Aya Sinclair verwendet in ihrer Musik so wie Billie Eilish Zähneknirschen, Flüstern und Lippengeräusche. Allerdings zielt sie damit nicht Richtung FM4, sondern Richtung Donaufestival.

Foto: Dorothy Dee

Sie wird entspannend und auf der Haut als wohltuend empfunden. Ähnlich wie Gänsehaut kribbelt die Autonome sensorische Meridianreaktion (ASMR). Mit ihr werden heute Heerscharen von jungen Popkonsumentinnen und -konsumenten durch die Zumutungen des Alltags gebracht. Neben sanften körperlichen Berührungen wird die ungewöhnlich lang anhaltende ASMR-Reaktion vor allem durch bestimmte Geräusche ausgelöst. Zähneknirschen, Lippenschmatzen, Schlucken, beruhigendes Flüstern und Raunen aus den Apple Earpods: Damit dringt etwa Billie Eilish abseits ihrer Musik seit Jahr und Tag aus den Kopfhörern in die Teenies ein und streichelt sie streichelweich.

Auch die queere britische Elektronikproduzentin Aya Sinclair hat offenbar einen Youtube-Lehrvideo-Kurs in ASMR absolviert. Ihr Debütalbum für das Hyperdub-Label des britischen Soundforschers und Akademikers Steve Goodman alias Kode9 (Sonic Warfare: Sound, Affect, and the Ecology of Fear) läuft unter dem schlichten Branding Aya. Der Albumtitel Im Hole scheint sich einer betrunkenen denglischen Berliner Nacht zu verdanken.

Hyperdub

Um es zünftig auszudrücken: Musikalisch betrachtet arbeitet Aya mit ihrem Laptop nicht so sehr daran, wie Billie Eilish auf den Open-Air-Festivals dieser Welt den Headliner zu geben. Eher schon hört man auf Tracks wie what if i should fall asleep and slipp under oder Emley lights us moor eine Bewerbung für das Donaufestival oder diverse andere einschlägige Kopfnicker- und Laptopflüsterer-Veranstaltungen heraus.

Stolpern und humpeln

Nicht nur die drastisch verfremdete Stimme gluckst, greint und grummelt ordentlich. Auch die Heimelektronik stolpert, humpelt und hatscht über nebenbei hingeworfene Beats mit Schluckauf und Magenknurren durch die Wunderwelt der jüngeren Geschichte computergenerierter Musik.

Die streng autobiografisch betitelten Tracks werden, ungewöhnlich in der Geschichte des sonst für teilweise akademisch anmutende Dubstep-, Grime- und R’n’B-Variationen bekannten Hyperdub-Labels, durch einen Lyrikband ergänzt. Ihr altes musikalisches Alter Ego Loft, von dem heuer ein schneller und euphorischer House-Track namens Wish It Would Rain aus den Archiven geborgen wurde, legte Aya jedenfalls gründlich ab.

aya - Topic

Aktuelle Tracks wie Dis Yacky beruhen nun auf der Tatsache, dass Menschen freiwillig bereit sind, sich stundenlang dem repetitiven Soundterror von Automaten in Spielhallen auszusetzen. Damit untermauert Aya obendrein, dass man mit einer gewissen Neigung, dem Publikum in den Clubs zwischendurch den Mittelfinger zu zeigen, sehr wohl auch durchkommt.

Trotz aller Nerverei von gutem altem Tischtennisballklackern und Breakbeats, Arthrose der Festplatte und Effekten aus der Hörspielwerkstatt des öffentlich-rechtlichen Rundfunks ist das wohl Ende 2021 der Stand der Dinge. Knirsch. (Christian Schachinger, 10.11.2021)