Im Familienrecht hat man es oft mit dem Jugendamt (Kinder- und Jugendhilfeträger) zu tun. Dieses vertritt offiziell die Interessen des Kindes und stellt sicher, dass diese ausreichend gewahrt werden. Auch wenn dieser Grundgedanke ein positiver ist, so kann die Intervention des Jugendamtes manchmal "zu gut" gemeint sein und nach hinten losgehen. In der Praxis kommt es zuweilen immer öfter vor, dass Personen ihre unliebsamen Nachbarn beim Jugendamt (zu Unrecht) anzeigen.

So wird häufig die (körperliche) Misshandlung von Kindern behauptet und lautstarke familiäre Auseinandersetzungen gemeldet. Natürlich ist das Jugendamt verpflichtet, all diesen Vorwürfen lückenlos nachzugehen, um eine allfällige Gefährdung des Kindeswohls zu unterbinden. Was passiert nun, wenn das Jugendamt eingreift und die betroffenen Kinder zwangsweise wegbringt? Welche Auswirkungen hat dies auf die Kinder und die Eltern, und welche Ansprüche können daraus resultieren?

Folgen der Kindesabnahme

Einen solchen Fall hatte kürzlich der Oberste Gerichtshof (OGH) zu entscheiden. Konkret ging es um zwei minderjährige Kinder im Alter von sieben beziehungsweise neun Jahren und ihre zwangsweise Abnahme und Unterbringung in einem Krisenzentrum für die Dauer von circa acht Monaten. Das Jugendamt ist zu einem solchen – zweifellos – drastischen Schritt ermächtigt, wenn Gefahr in Verzug herrscht, weil die Kinder zum Beispiel zu Hause mit einem gewalttätigen Elternteil konfrontiert sind oder missbraucht wurden.

Im gegenständlichen Fall war es nach einer anonymen Anzeige, wonach die betroffenen Eltern psychisch instabil und die Kinder oft krank und armutsgefährdet seien, zur Abnahme der beiden gekommen. Zu diesem Zeitpunkt war der Vater aufgrund einer polizeilichen Wegweisung nicht anwesend. Er argumentierte, dass er mit der Betreuung seiner Kinder zu keiner Zeit überfordert gewesen sei. Er sei auch bereit gewesen, mit dem Jugendamt zu kooperieren, und es hätte durch ein einzuholendes Sachverständigengutachten erwiesen werden können, dass die Kinder zu keinem Zeitpunkt gefährdet waren. Der Vater argumentierte weiter, dass durch die ungerechtfertigte Kindesabnahme ein massiver Eingriff in sein verfassungsrechtlich gewährleistetes Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens nach Artikel 8 Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) erfolgt sei. Dies hätte bei ihm zu einer massiven psychischen Störung geführt.

So leide er an emotionalem Stress, Schlaf- und Konzentrationsstörungen, was sich insbesondere an seinem Arbeitsplatz negativ auswirke. Der Vater brachte vor, er habe Freunde und Bekannte verloren, fühle sich ausgelaugt, müde, ängstlich und stimmungsschwankend. Seine psychischen Störungen hätten Krankheitswert erreicht. Die Kindesabnahme sei auch an seinem Arbeitsplatz Thema geworden, sodass er diesen, durch einvernehmliche Auflösung, verloren habe, was zu einem Verdienstentgang geführt habe. Dieser stehe auch in kausalem Zusammenhang mit der rechtswidrigen Kindesabnahme.

Welchen Einfluss hat die Kindesabnahme auf die Eltern oder den Elternteil?
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Leiden der Eltern

In seiner gegen die Stadt Wien (als Träger des Jugendamtes) geführten Klage beantragte der Vater Schmerzengeld und Verdienstentgang sowie die Feststellung der Haftung für künftige, noch nicht bekannte Schäden "aus der unrechtmäßigen Kindesabnahme". Der OGH gesteht einem durch die unzulässige "Kindesabnahme" psychisch beeinträchtigten Elternteil unter bestimmten Voraussetzungen einen Schadenersatzanspruch zu.

Vorwiegend vertritt der OGH die Ansicht, dass es beim Schutz des Eltern-Kind-Verhältnisses gerade um den Schutz immaterieller Werte geht und dies auch den Schutz vor gravierenden psychischen Beeinträchtigungen nahelegt. Eine widerrechtliche "Kindesabnahme" kann, aufgrund der für gewöhnlich innigen Gefühlsbeziehung zwischen Eltern und Kindern, eine psychische Beeinträchtigung mit Krankheitswert bei den Eltern auslösen.

Aufgrund dieser neuen Entwicklung der Judikatur erscheint es aus der Sicht des Jugendamts sinnvoll, das Vorliegen der Voraussetzungen für die zwangsweise Unterbringung von Kindern in einem Krisenzentrum streng zu prüfen. Wenn dies nicht erfolgt, können sie Schadenersatzansprüchen betroffener Eltern ausgesetzt sein, welche auch eine beträchtliche Höhe erreichen können (OGH 23. 3. 2021, 1 Ob 211/20s). (Julia Andras, 12.11.2021)