Entscheidungssituationen vorhersehen, sich Klarheit über die eigenen Ziele verschaffen, die bestmögliche Wahl treffen: Was beim Schach zum Erfolg führt (hier in der Serie "Das Damengambit"), gilt auch für den Alltag.
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Selbstbestimmt zu sein heißt, ständig eigene Entscheidungen zu treffen. Bekanntlich sind das aber nicht immer die richtigen. Nachher ist man meistens schlauer, aber dann auch häufig frustrierter, weil nicht das eingetreten ist, was eigentlich geplant war.

Diesen Zusammenhang hat Johannes Siebert vom Management Center Innsbruck (MCI) mit seinem Team in mehreren empirischen Studien belegt: "Wir haben in einem Strukturgleichungsmodell gezeigt, dass, wer höhere proaktive kognitive Fähigkeiten für Entscheidungen hat, in der Folge zufriedener mit seinem Leben ist", berichtet Siebert. Solche für kluge Entscheidungen im Privatleben oder in der Arbeitswelt notwendigen Fähigkeiten lassen sich durch entsprechende Schulungen verbessern.

Bestmögliche Wahl

Dazu zählt vor allem, Entscheidungssituationen vorherzusehen, sich Klarheit über eigene Ziele zu verschaffen, Erfolgspotenziale auszumachen und dann die bestmögliche Wahl zu treffen. Jedoch werden solche Vorgehensweisen laut Siebert immer noch zu wenig vermittelt. Daher treffen die meisten Menschen Entscheidungen eher instinktiv statt systematisch.

Wie man solche Fähigkeiten fördert, hat Siebert deshalb in drei Lehrveranstaltungen in den USA, Deutschland und Österreich untersucht. Insgesamt wurden mehr als 1000 Menschen unterschiedlicher Alters- und Berufsgruppen befragt und geschult: "Alle drei Kurse haben die Fähigkeit der Teilnehmenden, durch proaktives und kluges Überlegen zu richtigen Entscheidungen zu gelangen, nachweislich gestärkt – und zwar unabhängig von ihrer Alters- und Geschlechtszugehörigkeit oder ihrer beruflichen Tätigkeit", freut sich Siebert.

"Das heißt, ich kann zeigen, dass meine Studierenden nicht nur etwas gelernt haben, sondern dass sie aufgrund des Besuchs meiner Lehrveranstaltung statistisch gesehen zufriedener mit ihrem Leben sind."

Mehr Improvisation als Analyse

Zu Beginn des Unterrichts zeige sich häufig das gleiche Muster: Wenn er das Auditorium fragt, wie es gelernt hat zu entscheiden, sagen die meisten, dass sie das Gefühl haben, dass ihnen das gar nicht beigebracht wurde. Somit sind Entscheidungsfindungen von Personen wie auch Organisationen häufig eher mehr Improvisation als Analyse. Es wird abgewogen, welche Möglichkeiten man hat, und wählt die vermeintlich beste – etwa wenn man seine alte Arbeitsstelle mit einer neuen Verdienstmöglichkeit vergleicht.

"Damit ist man aber schon einen Schritt vorausgegangen. Fast alle Menschen entscheiden sich zwischen dem, was vorgesetzt wird. Aber theoretisch fundiert wäre es sinnvoll, sich erst damit auseinanderzusetzen, ob sie überhaupt etwas verändern wollen. Wenn nicht, dann sind sie bereits glücklich. Und wenn ja, sollten sie systematisch vorgehen und bessere Handlungsoptionen identifizieren. Das klingt trivial, aber das machen ganz wenige Leute bewusst."

Handlungsoptionen

So werden oft die nächstliegenden Handlungsoptionen oder die Möglichkeiten, die sich in ähnlichen Situationen als tauglich erwiesen haben, mit relativ wenig Aufwand identifiziert. Der meiste Aufwand werde anschließend für die Bewertung dieser Handlungsoptionen aufgewendet. "Dabei ist jedoch keinesfalls sichergestellt, dass die bestmöglichen Handlungsoptionen tatsächlich zur Wahl stehen", gibt Siebert zu bedenken.

In Teamarbeit mit seinem Kollegen Ralph Keeney von der University of South Carolina hat Siebert empirische Belege dafür gefunden, dass sich Einzelpersonen und Organisationen häufig nicht über ihre Handlungsoptionen bewusst sind: So waren mehr als 50 Prozent der Studienteilnehmenden nicht dazu in der Lage, ihre beste Handlungsoption ohne Unterstützung zu identifizieren.

Siebert fragt sich: "Aber wie können Sie gute Entscheidungen treffen, wenn Sie sich Ihrer potenziell besten Handlungsoptionen nicht bewusst sind?"

Entscheidungsskala

Deshalb hat sich der Wirtschaftswissenschafter der Frage angenommen, wie man das ganze Bild betrachtet, anstatt nur einen kleinen Ausschnitt zur Grundlage seiner Entscheidung zu machen. Zusammen mit Reinhard Kunz von der Universität Köln und Philipp Rolf von der Universität Bayreuth hat er dazu mehrere Studien mit über 7000 Teilnehmenden durchgeführt.

Dabei wurde eine Skala zur proaktiven Entscheidung entwickelt und validiert. Diese Skala macht es möglich, die Produktivität von Personen in Entscheidungssituationen mit insgesamt sechs Dimensionen zu beschreiben. Dabei stellte sich auch die Frage, ob man seine Produktivität in Entscheidungssituationen gezielt erhöhen kann.

Das ist der Fall, sagt Siebert – bloß mangelt es derzeit an den entsprechenden Ausbildungsmöglichkeiten: "Die negativen Folgen geringer Entscheidungskompetenz sind erheblich. Sowohl für Einzelne als auch Organisationen und letztlich für die Gesellschaft. Daher ist es sinnvoll, Entscheidungskompetenzen in Lehrveranstaltungen oder Trainings zu vermitteln."

Schlüssel für die Zukunft

Das Angebot sollte auch außerhalb des Forschungsbetriebs vergrößert werden: "Es gibt zahlreiche Business Schools, die ihren Studierenden keine Kurse zum Thema Entscheidungsfindung anbieten. Aber was ist denn die Kernaufgabe von Managerinnen und Managern? Sie treffen Entscheidungen. Aber tatsächlich ist es so, dass viele Manager nicht in der Lage sind, ihre Ziele klar zu formulieren. Daher habe ich schrittweise solche Kurse in mehreren Studiengängen am MCI erfolgreich eingeführt."

Aber auch in der Schule sieht Siebert Bedarf: "In der Ausbildung der Jugend im Treffen von Entscheidungen liegt einer der Schlüssel für unsere Zukunft. Es gibt wirklich eine Menge zu tun." (Johannes Lau, 10.11.2021)