Da die ÖBB die 32 fertigen, aber noch immer ihrer Zulassung harrenden "untalentierten" Elektrotriebzüge Talent-3 von Bombardier nach zwei Jahren Verspätung nicht mehr will, soll der Zug offenbar anderswo zum Einsatz kommen.

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Paris/Wien – Der französische Zughersteller Alstom kommt mit den Projekt-Altlasten von Bombardier besser zurecht als befürchtet. Der operative Mittelabfluss (Free Cash-flow) fiel mit 1,46 Milliarden Euro im ersten Halbjahr (April bis September) 2021/22 geringer aus als von Alstom noch im Juli vorausgesagt.

Vorstandschef Henri Poupart-Lafarge sagte am Mittwoch vor Analysten, der Konzern habe von höheren Anzahlungen und dem Hochfahren der Produktion profitiert. Die Franzosen hatten die Zugsparte des kanadischen Rivalen Bombardier für 5,5 Milliarden Euro geschluckt, um dem chinesischen Branchenriesen CRRC besser Paroli bieten zu können. Doch im Nachgang entdeckte Alstom "herausfordernde Projekte" bei Bombardier, die stabilisiert werden mussten und eine Milliarde Euro übersteigende Abschreibungen zur Folge hatten. Die Integration von Bombardier sei voll auf Kurs, sagte Poupart-Lafarge am Mittwoch, die Projekte würden vor Ort abgearbeitet.

Wettmachen lässt sich das Minus aus den ersten sechs Monaten offenbar nicht. Das liege an Nachschubproblemen, die auch den Bahnsektor erreicht haben. Der Umsatz stieg im ersten Halbjahr – bereinigt um Bombardier-Übernahme und Währungsschwankungen um 14 Prozent auf 7,44 Milliarden Euro, der Nettogewinn stieg von 168 auf 172 Millionen Euro.

Altlasten auch in Österreich

Zu den Bombardier-Altlasten gehört auch das Debakel um insgesamt 46 Elektrotriebzüge des Typs Talent-3 für den Einsatz in Vorarlberg und Tirol, die seit zwei Jahren auf Schiene sollten. Den Zügen fehlt bis dato die eisenbahnbehördliche Zulassung. Mit Auftraggeber ÖBB tobt über die Gründe der Verzögerungen ein erbitterter Streit, der im Sommer in einem Widerruf der Auftragsvergabe durch die ÖBB-Personenverkehr AG gipfelte – und bisweilen originelle Blüten treibt: Alstom/Bombardier betreibt die Zulassungsbemühungen nun eigenständig weiter und braucht dafür logischerweise ein Eisenbahnunternehmen.

Da man mit der ÖBB-Personenverkehr AG auf mehreren Ebenen im Clinch liegt, hat sich Alstom für die Testfahrten der in Verruf geratenen Talent-3-Züge die Westbahn angelacht. Das berichten Eisenbahnbeobachter, die auf dem Westbahnhofgelände Testzüge aufgespürt haben. Durchgeführt werden die Fahrten vom ÖBB-Konkurrenten, bestätigt auch Westbahn-Chef Erich Forster.

32 Züge ungenützt

Der auf den Zügen angeführte Eigentümer ist BTA, also niemand Geringerer als Alstom, die im Vorjahr auch die Bombardier Transportation Austria inhaliert hat. Denn ohne Zulassung kann Alstom die insgesamt 32 fertig produzierten Talent-3-Elektrotriebzüge nicht verwerten. Mit dem 2016 in der ÖBB-Ausschreibung verlangten Zugsicherungssystem ETCS (Level 2) sind die Talent-Züge offenbar immer noch nicht ausgestattet, aber das ist auf vielen Regionalstrecken in Europa kein Problem, stünde einem Einsatz in Süddeutschland also nicht im Wege. Für das Zulassungsverfahren bei der EU-Eisenbahnbehörde ERA. ist ETCS sowieso nicht kriegsentscheidend.

Wer die Hauptverantwortung für das Debakel bei der ÖBB trägt, werden wohl Gerichte klären müssen. Sonderwünsche Sonderzahl hätten den Prozess erschwert, sagen ÖBB-Auskenner durchaus selbstkritisch. An Pönalezahlungen (pro Zug 1,3 bis 1,5 Millionen Euro) dürfte Alstom kaum herumkommen. Aber es ist nicht auszuschließen, dass der Talent-3 doch noch vor den ersatzweise bei Siemens bestellten Desiro-ML die Zulassung bekommt. Denn die ersten Siemens-Desiros sollen frühestens Ende 2022 auf Schiene sein. (ung, Reuters, 10.11.2021)