Superreiche im Superlativ: Bob, der Limo King aus der Fotoserie "Generation Wealth" von Lauren Greenfield.
Lauren Greenfield / INSTITUTE

Es begann als Kinderspiel. Die Brüder Souza de Oliviera wuchsen in einer Favela in Rio de Janeiro auf. Gemeinsam mit Freunden begannen sie 1997, ihr Zuhause samt Nachbarschaft aus gefundenen Materialien modellhaft nachzubauen. Das Projeto Murrinho ist heute als 450 Quadratmeter große Installation in der Favela zu besichtigen. Aus dem Spiel wurde ein Kunstprojekt, das 2007 auf der Biennale in Venedig ausgestellt wurde.

Für die neue Gruppenausstellung Arm & Reich im Dom-Museum Wien gestaltete die brasilianische Gruppe nun ein adaptiertes Modell des Armenviertels: Neben bunt bemalten Hüttchen aus Ziegelsteinen steht dort auch ein Miniatur-Stephansdom. Nur ein Blick aus dem Fenster des Museums in der Wiener Innenstadt genügt, und man erblickt das echte Wahrzeichen. Allein der Kontrast macht das Thema der Schau überdeutlich: Die Schere geht weit auseinander.

Voyeuristische Kontraste

Sich einem solch brennenden Thema überhaupt widmen zu können sei ein enormes Privileg, sagt Direktorin Johanna Schwanberg. Ihr war es ein wichtiges Anliegen, dieses "Thema der Stunde" in der fünften Jahresschau seit Wiedereröffnung zu behandeln. Obwohl sich diese behutsam an gesellschaftliche Probleme herantastet – und sie von möglichst vielen Seiten betrachtet, wird man vom Gefühl des Voyeurismus begleitet. Dieses gilt es wohl zu unterdrücken, soll man sich hier immerhin der sozioökonomischen Ungleichheit bewusst werden. Das Motto: Wegschauen hilft niemandem.

Typisch für das Museum steht sakrale und profane Kunst aus unterschiedlichen Epochen einander gegenüber: Auf einem spätmittelalterlichen Tafelbild muss sich der prächtig gekleidete heilige Martin entscheiden, welchen von zwei Bettlern er die Hälfte seines Mantels schenkt. In der Ecke des Raums kauert die Figur eines Obdachlosen, die der Künstler Albrecht Wild 2008 aus Abfall gebaut hat. Auf einem Display laufen Sprüche von Bettelschildern wie Werbeslogans. Die Botschaft: Armut und Reichtum bedingen einander.

Kritik: Der Künstler David Hammons stellte sich in seiner Aktion "Bliz-aard Ball Sale" nach einem Schneesturm 1983 in New York auf die Straße und bot Schneebälle zum Verkauf an.
Foto: Dawoud Bey

Exzess versus Existenz

In absurder Drastik wird das anhand dokumentarischer Porträts vor Augen geführt, die sich an gegenüberliegenden Wänden spiegeln: Auf der einen Seite thronen Superreiche in ihren zum Exzess dekorierten Villen, auf der anderen haust eine alleinerziehende Mutter mit ihren Kindern in einer heruntergekommenen Wohnung. In einem Biedermeier-Bild von Ferdinand Georg Waldmüller werden zwei Kinder zu schwerer Arbeit gezwungenen. Vis-à-vis zeigt die schockierende Fotoserie Little Adults von Anna Skladmann noble Sprösslinge in Pelz, Seide und Perlen.

Ab da wird es dann systemkritisch: Hier kommen Grafiken wie von Rembrandt, Text-Bild-Mischungen wie von Johanna Kandl oder politische Collagen wie von John Heartfield zum Einsatz, die Ungleichheiten konkret anprangern oder veranschaulichen. Ein besonders treffender Kommentar: Die Künstlerin Lisl Ponger sitzt in einem neokolonialen Kostüm aus Jutesäcken von Meinl Kaffee vor einem klischeehaften Wandbild. Rückblicke in unserer Geschichte liefern ebenfalls Erklärungen für aktuell vorherrschende Missstände.

Genützte Privilegien

Als ein dominantes Thema taucht Obdachlosigkeit immer wieder auf, so auch in einer der wenigen skulpturalen Werke: Das Homeless Vehicle ließ Krzysztof Wodiczko Ende der 1980er-Jahre in New York und San Francisco aufstellen. Das röhrenartige Gefährt sollte wohnungslosen Menschen als temporärer Unterschlupf dienen und somit die Unsichtbaren im öffentlichen Raum sichtbar machen.

Die naive Frage, inwiefern Kunst bei solch einer Thematik nicht nur abbilden, sondern sich auch einbringen kann, stellt die Auftragsarbeit von Isa Rosenberger. Mit Got it rough ’cause I’m a She hat sich die Künstlerin speziell dem Schicksal wohnungsloser Frauen in Wien gewidmet. Allerdings zeigt sie die Protagonistinnen nicht in ihrer Alltäglichkeit, sondern bei dem, was sie gut können. So rappt Margaret Carter, die mit vollem Namen genannt werden möchte, in einem Video über Frauenarmut und -gewalt. Dies wird sie auch bei einer Veranstaltung im Dom-Museum tun.

Überhaupt sind für das Rahmenprogramm Kooperationen mit sozialen Einrichtungen geplant, wobei die Einnahmen Menschen in Not zugute kommen. (Katharina Rustler, 10.11.2021)