Hurrikan Ida zog Ende August 2021 über den Golf von Mexiko, hier aufgenommen von der Raumstation ISS.
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Welche physikalischen Vorgänge sind für die Bildung von Wolken verantwortlich? Wie reagiert der Wasserkreislauf auf die globale Erwärmung? Das sind zentrale Forschungsfragen von Caroline Muller. Die Mathematikerin und Raumfahrttechnikerin forschte unter anderem in New York, Princeton und Paris, bevor sie kürzlich ans Institute for Science and Technology (IST) Austria in Klosterneuburg wechselte.

STANDARD: Wieso sind manche Phänomene der Klimakrise einfacher vorherzusagen als andere?

Caroline Muller: Phänomene, die eine breitere Region betreffen, sind leichter vorauszusagen. Zum Beispiel wie sich die Temperatur in den Tropen verändert. Bei allem, was sehr spezifisch wird – etwa die Temperatur in Wien für das Jahr 2100 –, ist das schwierig. Auch Extreme sind schwer vorherzusagen. Zum Beispiel wie viele Niederschlagsextreme oder Dürren es in einer wärmeren Welt geben wird.

STANDARD: Was macht es so schwer?

Muller: Extreme Events sind per definitionem selten – zum Glück. Deshalb haben wir auch weniger Daten. Nehmen wir tropische Wirbelstürme: Daten dazu gibt es erst seit den 1980er-Jahren, als globale Satellitendaten verfügbar wurden. Die gute Nachricht ist, dass wir immer mehr Daten zur Verfügung haben.

STANDARD: Sie arbeiten an sogenannten Klimamodellen mit grober Auflösung. Welche Lücken kann man damit füllen?

Muller: Wir nehmen Daten über das aktuelle Klima und versuchen, Aussagen über die Zukunft zu treffen. Dafür verwenden wir mathematische Gleichungen, die die Bewegung von Flüssigkeiten beschreiben. Die Atmosphäre, die Ozeane – sie haben zwar ihre Eigenheiten, aber am Ende des Tages verhalten sie sich nicht anders als Wasser in der Badewanne. Wir verwenden diese Gleichungen in Klimamodellen und berechnen so verschiedene Szenarien. Abhängig davon, wie viel Treibhausgase wir in Zukunft noch emittieren.

"Es ist wichtig, dass wir Unsicherheiten über den Klimawandel, die noch bestehen, klar kommunizieren", sagt die Mathematikerin und Raumfahrttechnikerin Caroline Muller.
Foto: IST Austria

STANDARD: In Ihrer Forschung geht es auch um Wolken. Was verraten sie uns darüber, wie sich unser Klima verändert?

Muller: Wolken sind extrem wichtig, weil sie mit dem Energiebudget der Erde interagieren. Die Erde erhält Energie von der Sonne, manches wird von Eis oder anderen weißen Flächen reflektiert und gelangt so wieder ins All. Liegt eine Wolke dazwischen, hat das zwei Effekte: Sie blockt die Sonne und die einfallende Strahlung, aber auch die thermale Strahlung, die vom Boden rückreflektiert wird. Das ist wichtig, um ein Equilibrium im Energiebudget zu erreichen. Die Frage ist, wie Wolken auf mehr Treibhausgase reagieren. Es gibt noch keinen wissenschaftlichen Konsens, aber im Moment deutet leider alles darauf hin, dass es weniger Wolken geben wird – und somit ein positives Feedback, also mehr Erwärmung. Ich interessiere mich auch dafür, ob und wie Wolken im Raum verteilt sind. Sehr oft ist das nicht beliebig, sie reihen sich in Linien oder Kreisen aneinander.

STANDARD: So wie tropische Wirbelstürme. Wie werden sie geformt?

Muller: Dafür braucht es drei Zutaten: warme Ozeane, denn sie ziehen ihre Energie aus Verdunstung; schwachen Wind in einer gewissen Höhe, weil sie eine robuste, vertikale Struktur brauchen; und genug Corioliskraft (ausgelöst durch die Drehung der Erde um die eigene Achse, Anm.). Sprich: Man muss mindestens 500 Kilometer vom Äquator entfernt sein. Manchmal trifft das alles zu, und es kommt trotzdem zu keinem Wirbelsturm. Es gibt also noch viele unbekannte Faktoren.

STANDARD: In Sizilien sorgte vor kurzem der Sturm Apollo für heftige Unwetter – ein Medicane, also ein Sturmtief im Mittelmeerraum. Sind sie verwandt?

Muller: Zu tropischen Wirbelstürmen gehört alles von Hurrikans zu Taifunen. Das gibt es auch außerhalb der Tropen, aber mit etwas anderen Eigenschaften: Die Temperaturen sind niedriger, die Corioliskraft stärker. Medicanes sind meist kleiner, können aber trotzdem großen Schaden anrichten. Und sie sind recht selten.

STANDARD: Wenn wir von solchen extremen Ereignissen reden, wird schnell die Klimakrise als Ursache genannt. Wieso ist es schwierig, einen direkten Zusammenhang zu begründen?

Muller: Das ist eine Frage, die wir als Wissenschafter sehr oft hören. Medicanes zum Beispiel entstehen nicht aufgrund des Klimawandels. Aber ihre Eigenschaften und ihre Häufigkeit können sich aufgrund des Klimawandels verändern. Gleich wie bei tropischen Wirbelstürmen. Eigentlich sind sie ein wichtiger Bestandteil unseres Klimas, weil sie Energie von den Tropen in die mittleren Breiten bringen können. Aber wenn man zum Beispiel Stürme wie den Hurrikan Harvey nimmt (August 2017 in den USA und Karibikstaaten, Anm.), können diese aufgrund des Klimawandels schwere Folgen haben: Harvey hatte viel Wasser gesammelt und sich dann nach Texas bewegt. Dort ist er stehengeblieben – mit den bekannten dramatischen Folgen. Wir haben berechnet, wie das mit und ohne Treibhausgase ausgesehen hätte. Hier können wir sagen: Die Niederschlagsmengen wurden durch menschlichen Einfluss verstärkt.

STANDARD: Werden wir diese Zusammenhänge in Zukunft mit mehr Sicherheit herstellen können?

Muller: Ein positiver Effekt des Klimawandels ist, dass wir unseren Planeten seit einiger Zeit sehr intensiv untersuchen. Wir haben im letzten Jahrzehnt sehr viele neue Dinge gelernt, und die Erkenntnisse werden sicherer und sicherer. Und indem wir solche Aussagen treffen, können wir auch die Politik beraten – wie es soeben auf der Klimakonferenz in Glasgow geschieht. Wir identifizieren aber auch die großen Herausforderungen, bei denen wir noch Unsicherheit abbauen müssen: Die Wolkenzirkulation gehört zum Beispiel auch dazu.

STANDARD: Glauben Sie, dass Wissenschafter hinsichtlich der Klimakrise klarer Stellung beziehen und Empfehlungen geben sollten?

Muller: Wissenschafter sollten immer objektiv über ihre Forschung berichten. Aber eine Schwierigkeit liegt darin, klarzumachen, wann ich als Forscherin und wann ich als Bürgerin spreche. Wenn ich zu einer Klimademo gehe, dann als Bürgerin. Zudem ist wichtig, dass wir die Unsicherheiten, die noch bestehen, klar kommunizieren. Es ist wie in einem Gerichtsprozess: Man weiß davor nicht, ob eine Person schuldig ist. Wir sammeln Monat für Monat mehr Beweise dafür, wie sich die Erde immer schneller erwärmt. (Katharina Kropshofer, 14.11.2021)