Das Haus der Geschichte Österreich, untergebracht in der Neuen Burg am Heldenplatz, leidet unter dem Unwillen der Politik, es sinnvoll weiterzuentwickeln.

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Das Haus der Geschichte Niederösterreich in St. Pölten, zeitgleich mit dem Wiener Haus eröffnet, hat nun erstmals seine Dauerausstellung adaptiert.

Franz Gleiß

Am 9. November 1938 kam es im ganzen NS-Staat und damit auch im frisch "angeschlossenen" Österreich zu Pogromen an der jüdischen Bevölkerung. Hunderte kamen ums Leben, tausende jüdische Geschäfte, Synagogen und Friedhöfe wurden zerstört, abgebrannt und geplündert.

Die vom NS-Regime initiierten Novemberpogrome hatten ihren "Testlauf" bereits vorher im antisemitisch tief durchwirkten Wien der Anschlusszeit erfahren. Diese besondere Rolle des "Wiener Modells" der Judenverfolgung zeigt derzeit eine Freiluftausstellung der Akademie der Wissenschaften und des Hauses der Geschichte Österreich (HdGÖ) am Heldenplatz.

So sinnvoll es in diesem Fall auch sein mag, diese Sonderausstellung frei zugänglich im Freien abzuhalten, die Tatsache ruft auch in Erinnerung, was kulturpolitisch im Argen liegt: Drei Jahre nach seiner Eröffnung fällt der Politik zur notwendigen Weiterentwicklung des HdGÖ nicht viel ein. Vom damaligen Kulturminister Josef Ostermayer 2015 zur Errichtung in der Neuen Burg veranlasst und unter seinem Nachfolger Thomas Drozda (SPÖ) viel kleiner als ursprünglich geplant als – Zitat – "Provisorium" eröffnet, ist es seither in Wartestellung.

Das kleine, engagierte Team um Direktorin Monika Sommer, die sich gerade um eine Vertragsverlängerung bewirbt, leistet gute Arbeit unter budgetär klammen Bedingungen. Man hat, um Vorbehalte vonseiten der ÖVP zu zerstreuen, auch bewiesen, dass man überparteilich agiert. Aufgrund der beengten Verhältnisse von gerade einmal einem Raum von 60 Laufmetern ist aber an einen adäquaten Vollbetrieb mit Sonderausstellungen, die ihren Namen verdienen, nicht zu denken.

Neubau vom Tisch

2019 kam eine Expertenkommission zu dem Schluss, dass entweder ein Neubau im Bereich des Heldenplatzes oder eine räumliche Ausweitung des HdGÖ in der Neuen Burg – wie ursprünglich geplant – infrage kämen. Die türkis-grüne Bundesregierung hat dieses Papier allerdings sang- und klanglos verschwinden lassen. Auf STANDARD-Nachfrage im grün geführten Kulturstaatssekretariat heißt es lapidar, man strebe eine "dauerhafte Lösung noch in dieser Legislaturperiode an", die grüne Kultursprecherin Eva Blimlinger hält jedenfalls an ihrer Meinung fest, wonach das HdGÖ in der neuen Burg ein "Fremdkörper" sei.

Auch für einen Neubau kann sie sich nicht erwärmen, "schon gar nicht auf dem Heldenplatz". Wenn es überhaupt ein HdGÖ brauche, "dann nur als eigenes (neues) Haus der Geschichte, Gegenwart und Zukunft, weniger als musealer, mehr als diskursiver Ort", sagt Blimlinger. Wobei man anfügen muss, dass das HdGÖ genau das (auch) sein will. Einig sind sich Grüne und ÖVP aber offenbar zudem darin, dass man ohnehin kein Geld in die Hand nehmen will. Heißt: Ein Neubau ist mit dieser Regierung ziemlich sicher vom Tisch.

Leichter umzusetzen wäre wohl eine Ausweitung in der Neuen Burg. Dazu müssten die in die Jahre gekommenen KHM-Ausstellungen Hofjagd- und Rüstkammer und die Sammlung Alter Musikinstrumente eine würdige Neuaufstellung an einem anderen Ort bekommen. Inhaltlich wäre es sinnig: Denn zwischen den benachbarten Einrichtungen Weltmuseum, Nationalbibliothek und dem Haus der Geschichte gäbe es zeithistorische Synergiemöglichkeiten, während Rüstkammer und Musikinstrumente im Habsburger-Repräsentativbau, der nach kritischer Intervention schreit, eher anachronistisch wirken.

St. Pölten mit Neuaufstellung

Während also die Bundesregierung in Wien fantasielos dahinwurstelt, schafft es das zeitweilige Konkurrenzprojekt in Niederösterreich immer mehr, sich von den politischen Initiatoren zu emanzipieren und seine Ausstellungen konsequent weiterzuentwickeln.

Das Haus der Geschichte in St. Pölten blickt zwar neidisch auf den Wiener Standortvorteil. Es hat aber 3000 Quadratmeter Fläche zur Verfügung, bereits einige tolle Sonderausstellungen umgesetzt und konnte es sich nun leisten, den gesamten Ausstellungsbereich von 1918 bis 1945 neu zu gestalten: Gestärkt wurden die Opferperspektiven, die neben der jüdischen Bevölkerung auch Homosexuelle, sogenannte "Asoziale" oder Euthanasie in den Blick nehmen – nicht anonym, sondern erzählt anhand konkreter Biografien, ein Trend in der jüngeren Geschichtswissenschaft.

Es wird Zeit, dass sich der Bund durchringt, auch dem Wiener Haus jene Rahmenbedingungen zu verschaffen, die für die St. Pöltner selbstverständlich sind. (Stefan Weiss, 9.11.2021)