Die künftige Bürgermeisterin Elke Kahr ist fertig mit verhandeln.

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Während zuletzt die Scheinwerfer auf die Grazer FPÖ gerichtet waren, um dort den Finanzskandal auszuleuchten, konnten die Verhandlerteams der KPÖ, der Grünen und der SPÖ in aller Ruhe ihre Koalition finalisieren.

Die neue linke Stadtregierung ist nun in trockenen Tüchern, es fehlen nur noch die entsprechenden Beschlüsse der Parteigremien. Am Samstag tritt die frische rot-grün-rote Stadtkoalition unter dem Titel "Neues Graz" an die Öffentlichkeit.

Zuletzt ging es – wie bei Koalitionsverhandlungen Usus – um die Ressorts. Die bisherige Bürgermeisterpartei ÖVP bleibt, so wurde paktiert, weiter mit zentralen Kompetenzen ausgestattet. Wohl ein Kalkül der neuen Koalition, um die ÖVP in der Proporzregierung nicht in die Oppositionsrolle zu drängen. Der Nachfolger des scheidenden Bürgermeisters Siegfried Nagl, Kurt Hohensinner, erhält die Ressorts Sport, Familie und Bildung und zudem die Bau- und Anlagenbehörde. Eine Ankündigung, die umgehend Kritik in sozialen Medien auslöste, zumal die ÖVP im Wahlkampf von der damaligen linken Opposition wegen der Massivität der Großprojekte kritisiert worden war. Es sei noch nicht in Stein gemeißelt, heißt es auf STANDARD-Nachfrage. Die Bauagenden dürften wieder von der ÖVP wegwandern.

Der bisherige ÖVP-Finanzstadtrat Günter Riegler, der diese Agenden nun an den KPÖ-Stadtrat Manfred Eder abgeben wird, bekommt neben der Kultur die Wirtschaft.

FPÖ bekommt den Rest

Die baldige Vizebürgermeisterin Judith Schwentner (Grüne) wird unter anderem das Umweltressort, die Stadtplanung und den Verkehr übernehmen; die künftige KPÖ-Bürgermeisterin Elke Kahr holt wieder das Wohnen und Teile des Sozialamtes zu sich. KPÖ-Stadtrat Robert Krotzer bekommt zu Gesundheit und Sozialem die Integration. Der FPÖ, deren Chef, Mario Eustacchio, im Zuge des Finanzskandals wie auch Klubchef Armin Sippel zurückgetreten ist, bleibt das "BürgerInnenamt" (Meldewesen etc.).

Dass er die Macht an die KPÖ, die Grünen und die SPÖ – die zwar nicht im Stadtsenat sitzt, aber der Koalition im Gemeinderat die nötige Mehrheit sichert – abgeben musste, schmerzt den abtretenden ÖVP-Langzeitbürgermeister Siegfried Nagl nach wie vor, wie er bei seiner Abschiedspressekonferenz eingestand. Was er nun machen werde, wisse er nicht. Warum er diese Wahl in solch historischer Dimension an die KPÖ verloren habe? "Ich weiß es nicht, ich habe aufgehört, die Sache zu analysieren", so Nagl, dass nun die KPÖ regiere, habe er "für Graz und die ÖVP wirklich nicht gewünscht".

Für den Politikberater Thomas Hofer steht die neue KPÖ-Bürgermeisterin Elke Kahr nun vor einer schwierigen Situation: "Jetzt muss sie wirklich liefern und kann sich nicht mehr nur auf einzelne Themen wie das Wohnen konzentrieren. Sie muss politisch breiter werden." Die momentane Themenkonjunktur könne der KPÖ und den Grünen aber in die Hände spielen.

Der Zeitgeist

Die Leistbarkeit des Lebens, das Klima, die Umwelt, die Bodenversiegelung sind Bereiche, in denen die beiden Parteien jetzt punkten könnten. "Der Zeitgeist kommt ihnen sicher entgegen", sagt Hofer. Dazu kommt die Person Elke Kahr, die in ÖVP-Kreisen schon als "rote Waltraud Klasnic" charakterisiert wird. Elke Kahr gilt wie die ehemalige ÖVP-Landeshauptfrau als sehr bodenständig und volksnah. "Das nimmt Ideologiespitzen weg", sagt Hofer.

Woran wird man den politischen Wechsel nach so vielen Jahren ÖVP-Dominanz in der Stadt nun merken? "Der ist jetzt schon erkennbar", sagt Judith Schwentner. "Allein dass jetzt zwei Frauen an der Spitze stehen, ist ein Paradigmenwechsel in der Stadt. Man wird ein anderes Klima spüren, es wird mehr Offenheit und Kommunikation geben."

Die Stadtpolitik werde sich deutlich an den Themenbereichen Soziales, Klima und Demokratie orientieren. "Wir werden für Transparenz sorgen, von den Stellenbesetzungen bis zu den Inseraten", sagt Schwentner. Und es soll "mehr Leichtigkeit" in die Stadt kommen und Experimentelles zugelassen werden.

Im Verkehr wolle Schwentner "die Pyramide umdrehen: zuerst die Fußgänger, dann der Radverkehr und die Öffis und dann die Autos. Das ist mein Zugang, meine Verantwortung, und der will ich mich als Verkehrsstadträtin stellen." (Walter Müller, 11.11.2021)