Dieses Bild des Infektiologen Christoph Wenisch ging – so und aus anderen Winkeln fotografiert – um die Welt.

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Morddrohungen waren für Dorothee von Laer, eine deutsche Virologin, die auch in Österreich seit Beginn der Pandemie stark präsent war, keine Seltenheit. In Innsbruck, so erzählt sie, sei sie eine Zeit lang nur mit Perücke herumgelaufen. "In Tirol generell kam noch dazu, dass man als deutsche Frau nicht gerade Sympathieträgerin ist", sagt sie, da seien auch Sätze gefallen wie "Schnepfe, geh ins deutsche Labor zurück".

Von Laer ist bei weitem nicht die einzige Wissenschafterin, die als eines der Gesichter der Pandemiebekämpfung Anfeindungen ausgesetzt war. Erst kürzlich erzählte Infektiologe Christoph Wenisch – das Bild seiner Impfung ging um die Welt – dem ORF, dass er einen Brief erhalten habe: eine Collage, ums Köpfen sei es gegangen. "Da war klar: Jetzt ist einmal Sendepause."

Rückzug statt Anfeindung

So gingen einige Experten und Expertinnen, mit denen der STANDARD sprach, mit der Situation um: Rückzug. Das ist freilich fatal in einer Situation, die nach über eineinhalb Jahren noch immer unübersichtlich und von Unklarheiten geprägt ist – und in der Halbwissen sich im Internet und im Bekanntenkreis so rasant verbreitet wie noch nie.

"Genau das wollen die Leute ja erreichen", sagt Herwig Kollaritsch, Impfexperte von der Universität Wien und ebenfalls einer der Wissenschafter, den seit Beginn der Pandemie fast das ganze Land kennt. "Sie wollen, dass der die Papp'n hält", glaubt er. Auch Kollaritsch habe sich eine Weile "rausgenommen". Die eine Sache sei das Ehrenamt in Beratungsposten, die Freizeit, die man dafür aufwende. "Das würde ich mir ja noch gefallen lassen, wenn ich nicht gleichzeitig mit der Exponierung meiner Person als Befürworter von Maßnahmen oder der Impfung massive Beschimpfungen aus der Bevölkerung ertragen müsste." Auch er habe Morddrohungen erhalten, sagt Kollaritsch, einmal sogar den Verfassungsschutz einschalten müssen – ein Tipp vom Bundeskanzleramt, nachdem Experten dort um Rat gefragt hätten.

Erst vor wenigen Tagen, so erzählt Verfassungs- und Verwaltungsjurist Peter Bußjäger – der schon sehr früh auch die rechtliche Möglichkeit und Verfassungskonformität einer Impfpflicht hinwies –, habe auch er die Staatsanwaltschaft eingeschalten. An sein Institut für Föderalismus war in der Vorwoche ein E-Mail geschickt worden, "da hieß es: Wenn eine Impfpflicht eingeführt wird, wird es Tote geben, und dann wird es auch diejenigen treffen, die sich dafür eingesetzt haben."

Bedrohung ist dem Verfassungsschutz bekannt

Das Bundesamt für Terrorismusbekämpfung und Verfassungsschutz (BVT) weiß übrigens seit Monaten, wie radikal ein Teil der maßnahmenkritischen und Corona-verharmlosenden Szene ist. Im Jänner dieses Jahres wurde ein Bericht des BVTs publik, darin heißt es: "So wird sogar die Notwendigkeit eines Bürgerkriegs heraufbeschworen, Regierungsmitglieder als Massenmörder verunglimpft und die Protestbewegung als legitime Revolutionsbewegung, die militant gegen ein tyrannisches Regime vorgehen muss, dargestellt. Physische Gewalt bis hin zu Todesdrohungen gegen Politiker, Behörden, Medien und die Polizei wird als notwendig beschrieben."

Im Mai wurden bei einer Razzia unter Corona-Leugnern zahlreiche Waffen sichergestellt, bei einer Hintergrundveranstaltung meinte Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) erst diese Woche im Zusammenhang mit Corona-Demos: "Schon früh haben alte und neue Rechtsextreme versucht, die Gunst der Stunde zu nutzen." Seit Monaten gibt es Berichte über Angriffe auf Journalistinnen und Journalisten am Rande von Corona-Demos.

Parteien gegen die Wissenschaft

In Gesprächen mit Corona-Expertinnen und -Experten landet man mittlerweile häufig früher oder später beim Thema FPÖ. Deren Klubobmann Herbert Kickl wettert aktiv gegen die Wissenschaft, gegen die Impfung und gegen vielerlei Schutzmaßnahmen und schreckt dabei auch nicht vor höchst zweifelhaften medizinischen Ratschlägen – etwa dem Griff zu dem Pferdeentwurmungsmittel Ivermectin – zurück. Befeuert werde damit ein Kern von Leuten, "die nicht nur informationsresistent sind, sondern bereit sind, einer simplen Geschichte zu folgen", sagt Herwig Kollaritsch.

Gleichzeitig stehen manche Expertinnen und Experten in den Augen ihrer Kritikerinnen und Kritiker auf der Seite der Politik – und nicht auf der der unabhängigen Wissenschaft. Um die Akzeptanz von Maßnahmen zu erhöhen, begann die Regierung – damals noch mit Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) –, Infektiologen und Virologen neben sich auf die Podien zu bitten.

"Rückblickend hätte man dies vielleicht anders machen sollen und Politik von Gremien- oder Expertenarbeit klar trennen", meint eine der betroffenen Expertinnen. So sei mit der Zeit der wissenschaftliche Diskurs und die Expertenmeinung "verpolitisiert" worden und "das Thema Impfen nicht mehr als wichtige Gesundheitsmaßnahme, sondern als rein politisches Thema verstanden worden und vor allem zunehmend politisch missbraucht worden".

Zu dieser Problematik, so sagt sie, komme auch die mediale Berichterstattung, in der Wissenschafter und Experten unterschiedlicher Meinung zum selben Thema, womöglich gar in der selben Sendung, befragt worden seien. "Für den Laien wirkt das oftmals so, als ob keiner sich auskennt, und das trägt zu noch mehr Verunsicherung bei. De facto beruht der wissenschaftliche Diskurs aber auf ständig neuen Erkenntnissen und Interpretationen – nur dieser wissenschaftliche Diskurs ist nicht geeignet, vor laufender Kamera ausgetragen zu werden." Er sollte vielmehr hinter den Kulissen stattfinden und "eine konzertierte Meinung möglichst durch einen oder einige wenige Sprecher in einfachen Worten den Bürgern präsentiert werden".

Resultate und Veränderungen

Was also ist geschehen – ist es den Kritikern und Kritikerinnen gelungen, die Expertenschaft einzuschüchtern, mundtot zu machen? Die wären keine Wissenschafter und Wissenschafterinnen, hätten sie nicht über Lösungen nachgedacht. "Seitdem ich mich klar äußere, dass ich die virologische Meinung vertrete und politische Konsequenzen andere ziehen, bin ich weniger angefeindet worden", sagt von Laer. Mails bekomme sie zwar immer noch, die lösche nun aber die Sekretärin.

Auch Kollaritsch meint, er habe nun, nach einem Rückzug, einen "Mittelweg" gefunden. Und: Melde sich jemand bei ihm, der oder die einfach nur unsicher ist, dann beantworte er Mails auch. "Da kann man etwas bewirken. Ich betreue seit 40 Jahren Impfpatienten, ich kann einschätzen, wer mir da gegenüber ist", sagt er. Jurist Bußjäger schreibt nach wie vor über die rechtlichen Aspekte einer Impfpflicht. Wobei er sagt: "Gelegentlich habe ich schon dann und wann eine andere Wortwahl gewählt, um nicht zu sehr zu provozieren."

Jene Expertin, die nicht namentlich genannt wird, vertritt die Ansicht, dass nun, nach der stattgefundenen Polarisierung, die Pandemie nur noch durch strikte Vorgaben in den Griff zu bekommen sei: "Strenge 1G-Regel oder eine Impfpflicht nach dem Modell Italien – dort hat es funktioniert, man muss sich nur trauen". (Gabriele Scherndl, 13.11.2021)