Der Russland-Stand auf der heurigen Buch Wien.

Foto: LCM / Richard Schuster

Die Buch Wien lädt seit Mittwochabend Buchfreunde wieder zum Entdecken ein. Etwa findet man in der Halle D der Wiener Messe an vielen Ecken Verlage, von deren Existenz man bisher nicht wusste. Flächenmäßig übertrifft der Joppy-Verlag allerdings nicht nur sie alle, sondern auch Namen wie Hanser und Suhrkamp. Er macht sogar ganzen Länderständen wie dem der Schweiz Konkurrenz. Was er zeigt? Ausschließlich Thomas Brezinas Schaffen von seiner Kinderbibel über "Frida das Schwein" bis zum jüngsten Sisi-Roman. Der Lokalmatador ist tatsächlich eine literarische Weltmacht in Österreich.

Den Begriff von der "Weltmacht der Literatur" hatte Benedikt Föger, Präsident des Hauptverbands des Österreichischen Buchhandels, in seiner Eröffnungsrede aber eigentlich Russland zugedacht, dem ersten Gastland der Buch Wien überhaupt. Welches Land wäre dazu geeigneter, pinselte Föger dem Gast den Bauch. Er zitierte kurz darauf aber auch die in Russland oppositionelle Autorin Ljudmila Ulitzkaja und beschwor die Rolle von Literatur und Verlagen für Demokratie und Meinungsfreiheit, wenn jene wegen "Verhaberung oder politischer Repressionen in den Medien unter Druck" seien. Das galt wohl für Österreich angesichts jüngster Enthüllungen ebenso wie für Russland, die Kojen von Iran und Ungarn.

Russland "erlesen"

"Die russische Staatsführung hat ein problematisches Demokratieverständnis, das gilt es zu kritisieren. Ich bin in jedem Fall davon überzeugt, dass der kulturpolitische Dialog mit Russland fortgesetzt werden muss. Kontaktabbruch ist keine Lösung", sagt auch Günter Kaindlstorfer, Programmchef der Buchmesse, zum STANDARD, nachdem in den letzten Tagen für Stunk gesorgt hatte, dass Co-Verantwortliche der Messe medial eher eine Art Kindesweglegung ihres größten Ausstellers praktiziert hatten. Immerhin hatten nicht sie, sondern das Außenministerium 2019 den kulturdiplomatischen Austausch eingefädelt.

Was dieser Austausch in Wien zeitigt? Viel Kyrillisch auf den Buchumschlägen in den Regalen, die nach "Dostojewski", "Russische Kunstgeschichte", "Reise nach Russland" oder "Russische Literatur. Klassik und Moderne" geordnet sind. "Ich würde sagen, es wird die gesamte Bandbreite der russischen Literatur repräsentiert", zeigte sich Russlands Botschafter in Wien in seiner Rede zur Eröffnung des Standes euphorisch. Man darf das skeptisch zur Kenntnis nehmen. Tatsächlich äußerten aber mitgereiste Autoren am Rand des Programms Russlandkritik.

Propagandistische Werke wollte die Buch Wien jedenfalls keine an dem Stand. Potenziell heikel ist diesbezüglich natürlich die Abteilung zu "Geschichte. Politik. Geografie". Aber wer nicht Russisch spricht, hat abgesehen von einigen Flugblättern mit Informationen zu russischen Autoren und Übersetzern wenig zu schmökern. Russland müsse man sich erlesen, hatte Föger in seiner Eröffnungsrede noch gemeint. Man behilft sich also mit dem Studium der Umschläge: schwarz-weiße Kriegsszenen, Männer in prächtigen Uniformen, Männer in einfachen Uniformen, mehrmals Boris Jelzin. Das Bühnenprogramm mit etwa 30 Veranstaltungen verspricht jedenfalls mehr deutsche Simultanübersetzung.

Beruhigung für die Branche

Bezüglich der Buchbranche generell war es ein Eröffnungsabend der beruhigenden Botschaften. Föger lobte, dass sie die Pandemie bisher besser überstanden habe, als befürchtet. Er lobte Resilienz und Kreativität der Händler und dankte der Politik für kurzfristige Zuschüsse und nachhaltige strukturelle Maßnahmen. Namentlich zählte Kulturstaatssekretärin Andrea Mayer (Grüne) direkte Förderungen, steuerliche und beschäftigungspolitische Aktionen auf. "Niemand darf erwarten, dass es so sein wird wie immer", sagte Föger dennoch zur heurigen Ausgabe. Tatsächlich sind die Gänge pandemiekonform breiter und die Bühnen größer als bisher. Die Halle wirkt fast etwas leer. Es gilt die 2G-Regel; Masken werden empfohlen, sind aber beim Pendeln zwischen frankophonen Comics und "Literatur aus den südosteuropäischen Ländern" kein Muss.

Die Pandemie war denn auch Thema der Festrede von Philosophin Isolde Charim, die zwei aktuelle "massive Erschütterungen unseres demokratischen Universums" miteinander verquickte: das Demokratieverständnis des "Systems Kurz" und die Pandemie. Die demokratische Regierungsform sei hierzulande zuletzt zum "Schattenspiel" gemacht worden, aus "Bürgern" sei dabei "Publikum" geworden.

Neben der Demokratie als Regierungsform gebe es aber auch die Demokratie als Mythos. Diesen Mythos erkennt Charim als in seiner Bedeutung veränderbar. "Heute meint der demokratische Mythos nur eines: individuelle Freiheit." Corona habe aber eine Erschütterung dieses demokratischen Mythos mit sich gebracht. Die "Entscheidungsgewalt" des Staates trete in der Pandemie nämlich "blank" zutage. Zu Recht, denn: "So ein Ereignis lässt sich nicht mehr zivilgesellschaftlich regeln, das erfordert einen Staat." Hier kommen aber die Querdenker auf den Plan, die dadurch ihren demokratischen Mythos von individueller Freiheit beschnitten sähen. Das zeige, dass Demokratie heute "einen andern Mythos, einen neuen Glauben, der sich nicht auf individuelle Freiheit beschränkt", brauche.

Bis Sonntag präsentieren auf 12.000 Quadratmetern 323 Verlage aus 31 Ländern ihre Titel. 400 Veranstaltungen stehen auf dem Programm. (Michael Wurmitzer, 11.11.2021)