Karas, der mitunter auch mit Kritik innerhalb der ÖVP aufgefallen ist, will nun EU-Parlamentspräsident werden.

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Othmar Karas will es noch einmal wissen. Der langjährige EU-Abgeordnete der ÖVP, der seit den Europawahlen 1999 ohne Unterbrechung ein Mandat in Straßburg und Brüssel hat, gab am Dienstag bekannt, dass er sich um das Amt des Präsidenten des Europäischen Parlaments bewerben wird.

Das hatte er schon einmal, 2017, in Angriff genommen, als er den SPD-Mann Martin Schulz beerben wollte, der in Deutschland Kanzlerkandidat wurde – aber ohne Erfolg. Es wurde Antonio Tajani aus Italien. Derzeit steht David Sassoli an der Spitze der Volksvertretung.

Der Italiener war gemäß einer Absprache zwischen den größten Parlamentsfraktionen, Christdemokraten (EVP) und Sozialdemokraten (S&D), mit breiter Mehrheit gewählt worden. Die Vereinbarung sieht vor, dass ab der Hälfte der Legislaturperiode, die bis Mai 2024 dauert, ein Christdemokrat den Sozialdemokraten Sassoli ersetzt. Bis zum Sommer galt als sicher, dass EVP-Fraktionschef Manfred Weber "nachrücken" werde. Der Deutsche gab aber vor wenigen Wochen überraschend bekannt, dass er sich nächsten April um den Job des Chefs der Europäischen Volkspartei (EVP), Dachpartei aller christdemokratischen Parteien, bewerben werde. EVP-Chef Donald Tusk tritt ab, weil er sich auf die nächsten Wahlen in Polen konzentrieren möchte.

Schon einmal Kandidat

All das führt nun dazu, dass aus dem Kreis der EVP-Mandatare ein Favorit oder, besser, eine Favoritin für das EU-Parlament gefunden werden muss. Die Wahl findet traditionell in der ersten Plenarsitzung zu Jahresbeginn statt.

Darin sieht der 63-jährige Karas, der eine lange ÖVP-Karriere hinter sich hat, seine Chance. Er begann einst als Chef der Jungen ÖVP, war Nationalratsabgeordneter, ÖVP-Generalsekretär. Sein Herzenswunsch, Minister zu werden, wurde ihm nie erfüllt. Zuletzt hat er sich von seiner Partei innerlich entfernt, pflegte im EU-Parlament seit Sommer 2019 eine Solitärrolle als EP-Vizepräsident (was er zwischen 2012 und 2014 schon einmal gewesen war). Nun also will Karas nach ganz oben. "Ich stehe politisch in der Mitte, bin unabhängig und verstehe mich als zukunftsorientierter Brückenbauer", begründete er seine Absichten. Seine ÖVP-Kollegen in Straßburg hätten ihm bereits Unterstützung zugesagt.

Dennoch wird es für Karas nicht leicht, von seiner eigenen EVP-Fraktion mit insgesamt 179 Mandataren nominiert zu werden, wie er hofft, und dann eine Mehrheit unter allen 705 EU-Abgeordneten zu finden.

In der EVP gibt es mehrere Mitbewerber, und alle sind weiblich: Da ist zunächst Roberta Mestsola (42) aus Malta, die bisher als Vizepräsidentin stark aufgetreten ist, ebenso die aus den Niederlanden stammende Christdemokratin Esther de Lange, 46 Jahre alt. Beide sind in Straßburg gut vernetzt. Mit Ewa Kopac (64), bis 2015 Premierministerin in Polen, gibt es auch noch eine starke vierte EVP-Kandidatin. Wer das Rennen mache, sei offen, heißt es in der Fraktion, eine der Frauen habe wohl die besseren Chancen als Karas, für den 22 Jahre Erfahrung im EU-Parlament sprechen. Die Bewerbungsfrist läuft bis 22. November. (Thomas Mayer aus Brüssel, 9.11.2021)