Die Frage kam nicht unerwartet: Ob es denn wirklich notwendig sei, im Wald Musik zu hören, fragte vergangenen Sonntag eine Läuferin. Sie habe, meinte sie, sich das schon bei den Bildern zur "Wienrundumadum"-Geschichte (WRU) gefragt, aber nun, wo ich ihr auf dem Leopoldsberg im Wortsinn über den Weg laufe, wolle sie das wissen.

Die Frau hat mit der in der Frage implizierten Kritik natürlich grundsätzlich recht: Notwendig ist Musik beim Laufen wahrlich nicht. Auch wenn ich etliche Menschen kenne, die behaupten, ohne keinen Schritt mehr laufen zu können. Oder zu wollen.

Zu dieser Spezies gehöre ich zwar nicht – aber bei Asphaltläufen ohne besondere Reize von außen ist Musik dann doch fein.

Bei dieser Sonntagsrunde, einem 30er auf der klassischen U4U4-Strecke, sagte ich ihr, sei ich aber ohne Musik unterwegs: "Natur und Wald klingen nämlich super."

Foto: Tom Rottenberg

Wieso ich dann aber Kopfhörer aufhatte?

Das bringt mich zurück zu einem der roten Fäden der letzten beiden Kolumnen: der Navigation.

Denn da habe ich einen Aspekt unterschlagen: die akustische "Begleitmusik" der Turn-by-turn-Navigation mancher High-End-Laufuhren.

Die braucht man zwar nicht wirklich – aber einmal an die Warnpiepserei bei Abzweigungen gewohnt, will man das nimmer missen: Solange der Wecker schweigt, sind die Augen auf dem Trail – fiept er, schaut man, wie es weitergeht.

Doch während die Uhr meines WRU-Zufallsbegleiters Robert (eine Garmin Fenix F6) laut und gut hörbar piepste, sprach meine (die Garmin Forerunner 945) über meine Kopfhörer mit mir.

Foto: Tom Rottenberg

Das kann nicht jede – aber für mich gehört das mit zu den Entscheidungskriterien, mit welcher Uhr ich laufe: Bei Wienrundumadum hatte ich zeitweise auch die gerade super angesagte Coros Vertix 2 am Handgelenk. Die Uhr kann alles und noch ein bisserl mehr (etwa Seillängenrechnen beim Klettern) – und navigiert auch. Leicht programmierbar – und richtig gut.

Aber es gibt auch ein Aber: Dass die den Routenpfeilen unterlegten Karten nicht beschriftet sind, ist unterwegs selten ein Problem.

Dass es keine Turn-by-turn-Navigation gibt, schon eher – zumindest für Menschen, die sich daran und an begleitendes Warngepiepse gewöhnt haben.

Foto: Tom Rottenberg

Schade. Denn die Coros kann das, was dafür die Grundlage ist: Musik direkt von der Uhr (also ohne mitgeschlepptes Handy) in einen mit ihr verbundenen Bluetooth-Kopfhörer spielen.

Das Aber: Während sich auf Garmins Spitzenmodellen neben MP3-Ordnern auch Listen von Spotify & Co offline aufspielen lassen, nimmt die Coros nur manuell rübergezogene MP3-Files an.

Das ist nicht zeitgemäß: Ich kenne etliche Menschen, die gar keine eigene Musiksammlung mehr besitzen, sondern Musik nur noch per Abo streamen.

Das Problem liegt da aber eher bei den Streamingdiensten: Hersteller wie Coros sind den Riesen die Mühe, eigene Sync- und Offline-Tools zu entwickeln oder zu zertifizieren, nicht wert. Aus der Sicht der Großen nachvollziehbar: Die marktrelevante Anzahl der Kunden verwendet zum Musikhören ausschließlich Smartphone-Apps oder Tools wie die Apple Watch (die aber keine Sportuhr ist) – und streamt online.

Foto: Tom Rottenberg

Hersteller wie Suunto (aber auch Polar, zumindest bei der heute veralteten M600) setzen für handlose Musik-Offline-Hörer und -Hörerinnen deshalb auf Androids WearOS-Betriebssystem.

Das funktioniert, hat aber zwei Nachteile. Der vernachlässigbare erste: Man muss zwischen zwei unterschiedlichen Systemebenen hin und her hüpfen. Aber da die Knopferlnavigation der meisten Uhren ab einem gewissen "Tiefgang" ohnehin eine Life-Long-Learning-Sache ist, spielt das keine große Rolle.

Wichtiger ist, dass WearOS ein Stromfresser ist.

Als ich noch mit der M600 "spielte", war der Akku oft schlagartig leer: Polar verzichtet bei seinen aktuellen Spitzenuhren – etwa der Grit X Pro – deshalb darauf und bleibt bei der bei fast allen Laufuhren gängigen Methode, über die Uhr die Musik am Handy zu steuern. Das ist schlüssig, nachvollziehbar und vernünftig: Die Grit ist – so wie auch die Vertix 2 – als Akkulaufzeit-Herkules konzipiert.

Wer sich – und das tun viele – auf Long-Distance-Abenteuer wie etwa Burgenland Extrem vorbereitet, wird deshalb zu so einem Wecker greifen. Und Musik, wenn überhaupt, anders konsumieren: Meine Garmin wäre da das falsche Werkzeug.

Foto: Tom Rottenberg

Was uns jetzt aber schon auch wieder zu der mir unbekannten Läuferin letzten Sonntag im Wienerwald bringt: Da sie mich jetzt eh schon wegen der grundsätzlichen Beschallungsfrage aufgehalten habe, wolle sie noch eine Zusatzfrage deponieren. (Sie sagte das wirklich so.) "Welcher Kopfhörer?"

Die Frage ist berechtigt.

Aber falls Sie jetzt erwarten, von mir irgendwas über unterschiedliche Ton- und Soundqualitäten zu hören, muss ich sie enttäuschen. Dafür gibt es weit kompetentere Quellen – und Anwendungsgebiete, bei denen die Authentizität des Klangs relevanter ist als beim Sport. Noch dazu bei Sport im Freien.

Foto: Tom Rottenberg

Was da in meinen Augen nämlich zählt, ist vor allem Sicherheit. Am Rad sowieso. Aber auch beim Laufen: Menschen mit fetten "geschlossenen" Kopfhörern zeigen mir immerhin schon von Weitem, dass sie von ihrer Umgebung nichts mitbekommen. Plötzliche Spur- und Richtungswechsel, aber auch schlagartiges Stehenbleiben mitten in einem dichten Wettkampf-Pulk? Alles schon gesehen, alles schon erlebt. (Nein, nicht mit diesem Herrn hier.)

Aber: Läufer und Läuferinnen mit Ohrstöpseln sind da oft nicht anders. Dass In-Ear-Dinger die Umwelt meist nicht ganz so hermetisch abschließen, stimmt – aber die teureren verfügen fast alle über Noise-Cancelling-Systeme, blenden also Umgebungslärm aus.

Im Zug, im Flieger oder im lauten Office perfekt – aber definitiv nichts für den öffentlichen (Straßen-)Raum.

Foto: Tom Rottenberg

Ich selbst bin jahrelang mit diversen Apple-EarPod-Modellen mehr als nur zufrieden gewesen. Einziges Manko war das ständige Rein- und Rausgeben unterwegs: Auch ausgeschaltet – etwa auf dem Rad, solange ich nicht auf der Insel oder auf dem Donauradweg "safe" war – hatte ich da ja einen Stöpsel im Ohr.

Und der beeinträchtigte, schirmte andere Geräusche ab und irritierte eben doch: Da war ein Fremdkörper. In den (wenigen) Fällen, in denen ich die Uhr als Navi verwendete, hatte ich also höchstens einen "Plug" drin.

Normalerweise aber eben keinen: Ich hörte den Wald, der Wecker fiepte am Handgelenk – und wenn ich auf Asphalt einen Motivationsboost brauchte, fudelte ich die Knopfhörer aus irgendeiner Tasche.

Das funktionierte gut, also dachte ich nie über eine Alternative nach.

Foto: Tom Rottenberg

Aber irgendwann stolperte ich dann über die Kopfhörer von Aftershockz. Gesehen hatte ich die Teile auf diversen Marathonmessen zwar schon öfter, aber so wirklich interessiert hatten sie mich nie: Ich hatte ja eh, was ich brauchte.

Bis mein Vereinskumpel Markus begann, sie beim Online-Stabi-Training zu tragen und dort als Headset zu verwenden: Beim Podersdorfer Triathlon wollte ich Probehören und stolperte vom Aftershockz-Stand in den Begleitvan der PR-Agentur, verließ den aufgemotzten Campingbus mit einem Testkopfhörer – und trage seither beim Training und beim Arbeiten daheim nur noch selten andere Headphones.

Doch um das Aber gleich vorwegzunehmen: Ich bin beim Sport und im Office-Modus kein "audiophiler" Typ. High-End-Sounderlebnisse brauche ich im Alltag nicht.

Foto: Markus Steinacher

Die 26 Gramm leichten Kopfhörer (ich habe den Aeropex) punkten anderswo: Zum einen, weil man sie beim Tragen nicht nur nicht spürt, sondern mitunter sogar vergisst. Auch weil – und das ist das zentrale Feature – man weder im noch über dem Ohr etwas hat. Das Ohr ist frei, Umweltgeräusche kommen also ungefiltert durch.

Und zwar immer. Also auch wenn ich Musik höre oder telefoniere.

Wirklich verkehrssicher wäre das bei voll aufgedrehtem Sound natürlich auch nicht – aber erstens ist es eine Frage des gesunden Menschenverstands, so nicht unterwegs zu sein (aber sagen Sie das mal dem neben Ihnen vor lauter Bass-Boosterei nicht einmal die Sirene der Rettung hörenden Autofahrer). Und zweitens kriege ich die Dinger nicht einmal ansatzweise zum Level "Hörschaden" hoch.

Foto: Tom Rottenberg

Das ist kein Bug, sondern Konzept: Die Teile sind so ausgelegt, dass ich sie sogar unter dem Motorradhelm (Navi!) bequem tragen kann, sie sind wasserdicht (es gäbe auch welche mit eingebautem MP3-Player fürs Schwimmtraining) – und funktionieren sogar unter Wasser.

Nicht zuletzt, weil ihr Schall primär über den Wangenknochen im Ohr landet, das Trommelfell also – vereinfacht gesagt – umgangen wird.

Vergleichbar ist das mit dem Knack-Geräusch beim Keksessen: Das – der Sound ist bei manchen Kekssorten sogar geschützt – hört man nur deshalb so laut, weil die Vibration über den Knochen im Innenohr landet.

Foto: https://aftershokz.com.de

Der Haken an der Sache: Da der Knochen – wieder laienhaft formuliert – manche Frequenzen besser, manche schlechter überträgt, ist die audiophile "Authentizität" des Klangerlebnisses enden wollend.

Manche Geräusche und Telefonate in bestimmten Tonlagen spürt man als physische Vibration. Und wenn ich mich beim Intervalltraining oder beim Zwiften mit Metal-Konzertlautstärken in den Orbit schießen will, wird das nicht funktionieren.

Nur: Wer draußen so unterwegs ist, stellt damit ohnehin eine Gefahr für sich und alle anderen dar. Egal mit welchen Kopfhörern.

Zum Navi-Piepsen-Hören reicht das aber allemal. Auch wenn man es in Wirklichkeit natürlich nicht braucht.

Foto: Tom Rottenberg

Aber ganz unter uns: Ich habe die freundliche und neugierige Wienerwald-Läuferin am Sonntag angelogen.

Denn ich habe unterwegs dann sehr wohl Musik gehört.

Der Mix aus dem Rauschen des Windes in den Baumkronen, dem Rascheln des Laubs und dem Knacken von Ästen unter den Füßen und dem Zwitschern von ein paar Herbstvögeln ist zwar unschlagbar.

Aber in Kombination mit der Sonne und dem Panorama gab das sanfte Blubbern von Georg Friedrich Händels "Wassermusik" dem Laufen über die weiten Wiesen der Sophienalpe dann das finale i-Tüpfelchen.

Machte diesen Herbstlauf noch schöner, als er schon war.

Obwohl so etwas eigentlich unmöglich ist. (Tom Rottenberg, 9.11.2021)


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Foto: Tom Rottenberg