sind sie klassisches Design. Das ist die heroischste Zeit der Klassiker.

"CH_24" von Hans J. Wegner (Carl Hansen & Son),
Foto: Hersteller

STANDARD: Charles Eames sagte allerdings, Design dürfe nicht zu persönlich sein, weil sich im allzu Persönlichen die Eitelkeit des Gestalters manifestiert. Dabei gilt gerade sein Lounge-Chair als einer der opulentesten, bekanntesten und prestigeträchtigsten Klassiker.

Hackenschmidt: Ich finde es interessanter, sich zu fragen, welche Designer es wirklich vermieden haben, Handschrift zu zeigen, selbst wenn man bestimmte Produkte mit ihnen verbindet.

STANDARD: Zum Beispiel?

Hackenschmidt: Vielleicht Michele De Lucchi. Mit dem werden zwar viele Ikonen verbunden, aber sieht man ihnen an, dass sie von ihm stammen? Oder Philippe Starck? Jeder kennt seine Zitronenpresse. Aber wo werden die Zusammenhänge zwischen seinem transparenten Ghost-Chair und seinem bunten Hocker, der aussieht wie ein Gartenzwerg, sichtbar? Bei Eames ist das anders.

STANDARD: Sie erwähnten die Klassiker der 1920er-Jahre. Welche Halbwertszeit hat eine Möbelikone?

"Panton Chair" von Verner Panton (Vitra)
Foto: Hersteller

Hackenschmidt: Das ist das wahrlich Spannende und gleichzeitig Absurde. Noch einmal: Ein Klassiker steht für das Konzept der Zeitlosigkeit, und doch steht er für die Zeit, in der er revolutionär war. Diese "Zeitlosigkeit" ist letztendlich eine Erfindung der Werbung und Unternehmen. Und so mancher Museen. Denn heute, in unserer postmodernen Zeit, geht ja eh alles. An einen Biedermeiertisch kann ich einen Kunststoffstuhl genauso stellen wie ein Stahlrohrmöbel.

STANDARD: Also ein großer Hokuspokus.

Hackenschmidt: In gewisser Weise ja. Wobei diese Formulierung etwas böse klingt. Man muss auch sagen, dass viele Objekte schon bestimmte ästhetische Qualitäten vorweisen.

STANDARD: Okay, Sie sagten, Sie seien Historiker und hätten keine Kristallkugel. Lassen Sie es uns dennoch versuchen. Wird also zum Beispiel der Freischwinger von Marcel Breuer auch in 30, 40 Jahren noch als Klassiker gelten?

Hackenschmidt: Ja. Wobei ich das nur zynisch gemeint behaupten kann. Da steckt so viel kommerzielles Interesse dahinter, dass die Unternehmen und Museen diese Entwürfe weiter vermarkten werden. Wir überlegen uns als Museum ja auch, welches Möbel wir auf einem Plakat abbilden.

"Wassily Lounge Chair" von Marcel Breuer (Knoll, Italy)
Foto: Hersteller

STANDARD: Welches ist das berühmteste Möbel der Welt?

Hackenschmidt: Ich würde sagen der Thonet Nr. 14.

STANDARD: Wenn Sie Ihr Leben lang nur mehr auf einem Sessel sitzen dürften. Welcher wäre dies?

Hackenschmidt: Da halte ich es mit Adolf Loos. Es gibt zu viele Funktionen des Sitzens zwischen Arbeit und Entspannung. Wir, in unserer verwöhnten, westlichen Warenwelt können nicht unser ganzes Leben auf nur einem Sitzmöbel verbringen. (Michael Hausenblas, RONDO exklusiv, 25.11.2021)