Die hohen Zahlen an Corona-Infizierten und die drohende Überlastung der medizinischen Infrastruktur hat die Politik am Wochenende dazu veranlasst, Maßnahmen einzuführen. Unter anderem ermöglicht Wien, Kinder unter zwölf Jahren impfen zu lassen und sich den Drittstich bereits vier Monate nach der zweiten Impfung zu holen.

Erst kürzlich hat das Nationale Impfgremium (NIG) die Booster-Impfung nach sechs Monaten empfohlen. Bei der STANDARD-Community haben sich ein paar Fragen aufgetan. Virologe Florian Krammer und Hygienikerin Miranda Suchomel haben schon einige Fragen zum Impfstoff und zum Infektionsrisiko beantwortet.

Warum der dritte Stich nun empfohlen wird und unter welchen Voraussetzungen, berichten die Expertinnen und Experten des Nationalen Impfgremiums.
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Der STANDARD hat Expertinnen und Experten des NIG um Antworten zum richtigen Zeitpunkt der dritten Impfung, zur bedingten Zulassung und zu Totimpfstoffen gebeten. Außerdem geht STANDARD-Redakteur Jakob Pflügl auf die strafrechtliche Beurteilung einer Covid-Ansteckung ein.

Antwort: Die Empfehlung des Nationalen Impfgremiums vom 4. November lautet: Eine Unterschreitung des empfohlenen Impfintervalls von sechs Monaten ist in begründeten Ausnahmefällen (etwa vor Antritt einer längeren Reise, bei besonders hohem Expositionsrisiko, wenn erste zwei Impfungen mit Vaxzevria etc.) sinnvoll und kann nach entsprechender Aufklärung und Dokumentation erfolgen (off-label). Laut Maßnahmenverordnung wird eine Unterschreitung des Intervalls von 120 Tagen nicht als dritte Impfung gewertet. Impfwilligen Personen soll ab einem Intervall von sechs Monaten beziehungsweise in den vorher erwähnten Ausnahmefällen auch früher eine dritte Impfung nicht vorenthalten werden. Die Empfehlung wird von den Bundesländern umgesetzt.

Wichtig ist auch, zu bedenken, dass es sich bei Impfstoffen um Arzneimittel handelt, welche, wenngleich selten, zu Impfreaktionen oder sogar Impfnebenwirkungen führen können. Bei einer Impfempfehlung bemüht man sich, ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Erkrankungsrisiko, Krankheitsverlauf und Risiko von Impfreaktionen/Nebenwirkungen herzustellen, sodass der Nutzen einer Impfung gegenüber dem Risiko deutlich überwiegt. Gerade bei kürzeren Impfintervallen bei gesunden, immunkompetenten Personen ist im Zusammenhang mit anderen Impfstoffen bestens bekannt und beschrieben, dass zu kurze Impfintervalle zu verstärkten Nebenwirkungen führen können, auch bei Coronavirus-Impfungen gibt es bereits Hinweise darauf.

Frage: Bleibt das NIG bei seiner Empfehlung, den Booster nach frühestens sechs Monaten zu geben – wo doch zum Beispiel Wien nach vier Monaten den dritten Stich empfiehlt und die Israel-Studien auch vier Monate nahelegen?

Antwort: Auch in einer Pandemie ist die Sicherheit von Arzneimitteln das oberste Gebot, und es gilt, den Grundsätzen evidenzbasierter Medizin zu folgen. Das Nationale Impfgremium evaluiert die Datenlage permanent und hat die neuesten Publikationen im Blick. Eine Zulassung gibt es demnach erst ab sechs Monaten. Israel ist bisher das einzige Land mit systematischen dritten Impfungen wie bei uns. Es ist auch jetzt schon möglich, sich die dritte Impfung früher zu holen – und wird auch in bestimmten Fällen empfohlen (nach Astra-Zeneca-Impfung, vor langen Reisen und so weiter). Dies ist aber eine Off-Label-Anwendung und in der Verantwortung der jeweiligen Ärztin oder des jeweiligen Arztes. Es müssen die Nebenwirkungen mit den Benefits abgewogen werden. Da es erst wenig Evidenz gibt für einen früheren Booster als nach sechs Monaten, kann das NIG keine solche generelle Empfehlung aussprechen.

Antwort: Eine bedingte Zulassung gilt für ein Jahr und kann jährlich verlängert werden. Ist eine bedingte Zulassung erteilt, müssen Verpflichtungen innerhalb festgelegter Fristen erfüllt werden. Das kann zum Beispiel den Abschluss laufender oder neuer Studien oder die Erhebung zusätzlicher Daten umfassen, um zu bestätigen, dass das Nutzen-Risiko-Verhältnis des Arzneimittels positiv bleibt. Sobald alle Bedingungen erfüllt sind, kann sie in eine "Standard-Zulassung" übergehen.

Antwort: Die Empfehlung des Nationalen Impfgremiums vom 4. November lautet: Für Impfstoffe, welche derzeit nicht durch die Europäische Kommission zugelassen sind, liegen unzureichend Daten vor, und es wurde noch kein europaweit einheitliches Vorgehen definiert, wie mit Personen umzugehen ist, die mit diesen Impfstoffen geimpft wurden. Bis eine gemeinsame europäische Empfehlung vorliegt, wird basierend auf theoretischen Überlegungen folgendes Vorgehen für Personen, welche mit Impfstoffen, die das WHO-Verfahren zur Listung auf der WHO-Emergency-Use-List finalisiert haben, geimpft wurden, empfohlen (es handelt sich dabei um den Einsatz der Impfstoffe außerhalb der Zulassung/off-label):

Vollständig und entsprechend den Vorgaben der WHO mit zwei Impfdosen geimpften, immunkompetenten Personen unter 65 Jahren wird zumindest eine Impfung eines mRNA-Impfstoffs empfohlen (unter 30 Jahren Comirnaty, ab einem Alter von 30 Jahren Comirnaty oder Spikevax). Der Mindestabstand zur vorangegangenen Covid-19-Impfung soll dabei ein Monat betragen. Für den Nachweis einer geringen epidemiologischen Gefahr im Zusammenhang mit der Maßnahmenverordnung ist vorher ein positiver Antikörpernachweis erforderlich. Wenn gewünscht, ist auch eine Verabreichung der mRNA-Impfstoffe gemäß üblichem Impfschema bestehend aus zwei Impfungen möglich, eine erhöhte Nebenwirkungsrate kann dabei nicht ausgeschlossen werden.

Für Personen ab 65 Jahren und Personen mit Vorerkrankungen beziehungsweise Risiken für einen schweren Verlauf von Covid-19 gelten die grundsätzlichen Impfempfehlungen, diese sollten wie oben beschrieben mit zwei Impfungen im beschriebenen Intervall geimpft werden.

Antwort: Bis jetzt wurden seitens der europäischen Behörden nur mRNA- und Vektor-Impfstoffe zugelassen, jedoch noch keine klassischen Totimpfstoffe. Prinzipiell sind sowohl Vektor- als auch mRNA-Impfstoffe wie Totimpfstoffe einzuordnen. Um sowohl Sicherheit als auch Effektivität der Impfstoffe für die Bevölkerung sicherzustellen, werden in Österreich nur Impfstoffe empfohlen, die eine zentrale Zulassung seitens der europäischen Behörden haben. Derzeit sind bei der europäischen Behörde EMA drei Impfstoffe basierend auf herkömmlichen Technologien im "Rolling-Review-Verfahren", welche der Kategorie "Totimpfstoffe" zugeordnet werden können. Die Entwicklungen dazu werden engmaschig verfolgt, es liegen jedoch noch keine Zulassungen vor, die EU ist bei diesen Impfstoffen jedenfalls auch mit Beschaffungsvorgängen involviert.

Antwort: Die Impfstrategie in Österreich sieht vor, dass durch die Impfung die Krankheitslast durch Covid-19 reduziert, Todesfälle vermieden, vulnerable Bereiche, wie etwa das Gesundheitssystem, geschützt und die essenzielle Infrastruktur aufrechterhalten und sichergestellt werden sollen. Außerdem soll es zu einer Normalisierung des öffentlichen Lebens, soweit das mit Impfungen möglich ist, und einer Reduktion der Viruslast in der Bevölkerung kommen.

Auf individueller Ebene bedeutet die Impfung, dass das Risiko, schwer an Covid-19 zu erkranken oder zu versterben, minimiert wird. Kommt es in Ausnahmefällen trotz Impfung zu einer Covid-19-Erkrankung, so verläuft diese im Normalfall deutlich milder, und Komplikationen und Todesfälle werden weitgehend vermieden. Auf gesellschaftlicher Ebene führt die Impfung zu einer Verminderung der Transmission und damit zu einer Eindämmung des Infektionsgeschehens in der Bevölkerung. Vor dem Hintergrund der über die Zeit nachlassenden Wirksamkeit gewinnt die dritte Impfung an Bedeutung, insbesondere für Risikogruppen. In der derzeitigen epidemiologischen Situation, mit einem hohen Infektionsdruck und einer bestehenden Zulassung seitens der europäischen Behörden für eine dritte Impfdosis ab 18 Jahren im Intervall von sechs Monaten nach der zweiten Impfung, wird vom Nationalen Impfgremium empfohlen, die dritte Dosis zu verabreichen. Die nachlassende Effektivität nach einer gewissen Zeit und die Daten, dass es zu einer reduzierten Virustransmission nach der dritten Impfung kommt, untermauern die Empfehlung.

Hier wird beispielsweise die Entwicklung in Israel genau beobachtet, wo bereits breit die dritten Impfungen angewendet werden. Die Empfehlung wird laufend unterstützt durch Daten aus anderen Ländern wie auch den USA, aber auch durch Daten aus Österreich, die auf der Website der Ages abrufbar sind.

Jakob Pflügl: Das Strafgesetzbuch verbietet die vorsätzliche oder fahrlässige Gefährdung von Menschen durch übertragbare Krankheiten (§§ 178, 179 StGB). Wer trotz Quarantäne in die Arbeit geht, riskiert deshalb nicht nur eine Verwaltungsstrafe, sondern auch eine strafgerichtliche Verurteilung. Gleiches gilt für Menschen, die wissen oder wissen müssten, dass sie mit Covid-19 infiziert sind, und trotzdem unter Leute gehen. Es gibt auch schon Präzedenzfälle: Im Februar verurteilte das Landesgericht Salzburg einen Mann wegen "vorsätzlicher Gefährdung von Menschen durch übertragbare Krankheiten" zu einem Monat bedingter Haft. Er hatte trotz Quarantäne den Müll hinausgebracht und war am Weg jemandem begegnet. Allein der Umstand, dass sich eine Person nicht impft und dadurch das Risiko für andere Personen erhöht, reicht für eine Verurteilung aber natürlich nicht aus. (Irene Brickner, Judith Wohlgemuth, 15.11.2021)