Im Gastkommentar kritisiert der Europarechtsexperte Stefan Brocza das Zögern von Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka. Dieser könnte schärfere Corona-Regeln im Hohen Haus durchsetzen, macht es aber nicht.

Seit dem 3. November kommt nur noch ins Europaparlament, wer geimpft, genesen oder PCR-getestet ist. 2,5G ohne jegliche Ausnahme, also auch keine für Parlamentarier, an allen Standorten in Brüssel, Straßburg und Luxemburg. Bei der konstituierenden Sitzung des Deutschen Bundestages am 26. Oktober mussten 23 Abgeordnete abgesondert auf der Tribüne Platz nehmen. Ihnen war der Zutritt ins Plenum verwehrt. Sie wollten nämlich die geltende 3G-Regelung nicht akzeptieren und keinen Impf- oder Genesenennachweis vorzeigen und verweigerten auch einen Corona-Test. Was in anderen Parlamenten zwischenzeitlich gang und gäbe ist, stößt in Österreichs Hohem Haus auf unerbittlichen Widerstand. Da wird schulterzuckend auf das sogenannte freie Mandat verwiesen und von Türkis-Grün behauptet, dass ihnen damit die Hände gebunden seien.

Fürs Parlament gelten die Covid-Maßnahmenverordnungen nicht, hier wurde eine Ausnahme geschaffen: Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka und Kanzler Alexander Schallenberg (beide ÖVP).
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Seit Anbeginn der Pandemie sind "Tätigkeiten im Wirkungsbereich der Gesetzgebung" von den jeweiligen Covid-Maßnahmenverordnungen der Gesundheitsminister Rudolf Anschober und Wolfgang Mückstein grundsätzlich ausgenommen worden. Quasi im vorauseilenden Gehorsam wurden und werden Parlamentarier privilegiert. Was für den Normalbürger gilt, konnte und wollte man den Mitgliedern des Parlaments offenbar nicht zumuten. Jederzeit möglich wäre jedoch eine Art Selbstverpflichtung über die Hausordnung des Parlaments. Doch davor schreckt der zuständige Nationalratspräsident – aus welchen Gründen auch immer – zurück.

"Freies Mandat" als Ausrede

Das erste und fadenscheinigste Argument, warum man Abgeordnete zum Nationalrat wie auch zum Bundesrat in keiner Weise zur Einhaltung irgendwelcher Covid-Schutzmaßnahmen verpflichten könne, sei das ominöse "freie Mandat". Gemäß Artikel 56 Absatz 1 des Bundesverfassungsgesetzes sind die Mitglieder des Nationalrates und die Mitglieder des Bundesrates bei der Ausübung ihres Berufes an keinen Auftrag gebunden. Artikel 57 Absatz 1 schützt sie zudem davor, wegen der in Ausübung ihres Berufes geschehenen Abstimmungen verantwortlich gemacht zu werden. Dass man damit verfassungsrechtlich automatisch auch von der Einhaltung gesundheitspolitischer Maßnahmen im Rahmen einer Pandemie ausgenommen wäre, davon steht weit und breit nichts in der Bundesverfassung. Trotzdem dient das "freie Mandat" als willkommene Ausrede dafür, selbst nicht tätig werden zu müssen.

"Es scheint politisch bequemer, nicht zu handeln und stattdessen bei jeder Gelegenheit mit dem Finger der politischen Empörung auf jene Parlamentsfraktion zu zeigen, die Covid-Maßnahmen kritisch gegenübersteht: die FPÖ."

Entgegen den Behauptungen von Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka und seiner Parlamentsdirektion ist auch keine Änderung der geltenden Geschäftsordnung des Nationalrates mit Zweidrittelmehrheit nötig, um endlich auch verbindliche Covid-Regeln für Abgeordnete bei ihren Sitzungen im österreichischen Parlament zu etablieren. Artikel 14 der existierenden Geschäftsordnung böte schon jetzt die Möglichkeit zur Regelung. Gemäß Absatz 1 des Artikels 14 übt nämlich der Nationalratspräsident das Hausrecht in den Parlamentsgebäuden aus und erlässt nach Beratung in der Präsidialkonferenz die Hausordnung. Dem nicht genug, ist gemäß Absatz 5 der Präsident des Nationalrates auch noch oberstes Verwaltungsorgan in diesen Angelegenheiten und übt diese Befugnisse zudem allein aus. Ihm steht auch das Recht zu, Verordnungen in diesen Angelegenheiten zu erlassen.

Frage der Hausordnung

In anderen Worten: Nationalratspräsident Sobotka könnte jederzeit die Hausordnung dahingehend ändern, dass Sitzungen im Nationalrat und im Bundesrat gemäß den gesundheitspolitischen Erfordernissen einer Pandemie durchgeführt werden. Ja er könnte sogar durch die existierende Verordnungsermächtigung entsprechende Strafbestimmungen bei Nichteinhaltung von Covid-Regeln erlassen. Er könnte, er will nur offensichtlich nicht.

Es scheint politisch bequemer, nicht zu handeln und stattdessen bei jeder Gelegenheit mit dem Finger der politischen Empörung auf jene Parlamentsfraktion zu zeigen, die Covid-Maßnahmen kritisch gegenübersteht: die FPÖ.

Würde Nationalratspräsident Sobotka endlich seine Aufgaben und Möglichkeiten wahrnehmen und seine bestehenden Kompetenzen im Rahmen der Geschäftsordnung ausüben, wäre das leidige Thema der Einhaltung von Covid-Maßnahmen im Parlament umgehend gelöst. Die Freiheitliche Partei wäre dann allerdings auch nicht länger die Ausrede für monatelanges Nichtstun des ÖVP-Parlamentspräsidenten. (Stefan Brocza, 10.11.2021)