Die Zahl der Hospitalisierungen steigt rasant, die Lage in den heimischen Spitälern spitzt sich immer schneller zu.

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Oberösterreich ist das erste Bundesland, das bei der Sieben-Tage-Inzidenz über der 1000er-Marke zu liegen kam. Dicht gefolgt von Salzburg (956). Für Mittwochabend lud Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein (Grüne) daher via Videokonferenz zu einem Krisengipfel mit den beiden Landeshauptleuten von Oberösterreich und Salzburg. Das Ergebnis verkündete der Salzburger Landeschef Wilfried Haslauer (ÖVP) wie folgt: "Minister Mückstein schlägt einen Lockdown für Ungeimpfte vor für Oberösterreich und Salzburg. Ich bin da etwas skeptisch."

Das sei schwierig bis gar nicht zu kontrollieren. "Man kann darüber diskutieren, ob es eine sinnvolle oder eher symbolische Maßnahme ist." Am Donnerstag wird mit Experten gesprochen, am Freitag neuerlich mit der Regierung. "Schulen, Kindergärten, Einzelhandel, Gastronomie und Hotellerie müssen jedenfalls für Geimpfte offengehalten werden mit zusätzlichen Sicherheitsmaßnahmen wie die Maske", betonte Haslauer.

Eine Sprecherin von Mückstein bestätigte dem STANDARD am Abend, dass der Gesundheitsminister den beiden Bundesländern ein Vorziehen der Stufe fünf des Stufenplans empfohlen habe – eben einen regionalen Lockdown für Ungeimpfte. In einer Stellungnahme des Ministers hieß es zudem nach dem Krisengipfel: "Es war ein offenes Gespräch, in dem die Lage gemeinsam besprochen wurde. Es herrscht Einigkeit, dass rasch, klar und entschlossen gehandelt werden muss. Die Gespräche werden jetzt auf fachlicher Ebene und dann in einer weiteren Runde mit den Landeshauptleuten weitergeführt."

Debatte um regionalen Lockdown für Ungeimpfte geht weiter

Schon im Vorfeld war die Botschaft Mücksteins klar: Die Situation sei in beiden Bundesländern "dramatisch", und es müsse klar sein, dass wir "rasch, entschlossen und umfassend handeln müssen". Damit war klar, dass es um einen regionalen Lockdown geht. Das heißt konkret: "Ausgangsbeschränkungen" für Ungeimpfte. Damit wäre für all jene, die weder eine Impfung noch einen aufrechten Genesungsstatus vorweisen können, das Verlassen des privaten Wohnbereichs nur noch in Ausnahmefällen gestattet. Erlaubt wäre dann etwa noch die Grundversorgung (wie Einkäufe) oder der Weg zur Arbeit.

Auch Stelzer gegen Lockdown

Dem Vernehmen nach konnte sich Oberösterreichs Landeshauptmann Thomas Stelzer (ÖVP) nicht mit einem regionalen Lockdown welcher Art auch immer anfreunden. Auf Nachfrage hieß es aus dem Landeshauptmannbüro, es gelte für das Gespräch, was Stelzer bereits in einem Pressegespräch rund um die Präsentation einer Impflotterie Mittwochmittag gesagt habe.

Dort bekräftigte der Landeschef, dass trotz der hohen Zahlen – allein in Oberösterreich gab es am Mittwoch einen neuen Rekordwert von 3424 Corona-Neuinfektionen – "keiner einen Lockdown will und braucht". Einen derartigen für Geimpfte halte er für "verfassungsrechtlich höchst problematisch". Zudem habe man "Gott sei Dank viele Intensivbetten". Außerdem sei erst am Montag mit der 2G-Regel eine "sehr scharfe Maßnahme in Kraft" getreten. Man solle erst abwarten, ob diese wirken. Ungeachtet dessen bereite man aber Verschärfungen wie ein Ausweiten der FFP2-Maskenpflicht vor. Auch Gesundheitslandesrätin Christine Haberlander (ÖVP) sehe aktuell keinen Lockdown, aber: "Ich habe gelernt, dass man in dieser Pandemie nichts ausschließen kann."

Kritisch zur Gipfel-Vertagung äußerte sich in der "ZiB 2" Oberösterreichs SPÖ-Chefin und Landesrätin Birgit Gerstorfer: Sie konnte "die Zögerlichkeit nicht verstehen", forderte aber auch nicht direkt den regionalen Lockdown. Wenn es – weil zur Senkung der Infektionszahlen nötig – dazu käme, läge die Verantwortung bei Stelzer, der die neue Corona-Welle bisher nicht nachhaltig genug bekämpft habe. Die Neos forderten bereits am Nachmittag den Gesundheitsminister zum Rücktritt auf und drohen mit einem Misstrauensantrag.

Österreichweit gab es am Mittwoch den Rekordwert von 11.398 Neuinfektionen. Kanzler Alexander Schallenberg (ÖVP) bekräftigte am Nachmittag in einer Stellungnahme, dass es einen Lockdown für Geimpfte nicht geben werde. Dafür wolle er "auch weiterhin kämpfen". Wenn der Anstieg aber weiterhin anhalte, sei ein Lockdown für Ungeimpfte nicht ausgeschlossen. Schallenberg wollte aber auch über eine Impfpflicht für gewisse Berufsgruppen diskutieren.

Oberösterreichs SPÖ-Chefin Birgit Gerstorfer in der "ZiB2".
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Intensivstationen vor systemkritischer Auslastung

Mit einem Blick auf die Hospitalisierung als harte Währung der Pandemie wird rasch klar: Das Erreichen der systemkritischen Auslastung im intensivmedizinischen Bereich (Intensive Care Unit, ICU) rückt näher. "Die Überschreitung der 33-prozentigen Auslastungsgrenze ist am 24. November in allen Bundesländern möglich", warnt das Covid-19-Prognosekonsortium in seiner Kapazitätsvorschau. Am wahrscheinlichsten sei das in Ober- sowie in Niederösterreich der Fall.

Am geringsten wird dieses Risiko mit 35 beziehungsweise 40 Prozent für Kärnten und Wien eingeschätzt. Dennoch mussten selbst in diesen beiden Bundesländern bereits OPs von nicht an Covid erkrankten Personen abgesagt werden. Auch in Wien wird mit steigenden Zahlen gerechnet.

Dramatische Situation in Oberösterreich

In Oberösterreichs Spitälern wird die Lage immer dramatischer, vor allem in den Corona-Hotspots. In den Salzkammergut-Kliniken, dazu gehören Vöcklabruck, Gmunden und Bad Ischl, kamen am Mittwoch weitere drei Covid-Intensivfälle dazu. Von den regulär 28 zur Verfügung stehenden Intensivbetten sind 15 mit Covid-Intensivpatientinnen und -patienten belegt.

Der Auslastungsgrad auf den Intensivstationen an diesen drei Standorten beträgt 96 Prozent. Das heißt: Es steht gerade einmal ein einziges Intensivbett zur Verfügung. Damit ist praktisch keine adäquate Not- oder Akutversorgung über längere Zeit aufrechtzuerhalten. Denn auch schwerkranke Nicht-Covid-Fälle belegen Intensivbetten, dazu kommen nicht aufschiebbare lebensnotwendige Eingriffe oder Unfälle. Das bestätigt auch Tilman Königswieser, der ärztliche Direktor des Salzkammergut-Klinikums, im Gespräch mit dem STANDARD.

"Kolleginnen und Kollegen aller Berufsgruppen leisten das Menschenmögliche. Das, was möglich ist, machen wir." Im aktuellen Notfallszenario konnten durch immensen Einsatz auch des Personals weitere drei Betten in den Spitälern so eingerichtet werden, dass hier ebenfalls eine intensivmedizinische Behandlung möglich ist. Das sei aber "keine Dauerlösung", so Königswieser. Selbst im Krisenstab des Landes geht man hinter vorgehaltener Hand davon aus, dass bei größeren Akutfällen abseits von Corona andere Krankenhäuser in Oberösterreich einspringen müssen.

Aber auch diese sind bereits teils massiv ausgelastet. Damit könnte bald in größerem Ausmaß eine Triage-Situation eintreten, in der Ärztinnen und Ärzte im Notfall entscheiden müssen, welcher Intensivpatient eine größere Überlebenschance hat. Das wäre dann der Fall, wenn der Anstieg im Spitalsbereich bei den Covid-Fällen weiter so dynamisch anhält. Planbare Operationen müssen schon jetzt großflächig verschoben werden. Nur in den drei Salzkammergut-Kliniken waren es vergangene Woche "mehr als 170 operative Eingriffe", die abgesagt werden mussten. "Wenn es auch nächste Woche steigende Zahlen gibt, wird es sehr knapp bei uns", so Königswieser.

Drittstich als Heilsbringer

In Salzburg appelliert der Vorstand des Universitätsklinikums, Richard Greil, an die Politik, sofort massive Maßnahmen umzusetzen. Es müsse zu einer Reduktion kommen, die einem Lockdown entspricht, "egal, wie man es nennt". In der Landespolitik war der regionale Lockdown Mittwochvormittag zwar ein Thema, heißt es aus dem Büro von Landeshauptmann Haslauer. "Aber nur insofern, dass es unser erklärtes Ziel ist, einen regionalen Lockdown zu vermeiden." Um die sozialen Kontakte zu reduzieren, seien bereits alle Landesveranstaltungen abgesagt worden. Bürgermeister und Interessenvertreter seien dazu aufgefordert worden. Eine quantitative Messlatte, ab wann ein Lockdown kommen müsse, gebe es nicht.

Atempause notwendig

"Wir brauchen eine Atempause für die Spitäler", forderte hingegen Greil in der ZiB 2. Ansonsten könne man die "Anflutung" von Patientinnen und Patienten nicht kompensieren. Man befinde sich in Phase elf von zwölf vorgesehenen Stufen. Bei Menschen, die jetzt geimpft werden, dauere es vier bis sechs Wochen, bis ein Impfschutz besteht. Das sei viel zu spät, um die jetzige Welle zu brechen.

Der Vorstand des Universitätsklinikums, Richard Greil, war am Dienstagabend in der "ZiB2" zu Gast.
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Trotzdem steckt das Land alle Anstrengungen in den dritten Stich. Auf den Intensivstationen liegen derzeit 80 Prozent Ungeimpfte und Geimpfte mit schweren Vorerkrankungen. Auf Normalbetten würden knapp 60 Prozent Geimpfte liegen. Es seien überwiegend ältere Personen, bei denen das Phänomen auftrete, dass die Wirkung nicht so lange anhalte. Daher sei es nun oberstes Gebot, die über 60-Jährigen zum dritten Stich zu bekommen, betont Haslauers Sprecher.

Während es auf der Intensivstation enger wird, häufen sich die Pannen in der Bekämpfung der stark steigenden Zahlen. So wurde etwa auch in Salzburg nach dem Andrang auf Impfbusse am Sonntag keine einzige Impfmöglichkeit angeboten. Am Montag kam ein Impfbus zum Europark mit deutlicher Verspätung, 100 Impfwillige warteten auf ihren Stich. Aus Haslauers Büro heißt es, dass für den Impfbus zuvor bei der Wirtschaftskammer durch den enormen Andrang weitere Impfdosen organisiert werden mussten.

Auch beim PCR-Test-System läuft es holprig. Offenbar haben Hackerangriffe auf die Infrastruktur des mit den Tests betrauten Labors von Novogenia fast für einen Zusammenbruch gesorgt. Montagnacht hat das Büro des Landeshauptmannes zusätzlich das Wiener Lifebrain-Labor mit PCR-Gurgeltests beauftragt. Innerhalb weniger Stunden seien elf Teststraßen im Land Salzburg mit 26.000 Gurgeltestkits sowie mit Abnahmematerial versorgt worden, heißt es von Lifebrain. (David Krutzler, Markus Rohrhofer, Stefanie Ruep, 10.11.2021)