Der nicaraguanische Präsident Daniel Ortega sicherte sich eine vierte Amtszeit.

Foto: AFP / Cesar Perez

Daniel Ortega hat erreicht, was er wollte: eine vierte Amtszeit, die ihm und seinem Clan die Herrschaft über Nicaragua sichert. Dafür scheute er am Tag der Präsidentenwahl keine propagandistischen Mühen. Staatliche und von seinem Sohn Laureano kontrollierte Medien und Botfabriken waren unterwegs, um Kritiker wüst zu diskreditieren und die Illusion zu erwecken, es habe sich bei der Abstimmung um ein riesiges Volksfest und Plebiszit gehandelt – während Bürgerjournalisten Fotos von schlafenden Wahlhelfern und leeren Wahllokalen zeigten.

Die versuchte Legitimierung war ein ziemlich absurd anmutendes Unterfangen, nachdem Ortega sämtliche wirklich oppositionellen Parteien verboten und deren Kandidaten ins Gefängnis gesteckt oder ins Exil getrieben hatte. An den Tagen vor der Wahl schickte er dann noch Polizei und Parteibrigaden los, um Kritiker festzunehmen und Staatsangestellten mit Entlassung zu drohen, wenn sie nicht wählen gingen und das mit einem geschwärzten Daumen und einem Handyfoto von ihrem Stimmzettel auch nachwiesen. Und am Sonntag hielt er – entgegen seiner selbst aufgestellten Regel von politischer Enthaltsamkeit und Neutralität am Wahltag – eine Brandrede, in der er vom Krieg gegen Terroristen sprach.

Scharfe Kritik aus dem Ausland

Eine "Farce" haben Menschenrechtsorganisationen, die EU und die USA dies genannt – mit endlich klaren Worten. Mittlerweile schließen sich der Kritik auch linke Politiker und Parteien in Lateinamerika an, die aus Nostalgie und Solidarität mit der sandinistischen Revolution Ortega noch lange die Stange hielten, als dessen autokratische Züge schon klar sichtbar waren. Doch Politiker wie Luiz Inácio "Lula" da Silva aus Brasilien, Gabriel Boric aus Chile oder Gustavo Petro aus Kolumbien haben inzwischen kapiert, dass diese blinde linke Solidarität toxisch ist, und dass das Kokettieren mit Autokraten ihre eigenen politischen Chancen drastisch mindert.

Wie geht es nun weiter mit dem kleinen, armen Land in Mittelamerika? Ortegas Sieg ist ein Pyrrhussieg. Was bedeuten schon 75 Prozent der Stimmen, wenn 80 Prozent der Nicaraguaner dem Boykottaufruf der Opposition folgten, wie eine Schätzung der Organisation Urnas Abiertas nahelegt? Moralisch hat die Opposition Ortega am Sonntag vorgeführt; die Nicaraguaner haben durch ihr Zuhausebleiben und Nichtstun dem Machthaber eine Ohrfeige erteilt.

Sanktionen und ihre Schattenseiten

Dennoch ändert das nichts an den Machtverhältnissen. Die Opposition stellt derzeit keine reale Gefahr für den Ortega-Clan dar: Sie ist zersplittert, ihre Köpfe sitzen im Gefängnis oder im Ausland, verteilt über mehrere Länder. Die Artikulation einer schlagkräftigen, kohärenten Plattform ist so sehr schwierig; ihre Netzwerke innerhalb Nicaraguas kann Ortega durch seinen Polizei- und Spitzelstaat und durch Repression kontrollieren.

International drohen Ortega nun eine noch größere Isolation und noch schärfere Sanktionen. US-Präsident Joe Biden hat bereits einen Gesetzesentwurf auf dem Tisch, der es ihm ermöglicht, Nicaragua vom mittelamerikanischen Freihandelsabkommen zu suspendieren oder in der Weltbank und dem Weltwährungsfonds Kredite an Nicaragua zu blockieren. Die USA sind nicht alleine, auch von der EU und der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) ist eine schärfere Gangart zu erwarten.

Ortega weiß das. Er glaubt jedoch, dass er die Sanktionen umschiffen kann dank der Hilfe von Russland, China, Iran, Venezuela und den von diesen Staaten etablierten kriminellen Netzwerken. Das ist eine reale Gefahr und die Schattenseite der Sanktionsstrategie, die in der Regel Diktatoren stärkt und die Bevölkerung verarmt oder ins Exil treibt.

Kuhhandel mit Migration

Ortega teilt die strategische Analyse, die in der lateinamerikanischen Linken derzeit en vogue ist: dass die USA eine angeschlagene Weltmacht sind und ihren Führungsanspruch nicht mehr so durchsetzen können oder wollen wie früher. So hofft er darauf, Biden ähnlich wie dessen Vorgänger Trump mit einem erpresserischen Kuhhandel auszuspielen: Kollaboration beim Stopp von Migrantenkarawanen gegen Nichteinmischung in seine autoritäre Innenpolitik.

Das ist nichts Neues, Europa kennt ähnliches ja von der Türkei oder von Belarus. Einfache Lösungen gibt es für dieses Dilemma nicht. Aber eine Lektion: Wer zu lange tatenlos zuschaut, wie Autokraten in der Nachbarschaft die Demokratie demontieren, der zahlt letztlich auch selbst dafür einen hohen Preis. (Sandra Weiss, 8.11.2021)