Stefan Jochum hat als Bürgermeister "alles gegeben", doch er scheiterte an den verhärteten Fronten in der Lecher Gemeindevertretung.

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Lech am Arlberg – Der Rücktritt von Bürgermeister Stefan Jochum kam am Montagabend überraschend. Nach gut einem Jahr im Amt erklärte der Ortschef, die permanenten Angriffe gegen seine Mitarbeiter und sich selbst nicht mehr zu ertragen. "Ich habe alles gegeben. Aber es war zu wenig", erklärte ein sichtlich enttäuschter Jochum am Dienstag im Gespräch mit dem STANDARD. Die endgültige Entscheidung, das Amt niederzulegen, habe er selbst erst kurz vor der abendlichen Gemeindevertretungssitzung gefasst. Ab Freitag wird er auch dieser nicht mehr angehören. Lech muss nun einen Nachfolger oder eine Nachfolgerin an seiner Spitze wählen, jede Fraktion in der Gemeindevertretung darf einen Wahlvorschlag einbringen.

Jochum hatte im September 2020 in einer Stichwahl überraschend deutlich (53,56 Prozent) gegen den 27 Jahre lang amtierenden Langzeitbürgermeister Ludwig Muxel (ÖVP) gewonnen. Für den mondänen Skiort bedeutete dieser Wahlsieg Jochums, der mit der Liste Unser Dorf angetreten war, eine Zäsur. Die bis dahin zementierten politischen Verhältnisse brachen nach Jahrzehnten auf. Traten bei den Wahlen 2010 und 2015 gar keine Listen an, so zogen 2020 plötzlich vier bürgerliche Namenslisten in die Gemeindevertretung ein.

Ungewohnte politische Vielfalt

Diese "besondere politische Konstellation" habe die Arbeit verkompliziert, sagt Jochum rückblickend: "In Lech ist man es nicht gewohnt, mit mehreren Fraktionen zu arbeiten." Das Miteinander sei schwergefallen, persönliche An- und Untergriffe hätten ihn zermürbt. Eine von Jochums Kontrahentinnen in der Gemeindevertretung ist Vizebürgermeisterin Cornelia Rieser (Zusammen uf Weg). Sie übernimmt nun interimistisch die Agenden des Ortschefs. Zu den von Jochum ins Spiel gebrachten Angriffen will sie sich nicht äußern. Doch seit der Abwahl Muxels habe sich Lech in "einer wahnsinnig großen Umbruchphase" befunden, sagt Rieser: "Und Umbrüche gehen nie reibungslos vonstatten."

Ihr Verhältnis zu Jochum beschreibt Rieser so: "Ich habe mein Fachwissen als Juristin zur Verfügung gestellt." Eine Gesprächsbasis habe es "immer gegeben". Inhaltlich lag man aber weit auseinander, was die zentralen Themen angeht. Zum Baustopp für Investorenmodelle, mit dem Lech unter Bürgermeister Jochum zum Vorreiter für Österreichs Tourismusgemeinden wurde, sagt Rieser: "Das hätte ich anders kommuniziert und angegangen." Zum umstrittenen Gemeindezentrum, das mit 42 Millionen Euro Investitionskosten die verschuldete Gemeinde noch weiter in die roten Zahlen treibt, lautet ihr knapper Kommentar: "Die Diskussionen sind obsolet. Es steht." Jochum hatte den Bau von seinem Vorgänger übernommen.

Zankapfel Gemeindezentrum

Details zu den von ihm als Rücktrittgrund genannten "persönlichen Angriffen" will auch der scheidende Bürgermeister nicht erläutern. Er sei angetreten, um das Dorf zu einen und voranzubringen. Das sei ihm nicht gelungen, weil die Standpunkte in den einzelnen Fraktionen "zu hart" gewesen seien. Das Gemeindezentrum nennt auch Jochum als einen der Hauptstreitpunkte. Es sei "sehr schwer gewesen, hier auch nur kleinste Änderungen umzusetzen".

Daneben nennt Jochum die Pandemiesituation als Grund für die Probleme, mit denen er konfrontiert war. In der Tourismusgemeinde habe das bei vielen Existenzängste verursacht, glaubt er: "Da reagieren Menschen anders, das hat es nicht einfacher gemacht." Das Miteinanderreden habe gefehlt und so die Zusammenarbeit unter den Fraktionen fast unmöglich gemacht. Das Verhältnis zu seiner Stellvertreterin sei jedoch nicht belastet, betont Jochum. Man habe politisch andere Anschauungen und daher in manchen Belangen keine Kompromisse gefunden.

"Mobbing" gegen Bürgermeister

Brigitte Finner, die es bei den Wahlen 2020 mit ihrer Liste Zukunft wagen in die Lecher Gemeindevertretung geschafft hat, beschreibt die Stimmung etwas klarer: "Es war eigentlich Mobbing, man hat Jochum nur vorgeführt." Das habe bereits im Wahlkampf zur Bürgermeisterdirektwahl begonnen und sich in der Gemeindevertretung fortgesetzt. "Die Angriffe gegen ihn waren nur persönlich, nicht sachlich. Dadurch konnte er sein Potenzial als Bürgermeister nie entfalten." Jochums Rücktritt am Montagabend sei für sie vom Zeitpunkt her überraschend gekommen: "Aber es war absehbar."

In dieser schwierigen Zeit sei es für Lech besonders schade, dass man als "gespaltenes Dorf" dastehe, sagt Finner. Eine Einschätzung, die Vizebürgermeisterin Rieser nicht teilt. Lech brauche nun einen "guten Winter" und "die politische Landschaft Gespräche". Rieser selbst wird nicht als Kandidatin zur Bürgermeisterdirektwahl antreten, die wohl Anfang 2022 stattfinden wird.

Rückzug in das alte Leben

Jochum zieht nach einem Jahr an der Spitze von Lech ein ernüchterndes Resümee: "Ich hätte mir nie gedacht, dass dieses Jahr mein Leben derart verändert. Ich hatte kaum Luft, viele Freundschaften gingen zu Bruch." Seit 38 Jahren sei er im und für den Ort aktiv gewesen. Nun brauche er eine Auszeit. Danach will er wieder in seinen früheren Beruf des Standesbeamten zurückkehren, der ihn sehr erfüllt habe. (Steffen Arora, 9.11.2021)